Nach der Ankündigung des Königs war er nicht überrascht gewesen, als Peter Joseph Lenné sich anmeldete. Er besuchte auch alle anderen königlichen Gartenreviere. Als Sohn des Hofgärtners von Brühl entstammte der im Jahr der Revolution geborene Lenné einer alteingesessenen Gärtnerdynastie und war, nachdem das Kurfürstentum Köln mit dem Sieg über Napoleon an Preußen gefallen war, neue Möglichkeiten suchend, nach Potsdam gekommen. In Hofmarschall von Massow hatte er schnell einen einflußreichen Unterstützer gefunden, der ihn, nachdem er zunächst in untergeordneter Position bei der Umgestaltung des Neuen Gartens beschäftigt war, auch in Sanssouci und Klein Glienicke, in diesem Jahr überraschend zum Nachfolger des verstorbenen Gartenkontrolleurs Lange gemacht hatte.
Damit war Lenné Mitglied der Preußischen Gartendirektion, ohne jemals Hofgärtner mit eigenem Revier gewesen zu sein, was unter den Kollegen für einige Mißstimmung sorgte. Pückler, der ihn in Klein Glienicke kennengelernt hatte, das dem Staatskanzler von Hardenberg, seinem Schwiegervater, gehörte, nannte ihn in seinen Briefen immer nur spöttisch Herrn Lainé , den Kleinen, auf den ursprünglichen Familiennamen anspielend und darauf, daß Lenné zwar nicht zwergenhaft, aber doch von äußerster Zierlichkeit war.
»Dürfte ich Sie etwas fragen, lieber Fintelmann?«
Lenné hatte sich von dem Plan aufgerichtet und dem Hofgärtner zugewandt. Er lächelte und schien beim Sprechen, mit großer Leichtigkeit, fast ein wenig zu tänzeln. »Haben Sie eigentlich Königin Luise gekannt?«
Die Erinnerung an jenen Frühlingstag war schmerzlich, als Fintelmann die junge Königin zuletzt gesehen hatte, wenige Wochen vor ihrem Tod, und er hatte das Bild sofort wieder vor Augen, wie sie lachend mit dem König und den Kindern draußen auf der Schloßwiese im Sonnenschein stand. Das Geheimtreffen mit Hardenberg am nächsten Tag war der Beginn des erneuten Aufschwungs Preußens gewesen, davon war der Hofgärtner, der sich seither zu den Reformern rechnete, tief überzeugt. Zehn Jahre waren seitdem vergangen. Die Schlacht an der Beresina. Lützows wilde Jagd. Unwillkürlich mußte Fintelmann an Marie denken, sein Zwergenkind, das in diesen zehn Jahren eine erwachsene Frau geworden war, und tatsächlich machte er sich Sorgen um sie, während er Lenné musterte. Als hätte Marie Anlaß, sich vor ihm in acht zu nehmen. Statt etwas zu sagen, nickte Fintelmann nur und nahm die Teetasse weg, die Lenné in schwer erträglicher Achtlosigkeit auf seinem Plan der Pfaueninsel abgestellt hatte.

Da waren seltsame Geräusche in ihren Träumen, ein Aufruhr an der Landestelle, Tiere, das verstand sie, wurden gebracht, doch dieses Blöken kannte sie nicht, dieses Wiehern klang so fremd und seltsam, dieses Geschnatter, was für Wesen mochten das sein?
Das Fieber schüttelte Marie, sie schlief ein und wachte wieder auf, ihr war so heiß, das Bettzeug längst durchgeschwitzt, seit wie vielen Tagen lag sie jetzt schon hier in ihrer Kammer? Manchmal sah die Herrnhuterin nach ihr, brachte einen Krug mit kühlem Wasser und Suppe, die sie langsam schlürfte, doch wieviel Zeit zwischen diesen kurzen Besuchen verging, wußte sie nicht. Wenn sie wach war, betrachtete sie matt die weißgetünchten Latten im Giebel über sich und hörte den Geräuschen des Haushalts zu, die von unten heraufdrangen, dem Rücken von Stühlen, den Schritten und den Gesprächen im Eßzimmer und in der Diele, die sie nicht verstand. Von draußen flirrte es grün und sonnenhell aus dem Baum vor ihrem Fenster herein. Dann schlief sie wieder ein, unruhig, und träumte und erwachte zitternd und frierend, dann wieder glühend vor Fieber, und es war dunkel um sie her. Mühsam und mit pochendem Kopfschmerz entzündete sie die Kerze. Hustete, daß es den kleinen Körper im Bett schüttelte. Hoffte, daß jemand käme, um den Nachttopf zu leeren, stand schließlich unter Mühen auf und trug ihn selbst zitternd hinab, sank danach wieder kraftlos ins Bett. Lag im grauen Licht vor Tag und wartete, daß die Geräusche begönnen und sie sich nicht mehr so allein fühlte. Wartete sie auf Gustav? Er kam nicht.
Gustav machte jetzt, wie er es sich gewünscht hatte, seine Gärtnerlehre und war meist auf der Insel unterwegs. Und es war ja auch wirklich viel zu tun. Lenné hatte, bald nachdem er hier gewesen war, dem König Vorschläge zur ferneren Verschönerung der Pfaueninsel unterbreitet, die dieser sogleich umsetzen ließ. Die Felder beim Schloß waren schon planiert und eingesät, Pfauenstall, Adlerkäfig und auch das zierliche Drahtgitterhäuschen für die Waschbären abgerissen. Ein Gewächshaus wurde nahe an der Anlegestelle gebaut. Und ständig kamen neue Tiere auf die Insel, immer neue Tiere aus der ganzen Welt, wie sie hierzulande noch nie jemand gesehen hatte, und ihre fremdartigen Rufe hallten in Maries Fieberträume hinein. Manchmal meinte sie, Gustavs Schritte unten im Haus zu hören, wartete vergeblich darauf, daß er heraufkomme, und schlief darüber wieder ein. Einmal träumte sie von Peter Schlemihl, der sie besuchte und ihr von einer russischen Expedition nach der Südsee erzählte, an der er teilgenommen habe.
Känguruhs, sagte ihr Bruder und legte ihr ein kühles Tuch auf die fiebernasse Stirn, der Herzog von York habe dem König fünf Känguruhs geschenkt. Und der Legationsrat von Olfers aus Rio de Janeiro afrikanische und brasilianische Affen geschickt, außerdem fünf Nasentiere, von denen allerdings einige auf der Fahrt eingingen, so daß der Naturaliensammler Beske aus Hamburg, bei dem die Tiere zuerst angekommen seien, zusätzlich ein brasilianisches Schwein gestiftet habe. Der Kaufmann Pieper aus Solingen drei oberägyptische Schafe. Und der Ministerresident am Badenschen Hof, Legationsrat Varnhagen von Ense, habe in Karlsruhe drei Mongokatzen ersteigert, für einhundertsiebenundneunzig Florin, wie es hieß, dazu noch zwei Känguruhs für unglaubliche vierhundertvierzig Florin, einen Waschbären für einundachtzig, zwei weißstirnichte Gänse für dreißig und eine Löffelgans für zwanzig Florin. Und jetzt grasten die Känguruhs auf der Schloßwiese. Näherte man sich ihnen, sprängen sie mit gestrecktem Schwanz in weiten Sätzen davon.
Känguruhs, flüsterte Marie und schlief wieder ein, als sie die Hand ihres Bruders nicht mehr spürte, und träumte davon, wie diese seltsamen Tiere über sie hinwegsprangen. Unruhig strampelte sie die Decke von sich und zog das Nachthemd hoch bis zum Hals. Der Lufthauch kühlte ihren naßgeschwitzten Bauch. Mühsam öffnete sie die verklebten Augen. Wie spät mochte es sein? War es noch Morgen, oder wurde es schon wieder dunkel? Sie strich mit der Hand über ihren Bauch. Bin kein Tier, dachte sie, sondern etwas noch viel Geduldigeres. Als Christian das nächste Mal zu ihr kam, hatte sie kein Fieber mehr.
»Geht es dir wieder besser?«
Sie nickte und sah überrascht, daß er seine Fellhose nicht mehr trug und auch nicht barfuß, sondern ordentlich in Hemd und Hose gekleidet war und sogar Schuhe an den Füßen hatte. Er blieb an der Tür stehen. Auch die Haare hatte man ihm geschnitten.
»Der alte Gundmann bringt mich gleich nach Klein Glienicke.«
»Siehst du deshalb so aus?«
Er grinste.
»Und was willst du dort?«
»Der Onkel hat mich bei dem Schneider Meyerbeer in die Lehre gegeben.«
»Du? Ein Schneider?«
»Alles ändert sich jetzt hier. Das meint auch der alte Gundmann. Und ich tauge nicht als Hirte für die Känguruhs.«
»Die Känguruhs?«
Aber ja. Er habe ihr doch immerzu von den Känguruhs erzählen müssen, davon habe sie nicht genug hören können in ihrem Fieber. Aber für diese Tiere sei jetzt der Tierwärter Becker zuständig, der zusammen mit seiner Tochter gestern auf die Insel gekommen sei.
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