Ich bewundere dich, sagte er.
Das kannst du gar nicht oft genug sagen, sagte sie.
Und nominiert für die beste Nebenrolle, sagte Karl. Dabei siehst du aus wie die Hauptrolle persönlich.
Find ich auch, sagte sie.
Es dürfte keine Nebenrollen geben, sagte er.
Dann gäbe es keine Hauptrollen, sagte sie.
Das Essen war vorbei. Joni rauchte weiter.
Sie sagte: Eines ist sicher, ich stecke das Rauchen. Mein Vater ist mit neunundfünfzig gestorben. Kehlkopfkrebs.
Karl sagte, dann rauche er eine mit.
Und sie: Was die auf der Uni an Geschichte geboten haben, das langt noch nicht mal fürs Kreuzworträtsel. Entschuldige, ich habe zu lange geredet. Sommer 92, du hast mich nach dem Sommer 92 gefragt. Wer mich nach dem Sommer 92 fragt, tritt eine Lawine los. Warum hast du gefragt?
Und er: Weil du gefragt hast, was ich tu, wenn ich arbeite. Aber das kann ich dir jetzt nicht auftischen.
Sie gab nicht nach. Die Elendspartie ihres Lebens liege hinter ihr. Keine Flucht mehr nirgendwohin, sondern brav beim lieben und durchaus auch grauenhaften Theodor Rodrigo Strabanzer bleiben.
Warum Rodrigo, fragte Karl.
Barcelona, die katalanische Großmutter. Ein Großmamakind. Ende. Her mit deinem Sommer 92.
Karl bestellte die nächste Flasche Zweigelt.
Du betrinkst dich absichtlich, sagte sie.
Ich trinke mich davon, sagte er.
Feigling, sagte sie.
Mindestens, sagte er.
Also, sagte sie, Sommer 92.
Das sei eben sein Sommer gewesen, sagte er. Er setze jetzt alles, was zwischen ihnen an Annäherung passiert sei, aufs Spiel. Nach ihrer vom Ruhrgebiet bis München rasenden Biographie sei, was er mit dem Sommer 92 zu bieten habe, nicht mehr anbietbar. Allerdings, er ist der, der im Sommer 92 das und das geleistet hat. Er verleugnet sich nicht. Ende. Würde Strabanzer sagen.
Fang an, sagte Joni Jetter.
Ja, gut, in diesem Sommer hat er gekämpft, kein Blutvergießen, ein Nervenkrieg, lebendiger kann er nicht sein, als er war im Sommer 92. Der Markt ist etwas Unvergleichliches. Am ähnlichsten ist noch das Wetter. Aber die Beobachtung des Wetters ist leichter als die des Marktes. Am Marktgeschehen sind unzählbar viele beteiligt. Im Sommer 92 hat jeder sehen können, daß das britische Pfund und die italienische Lira schwächelten. Sie galten im täglichen Marktgeschehen nicht so viel, wie sie nach dem Willen ihrer Regierungen hätten gelten sollen. Es sind die Regierungen, die Finanzverwaltungen, die Notenbanken, die glauben, sie könnten die Kurse ihres nationalen Geldes auf einem Niveau halten, das der heimischen Wirtschaft nützt. Es gibt aber nichts Internationaleres als den Markt. Im Sommer 92 hat er, haben viele gegen die politischen Machenschaften agiert. Die in London wurden nervös, der Markt merkt das und reagiert. Die Herren Premierminister, Finanzminister und deren Stäbe haben nicht zugeben können, daß der Markt das Pfund anders bewertet, als sie das gern gehabt hätten. Also hat er gleich mal einen Kredit von fast drei Millionen Pfund aufgenommen und diese Pfunde eingetauscht gegen Mark. Fast sechs Millionen Mark wurden ihm dafür gutgeschrieben. Dann zugeschaut, wie die Herrn in London durch ihre Rettungsmanöver dem Pfund den Rest geben. Sie haben es schließlich vom Markt nehmen müssen. Er bezahlt Ende September seine geliehenen Pfunde zurück, aber jetzt ist das Pfund viel weniger wert als im Hochsommer. Von den fast sechs Millionen Mark, die ihm für die geliehenen drei Millionen Pfund gutgeschrieben worden waren, braucht er für die Rückzahlung nur noch fünfeinhalb, also mit knapp fünfhunderttausend wird er belohnt dafür, daß er sich daran beteiligt hat, hochmögenden Politikern eine Markterfahrung zu verschaffen. Das war sein Sommer 92.
Und warum machen das nicht alle, fragte Joni.
Das frage ich mich auch, sagte Karl. Wieviel du einsetzen kannst, hängt allerdings davon ab, wieviel Kredit du hast. Aber ein bißchen Kredit hat jeder. Und wer dem Markt angehört, der geht immer über seine Kreditwürdigkeit hinaus. Wenn die Politik sich durchgesetzt hätte, wäre er ruiniert, teilruiniert, fast ruiniert gewesen. Aber die Politik kann sich gegen den Markt so wenig durchsetzen wie gegen das Wetter. Im Chinesischen gibt es für Risiko und Chance nur ein Wort. Das ist die Weisheit Chinas. Im Englischen nennt man, was er getan hat, nicht Spekulieren, sondern Wetten. They bet that the pound was overpriced against the D-Mark. Wetten klingt sportlicher als Spekulieren. Aber beide Wörter wollen nichts wissen von der Natur des Geldes, des Geldwerts. Das Geld hat ja an sich keinen Wert. Du mußt es in ein gewinnbringendes Verhältnis bringen.
Klingt philosophistisch, sagte Joni.
Da wußte er, daß er ihre Neugier falsch bedient hatte. Sie hatte ein Strabanzer-Wort benutzt. Bis jetzt waren sie hier gesessen, als wären sie beide zum ersten Mal hier. Benedikt Loibl hatte das Lammgigot mit Rahmpolenta so angeboten, daß nicht an die Thymianpolenta zum Lammcarré gedacht werden mußte. Auf dem Teller erinnerte die weiße, fast breihafte Rahmpolenta kein bißchen an die massiv gelbe Polenta von gestern. Ich bin ein Südtiroler, vergeßt das nie. Dann zweimal Polenta. Aber Joni schien von dergleichen nicht heimgesucht zu werden. Karl wußte, das war wieder der Augenblick, in dem nur die Angst ihn unwiderstehlich machen konnte.
Joni fragte flüsternd, ob er den am Tisch direkt unter dem Ludwig-Spruch kenne.
Karl schaute hin.
Joni bat sofort, er möge nicht so auffällig hinschauen. Das ist doch der … dieser Moderator, der von Sat 1, der immer die Leute ausquetscht.
Karl mußte gestehen, daß er den nicht kenne. Er probierte eine andere Nummer. Geld, Joni, sagte er, was ist es für dich, Geld.
Das, was mir immer fehlt, sagte sie.
Also vermehren wir’s, sagte er.
Ja, bitte, sagte sie.
Wir tun nichts anderes mehr als Geld vermehren, sagte er, einverstanden?
Prima, sagte Joni.
Geld ausgeben wird uninteressant, sagte er. Wir vermehren es. Ob sie darauf vorerst einmal mit ihm trinke.
Sie tranken auf die Geldvermehrung.
Geldausgeben ist nur wichtig, wenn du zu wenig Geld hast. Wenn du Geld vermehrst und vermehrst, mußt du überhaupt keins mehr ausgeben. Joni, jetzt fange ich auch an zu vergleichen. Joni Jetter, Künstlerin. Hör zu. Was ist der Erfolg in der Kunst?
Ankommen, sagte sie.
Wenn der Erfolg, egal wodurch, gesichert ist, zugesagt ist, garantiert ist, sagte er, was ist dann?
Da der Erfolg nie garantiert ist, erübrigt sich die Frage, sagte sie.
Joni Jetter, wenn der Erfolg garantiert wäre, wäre er dann für den Künstler noch genauso wichtig, wie wenn er ewig unsicher ist?
Wahrscheinlich nicht, sagte sie.
Und Karl: Was könnte dann das Wichtigste werden für den Künstler?
Die Kunst, sagte sie prompt.
Ja, jubelte Karl, die Kunst. Die Sache selbst. Und so ist es beim Geldvermehren, wenn nicht mehr gefragt werden muß, wozu. Wozu Geld? Die Wozu-Frage trivialisiert Geld. Bitte, nicht sagen: das Geld. Einfach: Geld. Aber — und jetzt lohnt sich der Vergleich mit der Kunst — wenn in der Kunst der Erfolg garantiert ist, wird die Kunst selbst das Wichtigste. L’art pour l’art heißt das, glaube ich. Der Erfolg wird sekundär. Aber beim Geldvermehren wird das Geldvermehren, auch wenn Geld ausgeben uninteressant geworden ist, kein l’art pour l’art, weil ja doch vermehrt und vermehrt wird. Das ist das Einzigartige, also Unvergleichliche des Geldes. Kunst um der Kunst willen weiß nicht mehr, ob sie noch Kunst ist oder schon Wahn. Politik um der Politik willen wäre asozial, zynisch, absurd oder verbrecherisch. Wissenschaft um der Wissenschaft willen wäre menschenfeindlich. Geld vermehren um des Geldvermehrens willen entgeht diesen Gefahren. Es produziert. Es produziert Wert. Und da ist keine philosophische Diskussion nötig, was das für ein Wert sei. Dafür steht die Zahl. Die Zahl ist die Hauptsache. Die Zahl ist der einzig gültige Ausdruck des Geldes. Die Zahl ist der Sinn des Geldes. Die Zahl ist das Geistigste, was die Menschen haben, was über jede Willkür erhaben ist. Die Zahl ist kein Menschenwerk. Die Menschen haben die Zahl nicht geschaffen, sondern entdeckt. Also sage ich dir zum Schluß: Das Absahnen, Gewinnmitnehmen samt Geldausgeben ist die triviale Dimension. Ich sage verständnisvoll: die irdische Dimension. Wer aber Geld spart und verzinst, erlebt den ersten Schauer der Vermehrung. Ich sage: der Vergeistigung. Der Zins ist die Vergeistigung des Geldes. Wenn der Zins dann wieder verzinst wird, wenn also der Zinseszins erlebt wird, steigert sich die Vergeistigung ins Musikgemäße. Das ist kein Bild, kein Vergleich, das ist so. Die Zinseszinszahlen sind Noten. Wenn wir aber den Zinseszins-Zins erleben, erleben wir Religion. Der Wirklichkeitsgrad, Vergeistigungsgrad des Zinseszins-Zins-Effekts macht die Zahl zum Religionstext. Und der drückt sich aus in der Zahl. Spürbar wird Gott. Auf jeden Fall entspricht ihm nichts so sehr wie die Zahl. Zum Schluß, Joni Jetter, kein Lammgigot ohne Utopie: Die Menschheit muß es so weit bringen, daß jeder eine Arbeit tut, die er um ihrer selbst willen tut. Dann hört das Entfremdungsgejammer auf. So weit wird es kommen. Dann entfallen alle vorläufigen Ersatzreligionen mit ihren uneinlösbaren Versprechungen. Das wird die absolute Erhabenheit des Geldes erst erweisen. Geld vermehren, um seiner selbst willen betrieben, ist nämlich die einzige menschliche Tätigkeit, die, auch wenn sie um ihrer selbst willen betrieben wird, unanzweifelbare Werte schafft. Bei allen anderen Tätigkeiten liegt der Wert darin, daß die Arbeit schon um ihrer selbst willen getan wird, egal, was dabei herauskommt. Nur bei Geldvermehrung um ihrer selbst willen entsteht, ausgedrückt durch die Zahl, Wert für alle.
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