Ihr Bruder mußte lachen, als Marie ihm von der Einladung erzählte. »Diese Fürstin ist eine spaßige Person, Schwesterchen! Nicht nur feiert sie Feste, während ihre Untertanen wie die Fliegen sterben, sie hat auch noch Freude daran, alle Monstren, über die sie gebietet, dazu einzuladen.«
Marie lächelte schmal. Sie hatte ihrem Bruder, der damals schon nicht mehr auf der Insel gewesen war, ihr Erlebnis mit der Fürstin im Schloß verschwiegen. Und auch jetzt sagte sie nichts. Viel zu sehr hatte sie gleich das Wort Schloßfräulein in den Bann gezogen. Jahrzehnte war es her, daß man sie so genannt hatte.
»Ich wüßte zu gern, weshalb sie das tut«, sagte Christian nachdenklich.
»Also nehmen wir die Einladung an?«
»Haben wir denn eine Wahl?«
Marie schüttelte den Kopf.
Und so gingen sie alle am festgelegten Tag und zur genannten Stunde zum Palmenhaus hinüber. Schon am Morgen war das Personal angekommen, um in der Küche anzuheizen und Vorbereitungen für den Abend zu treffen, am Spätnachmittag trafen dann auch die Kähne der Herrschaften ein. Man hielt sich zunächst im Schloß auf. Eine Gesellschaft von einem Dutzend Personen, berichtete die Dienerschaft, alle in orientalischen Kostümen. Zuletzt erreichte auch noch eine Gruppe von Musikern mit einer Mietdroschke aus Potsdam die Insel.
Dem Hofgärtner mißfiel in Anbetracht der Tatsache, daß die Seuche keineswegs schon völlig überstanden war, die große Zahl fremder Personen auf der Insel, wie er die ganze Einladung für geschmacklos hielt und es nur zu verständlich fand, daß der König ihr fernblieb. Das ganze Jahr hatten er und Gustav darauf verwendet, die Umgebung des Palmenhauses so zu gestalten, daß sie den Besucher auf die Exotik des Raumes vorbereitete, hatten neben den Götterbäumen in kleinen Gruppen Riesenbärenklau gepflanzt und rotstieligen Alkermes, den glänzenden Wunderbaum, Tabak und brasilianischen Mangold mit seinen reichgefärbten breiten Blattrippen, dicht vor dem Haus indisches Blumenrohr, die akanthusförmigen Cardi und Onopordon, von kalifornischem Schotenmohn umgeben, dazu Zuckerrohr und Papyrusstauden. Von alldem war jetzt selbstverständlich nichts mehr zu sehen, die verdorrten Blätter waren entfernt, man hatte zurückgeschnitten, die Beete abgedeckt.
An den Schmalseiten des Baus, jeweils unter einer Pergola, befanden sich die Eingänge des Palmenhauses, Oberlichter darüber in Form stilisierter Pfauenräder. Als sie unter diesen Pfauen hindurchgingen, fiel Marie ein, daß sie auf dem Weg hierher kein Wort miteinander gesprochen hatten. So beginnt kein Fest, dachte sie, während die Wärme, die sofort auf sie einströmte, ihr schon den Atem nahm.
Sie wurden bereits erwartet. Zwei livrierte Diener standen beidseits der Tür, über den Armen Bündel von Kleidern. Sie nahm Gustavs Hand. Christian, der seinen schönsten Anzug anhatte, aus blauem Samt, zerrte mit einem aufmunternden Blick am Revers des Riesen, das nicht korrekt saß, Maitey sah auf seine frischgewichsten Stiefelspitzen, und Gustav sich nach den Palmen um. Man hatte buntglasige Ampeln zwischen ihnen aufgestellt, deren Licht sich in dem großen Raum verlor. Sie hörten das Krächzen von Papageien, sahen das bunte Flattern eines blauen Aras, dann einen rotköpfigen Parakit, der zwischen den Stämmen hindurchflog. In dem bunten Geisterlicht huschten, wie es ihnen schien, einige der kleinen Kapuzineraffen vorüber, die Marie so mochte, und dann sahen sie doch tatsächlich zwischen den Stämmen, ängstlich witternd, den kleinen bengalischen Hirsch. Weiße Turteltauben stiegen auf, kreisten unter dem hohen Dach und landeten dann heftig gurrend auf der Balustrade des Balkons über ihnen. Im Mittelgang lag die große indische Landschildkröte, deren Alter nach Jahrhunderten zählte, und grub ihre Schaufelbeine unendlich langsam in die Erde.
Ob sie denn nun, fragte mit metallener Stimme die Oberhofmeisterin der Fürstin, eine karge, altjüngferliche Gräfin von Kalnein, die keiner hatte herankommen sehen, ob sie denn nun vielleicht die Kostüme anlegen und zwischen den Palmen lustwandeln könnten? Das Diner auf dem Balkon habe bereits begonnen, die Musik warte nur noch auf die Zwerge und Riesen. Als der kleine Trupp sie überrascht ansah, erschien auf ihrem Gesicht ein dünnes Lächeln. Keiner von ihnen sagte ein Wort oder rührte sich auch nur. Das Lächeln der Oberhofmeisterin stand starr über ihnen allen und wartete.
Da fing Christian plötzlich an loszulachen. Er lachte so laut, daß die Tauben aufgeregt hoch unter die Decke flatterten, der kleine Hirsch ängstlich zwischen den Palmstämmen verschwand und ein Schimpfkonzert der exotischen Vögel losbrach. Und als wäre dies ein Zeichen, setzte im selben Moment die Musik ein, eine orientalische Lautenmusik, was Christian mit noch lauterem Lachen kommentierte, während er schon dabei war, sich den Anzug vom Körper zu reißen, dabei die anderen auffordernd, es ihm gleichzutun, und zugleich dem wartenden Dienerpaar den orientalischen Plunder abzunehmen und achtlos auf dem Boden zu verteilen.
Es war alles da. Pumphosen und Schleier, Turbane und Seidenpantoletten, Westen und Fächer, bestickte Gewänder und Spielzeugsäbel. Und alles in verschiedenen Zuschnitten, jeweils winzig und riesig, damit auch jeder etwas für sich fände. Schon war Christian nackt und stieg in eine mit glitzernden blauen Pailletten besticken Pumphose, während die anderen noch immer unschlüssig abwarteten. Nur der Riese, als er Christian in der Pumphose sah, fing nun gleichfalls an, lauthals zu lachen und sich auszuziehen. Christian schlüpfte in eine goldene Weste und stülpte sich einen ebensolchen Turban auf den Kopf, an dem eine Reiherfeder prangte. Jetzt begann auch der Mohr, sich seiner Kleider zu entledigen.
Marie wurde es bange, und sie flüchtete sich in Gustavs Arm. Für einen Moment hatte es den Anschein, als wollte Christian sich tatsächlich, wie gewünscht, nebst den aus ihren Käfigen herbeigeschafften Tieren unter den illuminierten Palmen ergehen. Doch dann begann er plötzlich zu tanzen, tanzte zur Wendeltreppe hinüber, die auf den Balkon hinaufführte, und Protestrufe der Gräfin von Kalnein wurden laut, als er die Treppe tanzend hinaufstapfte, noch immer mit diesem lauten Lachen, bei dem die Venen an seinem Hals so dick hervortraten, daß man nicht zu sagen wußte, ob er nicht eigentlich schrie. Er war offenbar von Sinnen. Alle sahen das jetzt. Doch nur Marie eilte ihm hinterher, und sie zog dabei Gustav mit sich.
Vom Balkon hatte man einen herrlichen Überblick über das ganze Palmenhaus. Christian sah nur einen Moment lang hinunter, dann wandte er sich der Tischgesellschaft zu. Große silberne Kerzenleuchter warfen ein blakendes Licht. Hier oben war es noch heißer als unten, und man trug leichte, ja aufreizend luftige Sommerkleidung. Ein fetter Greis mit rotgetönter Brille hockte da wie eine Kröte, neben sich zwei unendlich weißhäutige junge Männer mit langen Hälsen. Christian sah eine Dame in dunkelroter Seide und einen hageren Geistlichen, doch er hatte keine Zeit, die ganze Festgesellschaft zu mustern, schon entdeckte er die Fürstin am Kopfende des Tisches, ihr zur Seite ein Mädchen mit feuerroten Locken, und sogleich tanzte er auf sie zu. Die Fürstin klatschte vor Vergnügen in die Hände und winkte einen Lakaien herbei, ihren Stuhl vom Tisch abzurücken, denn sie erwartete offenbar eine Vorführung.
Und tatsächlich: Hüftschwingend näherte Christian sich ihr, die ihn nicht aus den Augen ließ, und warf, als Marie heraufkam und laut seinen Namen rief, damit er aufhöre, seiner Schwester noch einen schnellen Blick zu über die Schulter, hob dann das Kleid der Fürstin empor und verschwand darunter.
Die Tischgesellschaft erstarrte, und die Musiker verstummten mit einigen falschen Tönen. Marie spürte, wie ihr ein Frösteln über die Haut lief. Er darf das nicht tun, dachte sie immer wieder, und dann überfielen sie ihre Erinnerungen. Wie er sie berührt hatte, damals, als sie fast noch ein Kind gewesen war. Der Geruch seines Körpers nach dem kühlen, feuchten Wald, wenn er in ihr Bett schlüpfte. Die Sommer am Ufer mit Gustav. Ihre Begegnung im Heu und wie verloren sie sich dabei gefühlt hatte. Wie absurd es war, ihn zu lieben. Und wie der König sie immer angesehen hatte, während sie reglos dastand. Und die weiße Haut der Fürstin in jenem unheimlichen blauen Licht. Und wieder der König mit seinem traurigen Blick. Die Kälte lief ihr über die Haut wie flackerndes Feuer. Er darf das nicht tun, dachte sie noch einmal, doch dann verstand sie, weshalb er es tat. Es war genug. Und gierig sah sie dabei zu, wie sich die Fürstin mit vor Überraschung weit offenen Augen ganz langsam in ihrem Sessel aufrichtete. Sie schien, wie alle anderen, die Luft anzuhalten. Nach einem Moment aber, der Marie unendlich vorkam, seufzte die Fürstin laut und vernehmlich auf und sank, die Beine weit öffnend, tief in ihren Sessel zurück.
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