Nachdem er Joni eine Zeit lang stumm gestreichelt hatte, sagte Karl, gestern morgen, bevor er das Haus in der Osterwaldstraße verlassen habe, habe er sich eine Yoga-Übung auferlegt. Er sei drei Jahre lang in eine gute Yoga-Schule gegangen. Zweimal wöchentlich von acht bis zehn. Eine Meditationsübung sei gewesen, einen Satz, ein Wort entstehen zu lassen, in dem man enthalten sei. Dieser Satz, dieses Wort müsse so lange in einer Meditation geläutert werden, bis nichts mehr darin enthalten sei als man selbst. Also gestern morgen Yoga Nidra zur Herausbildung eines einzigen Satzes. Das darf dauern, so lange es will. Er trainierte, hatte den Satz nach einer knappen Stunde. Zuerst mußte er die Sätze, in denen das Positive nur durch die Verneinung des Negativen vorgekommen war, überwinden. Er wollte keinen Satz ertragen, in dem Negationspartikel vorkamen. Dann stellte sich der Satz ein, in dem er sich ganz ausgedrückt sah: Ich will lieben dürfen.
Sie machte ein Naja-Gesicht.
Er, der im Augenblick nichts dazulernen konnte, sagte: Wie viele?
Sie sagte: Wie viele bei dir?
Er: Ich habe zuerst gefragt. So wurde ein Kinderspiel daraus. Er merkte, man mußte leicht bleiben, und sagte, ihre Erzählung vom Abschlußball bis zu Oliver Keller-Scheel und Theodor Strabanzer sei für ihn spannend gewesen. Was man sich darunter vorzustellen habe, halbschwul.
Das sei, sagte sie, ein verfehltes Wort. Sowohl als auch ist ja nicht halb. Rudi-Rudij sei Herr Sowohl und sie sei Frau Als-auch. Zum Glück sei Rudi-Rudij ein Goldstück, ein Engel, ein Prachtskerl. Eins habe sie gründlich gelernt, Sexualität sei ein Fremdwort und solle es bleiben. Das Gehoppse könne besser oder schlechter verlaufen, vorhin sei es bestens verlaufen.
Karl sagte, er wolle an der Erotik-Firma Joni Jetter eine Schachtelbeteiligung erwerben. So nenne man es, wenn man mindestens fünfundzwanzig Prozent am Grund- oder Stammkapital einer Firma erwirbt.
Die Firma Joni Jetter, sagte sie, wird Herrn von Kahn über mögliche Beteiligungen fair informieren.
Da es nicht gleich wieder regnen will, sagte Karl, sollten wir nach Andechs pilgern.
Auf ins Kloster, sagte sie.
Hin auf dem Hörndlweg, zurück durch das Kienbachtal, sagte Karl.
Ja, mein Verführer, sagte sie.
Seit Karl Benedikt Loibls Berater war, ersetzte er oft den Gang auf den Wank durch die Wanderung von Herrsching nach Andechs. Das warf er sich durchaus vor als nachlassenden Leistungswillen. Droben in Andechs ging er jedesmal in die Kirche, setzte sich jedesmal dem Zuviel dieser Ausstattungspracht aus, ließ sich beregnen von den Gold- und Gnadengaben der Wallfahrtsmaria. Er hatte nie einen Grund gesehen, sich diesem frommen Aufwand zu verschließen. Im Gegenteil, er hatte das religiöse Angebot als brauchbaren Segen akzeptiert.
Joni redete, auch als der Hörndlweg steiler wurde, als spazierten sie durch eine Wiese. Immerhin hatte sie Stiefelchen mitgebracht. Nicht ins Hotel, aber aus dem Kofferraum ihres Z3-Spielzeugs holte sie, was Karl nie bei ihr vermutet hätte: Wanderschuhe mit eingearbeiteten Söckchen. Ein Jeans-Minirock und das eine Handbreite Bauch freilassende Oberteil produzierten eine andere Joni.
Es habe sich noch keiner für das interessiert, was sie hinter sich habe. Noch keiner, sagte sie, als kämen dafür ohnehin nur Männer in Frage. Daß sie jetzt, mit dreiunddreißig, und dreiundddreißig sei ja schon näher bei fünfunddreißig als bei dreißig, daß sie jetzt herumhänge und darauf warte, für die beste Nebenrolle nominiert zu werden, sage doch schon alles. Theodor behaupte immer, sie sei schon nominiert. Ist sie nicht. Theodor kennt einen, der dafür sorgen will. Einer der Obereunuchen, sagt er. Das Kußmäulchen in Alles paletti . Sie, zum zweiten Mal bei Theodor, die Blondine, die ältere Herren einander abjagen. Künstler. Heroen. Die Ehefassaden makellos. Alles paletti. Zuerst hat sie geglaubt, Theodor wolle ihre Sackgassen-Biographie wirklich aufnehmen in diesen Film. Fanden die nicht spannend. Weder Rudi-Rudij noch Theodor. Sie ist doch jedem Mann, der einen Abend lang ernsthaft auf sie einredete, entgegengestürzt. Jedesmal hat sie geglaubt, das ist es. Das ist er. Das muß er sein. Deshalb hat sie nie weniger gegeben als alles. Jedesmal. Und jedesmal Essig. Das sollte einen doch vorsichtig machen. Und was tu ich? Ich marschier mit dir nach Andechs. Und schütte mich dir hin. Das mit den Pocken in Miriams Scheide sei ihr Einfall gewesen.
Karl von Kahn blieb stehen, schaute fragend.
Ja, ihre Schwester habe angerufen, weinend, weil Miriam sich neuerdings weigere, in den Kindergarten zu gehen.
Und, fragte Karl.
Daraus sei bei ihr entstanden, sagte Joni, daß Miriam Pocken in der Scheide habe.
Logisch, sagte Karl.
Ich wollte wissen, wie du auf so was reagierst, sagte sie.
Weil er nicht noch einmal logisch sagen konnte, sagte er: Und, wie habe ich darauf reagiert?
Schrecklich, hast du gesagt, aber du hast nicht Miriam und ihre Scheide gemeint, sondern daß mich das so mitnimmt. Das ist mir sehr einfühlbereit vorgekommen.
Stimmt, sagte er. Und fügte ein riskantes vielleicht dazu.
Als der Weg richtig steil wurde, beschleunigte Karl. Je mehr er beschleunigte, desto leichter wurde er. Wieder dieses Gefühl zu schweben. Aufwärts zu schweben. Natürlich durfte er die Beschleunigung nur so weit steigern, wie der Atem es zuließ. Aber er mußte mehr zulassen, als er wollte. Von den wulstigen, den Weg kreuzenden Wurzelsträngen federte er sich richtig hoch. Und hoffte, daß Joni jetzt bald einmal um Tempo-Ermäßigung bitte. Er würde dieses Tempo durchhalten. Erstens liebte er Joni, zweitens war er trainiert. Daß sie nicht endlich rief, sie komme nicht mehr mit, erbitterte ihn fast. Wenigstens das Reden war ihr vergangen. Dann, als sie aus dem Wald traten, vor sich die weite Wiese bis zum Ortsrand, da erlosch bei Karl die Geh-Energie. Sobald es flach dahinging, empfand er keinen Grund mehr zu gehen. Er hätte sich am liebsten in die Wiese gelegt, aber die war vom Regen noch naß. Er mußte jetzt langsam gehen. Jetzt merkte er, daß er für seine Kondition zu schnell gegangen war.
Du hast ein ganz schönes Tempo drauf, sagte Joni.
Wart’s ab, sagte er, das Finale kommt noch.
Vor dem Kirchengipfel der Abstieg fast in eine Schlucht, dann der Aufstieg zur Kirche über die vielen Stufen, die er immer schon zählen wollte und heute wieder nicht zählen konnte. Droben merkte er, daß Joni an der Kirche vorbei gleich auf die Bräustüberl-Tür zusteuerte. Es tat ihm gut, ihr das zu verwehren. Drinnen ging er ihr so voraus, daß sie folgen mußte, wies ihr einen Platz in einer Bank, den Rest überließ er dem frommen Sturm dieser Kirche. Er merkte, daß Joni sich nicht wehren konnte.
Irgendwann sagte sie ihm ins Ohr: Hier darf man nicht rauchen, das ist gut. Und wieder nach einer Weile: Wenn du mir das Rauchen abgewöhnst, heiraten wir hier.
Er nickte heftig.
Nachher, in der Wirtschaft, als sie zusammen die Schweinshax’n-Portion aßen und dazu die Gläser stemmten, er einen Liter, sie einen halben, sagte sie, daß die mitten im Goldgestrahle thronende Maria auf ihrem zarten Kopf eine gewaltige Goldkrone trage, bitte, sei’s drum, aber daß dem lieben Jesuskind auf ihrem Knie auch schon eine kopfgroße Krone aufgesetzt worden sei, komme ihr vor wie Kindsmißbrauch.
Karl sagte: Laß doch.
Und sie: Was?
Er: Alles. Weil sie immer noch kritisch schaute, sagte er mit großer Handbewegung: Hier ist alles gut. Er brach ein großes Stück von der Riesenbrezen, an der sie beide aßen, hielt es ihr hin, daß sie zubeißen mußte, und sagte: Der Unterschied zwischen Benedikt Loibl und hier ist der Unterschied zwischen einer geschminkten Frau und einer ungeschminkten.
Prosit, Karl, sagte Joni.
Prosit, Joni, sagte er. Auf Kurt.
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