Kurd Laßwitz - Homchen
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Kurd Laßwitz
HOMCHEN
Der kühne Kala
Es ist schon lange, sehr lange her.
Menschen gab es noch nicht. An ganz andern Stellen als heutzutage standen die Berge, wogten die Flüsse und Meere, und selbst die liebe Sonne ging noch leichtsinniger mit ihren Strahlen um. Aber allmählich dachte sie doch daran, sich etwas häuslicher einzurichten.
Nach Osten öffnet sich die Mündung des mächtigen Stromes zu weiter, uferloser Bucht. Dort glüht der Himmel im Frührot, und bunte Streifen glitzern zwischen den dunklen Wogen. Am flachen, sumpfigen Ufer des Stromes beugen sich das Schilf und die hohen Gräser leicht unter kühlem Windhauch. Droben auf den angrenzenden Hügeln rauscht es in den breiten Wipfeln der Bäume. Buchen und Ahorn steigen dicht gedrängt hinter der Wiese an der Böschung empor. Darüber ragen hier und da die zackigen Äste einer Rieseneiche hervor, oder die schlanke Pinie drängt sich in die Verschlingung des Laubwalds.
Aus den hohen Farnkräutern am Waldesrand hebt sich ein großer, schmaler, gelb und braun gesprenkelter Kopf. Ist es ein Vogel, eine Schlange, eine riesige Eidechse? Jetzt erscheint ein langer nackter Hals, und der Hals wächst immer weiter und weiter aus den Kräutern hervor, schon glaubt man, ein ungeheurer Vogel werde sich aufschwingen. Aber statt der Flügel kommen zwei kräftige Vorderfüße zum Vorschein, mit denen das Tier in der Luft hin und her fuchtelt. Es sperrt das gewaltige schnabelartige Maul weit auf und gähnt und gähnt — —
Dann verschwindet es wieder zwischen den hoch wuchernden Blättern. Dort streckt es den mächtigen Krokodilschwanz nebst seinen vier Beinen und dem langen Straußenhals möglichst nahe am Boden aus, wobei der untere Teil seines Rückens wie ein massiger Berg in die Höhe ragt. Seine Kinnladen reiben sich rasselnd aneinander, denn es hält ein Selbstgespräch.
»Kalt, kalt, kalt!« So brummte der Iguanodon bei sich. »Die Welt wird immer schlechter. Ich muß noch mit dem Frühstück warten. Denn wenn ich den Hals ausstrecke, so friere ich. Kalt, kalt, kalt! Das ist so eine moderne Erfindung. In meiner Jugend, ich glaube, da gab‘s das gar nicht. Diese kalten Morgen sind gegen die Grundsätze der ältesten Drachengeschlechter. Was könnte man dagegen tun? Lächerlich, daß mir das Denken so schwer fällt! Mir, der ich — Guck mich nicht so dumm an, elendes Kerbtier!«
Damit bohrte der Iguanodon wütend seinen langen Stacheldaumen mitten durch den Leib eines großen Skorpions, der eben aus seiner Höhle kroch. Der Skorpion sagte weiter nichts, denn es blieb ihm keine Zeit dazu übrig. Aber der Iguanodon knurrte weiter.
»Ja, ich will‘s euch zeigen, daß ich das klügste Geschöpf bin! Ich bin mir das schuldig. Ich gehe auf zwei Beinen, ich fresse kein Fleisch, ich bin kein dummes Wasservieh, ich bin kein roher Raubdrache, ich bin kein flattriges Lufttier, ich bin eine feine Riesen-Eidechse — ich bin mein Ideal! Warum sollte ich nicht denken können? Ich werde denken! Kalt, kalt, kalt! Was läßt sich dagegen tun? Wenn man so etwas hätte, wie dieses Moos, das man immer um seinen Hals tragen könnte, dann würde man nicht frieren. Ha! Ich glaube, jetzt denke ich, und zwar gut. Denn wenn ich den Hals in das Moos stecke, so ist es warm. Wenn ich aber frühstücken will, so muß ich ihn herausziehen. Das ist eben das Problem, das ist die Kältefrage. Wer die lösen könnte? Wahrscheinlich niemand, wenn ich es nicht kann. Denn ich bin der Iguanodon, ich bin das höchst entwickelte Lebewesen der Erde.«
Über dem Iguanodon, zwischen den Ästen der alten Buche, klang es wie ein leises Kichern. Ein Blatt schwebte herab und kitzelte den Iguanodon an seinem Auge.
»Was gibt es da oben? Das ist auch wieder eine neue Mode, davon steht nichts im alten Gesetz der Echsen, daß es Bäume geben dürfte, die ihre Blätter abwerfen.«
Der Iguanodon blickte in die Höhe. Ein breiter Zweig bewegte sich und ließ ein paar reife Bucheckern herabfallen, die seine Nase trafen. Da tönte wieder das leise Kichern und ein feines Stimmchen erklang:
»Homchen heiß‘ ich, Emsen beiß‘ ich, Mehr als alle Echsen weiß ich.«
Rasend vor Wut fuhr der Iguanodon mit seinem langen Hals in die Höhe, hinein in die Blätter der Buche, wo ein zierliches Geschöpf eilends und gewandt über die Äste hüpfte und von Baum zu Baum springend den Hügel hinaufflüchtete. Von der Ferne klang es noch:
»Pelzchen trag‘ ich, Krällchen schlag‘ ich, Mehr als alle Echsen wag‘ ich.«
Als der Iguanodon mit seinem Kopfe über die Kräuter des Waldrands hinausgefahren war, merkte er, daß die Sonne mit ihrer großen, glühenden Scheibe am Himmel stand und er nicht mehr am Halse fror. Da watschelte er auf seinen beiden riesigen Hinterbeinen in die feuchte Wiese hinein um zu frühstücken. Inzwischen war Homchen weiter hinauf auf die Waldberge gelangt, wo die Laubbäume aufhörten und die dunklen Nadelhölzer ihre harzigen Äste ausstreckten.
Es war ein lustiges Tierchen, nicht größer als ein dreijähriges Menschenkind. Kala nannte sich seine Sippe, und sie rühmte sich, die fortgeschrittensten Kletterbeuteltiere der Zeit darzustellen. Homchens Fell war mit dichten, weichen Haaren bedeckt, auf der Rückseite bräunlichrot wie der Stamm der Fichte, unten gelblichweiß wie die Flechten am Baum. Aus dem großen Kopf blitzten zwei kluge schwarze Augen, und um sie herum bildete das Fell einen weißen Ring, wodurch sie noch größer erschienen. Darunter saß ein schwarzes Stumpfnäschen, und in dem runden Mäulchen blitzten scharfe, weiße Zähnchen. An den Seiten des Kopfes bewegten sich kleine, hellbuschige Ohren und hinten am Rücken ein ganz kurzes Schwänzchen. Arme und Beine trugen Greiffüße mit richtigen Daumen, und an allen fünf Zehen saßen lange, krallenartige Nägel.
Homchen sprang behend am Stamme einer hohen Fichte empor, deren Wipfel über eine Felswand hinausragte. Dort oben breitete sich eine buschige Fläche aus, und zwischen den Steinen wußte es eine Stelle, wo die großen schwarzen Ameisen wohnten, die so gut schmecken wie keine andre Art, denn sie haben so eine gewisse pikante Säure.
Eben war Homchen auf die Felsen hinüber gesprungen, da rasselte es hinter ihm in den Baumwipfeln, und ein großes Tier, drei bis viermal so lang wie Homchen, flatterte aus den Bäumen heraus und stürzte sich auf Homchen zu, indem es den Wolfsrachen mit seinen fürchterlichen Zähnen weit aufsperrte. Aber Homchen hatte schon am Geräusch des Fluges die drohende Gefahr erkannt und war schnell zwischen das dichte, niedere Gebüsch geschlüpft, wohin ihm das große Tier mit seinen breiten Flughäuten nicht sofort folgen konnte. Dort suchte der junge Kala nach einem bergenden Versteck. Er zwängte sich zwischen zwei Steine und wandte nur den Kopf nach seinem Verfolger.
Ja, es war der Hohlschwanz, der böse Hohlschwanz. Er saß auf einem Felsstück, das nahe bei Homchens Schlupfwinkel über das niedere Buschwerk hervorragte, und schlug mit seinem großen Krokodilschwanz wild in der Luft umher. Die Flughäute an den langen Vorderbeinen hatte er zusammengelegt und mit den Krallen wühlte er vor sich im Gebüsch, um es auszureißen. Dabei schrie er wütend:
»Wo steckst du? Ich weiß, daß du da bist. Diesmal sollst du mir nicht entgehen, frecher Beutler! Was hast du hier zu suchen im Sonnenschein?«
Homchen sah bald, daß es hier nicht sicher war. Wenn der Hohlschwanz weiter das Strauchwerk forträumte, so mußte es bemerkt werden. Dann konnte er es mit seinen langen Armen leicht aus dem Versteck holen. Die Gefahr war groß. Aber Homchen war mutig und klug. Es wußte wohl, daß ihm nur die List helfen konnte.
»Hier bin ich«, rief Homchen ohne sich zu zeigen. »Was willst du von mir, dummer Hohlschwanz? Komm doch her! Deine Knochen sind ja so dünn, daß sie unter meinen Zähnen zerbrechen wie Nußschalen. Du hast nur Luft darin, du Windbeutel!«
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