Diese Lachimitation war erstaunlich leise.
Sie hieß also Joni. Karl dachte: Das ist die Fortsetzung Benedikts mit anderen Mitteln. Zehn Jahre jünger. Das blondeste Blond so ums Gesicht verschleudert, daß Karl Helens immer den Kopf genau nachzeichnendes Blond einfiel. Angesichts dieses Haarzerwürfnisses fragte man sich, da Kamm und Bürste das nicht bewirkt haben konnten, wie diese schöne Unordnung zustande gekommen sein mochte. Auf das Gesicht kam es vorerst nicht an. In hellstem Champagnergold ein Kleid, nein, kein Kleid, ein feiner, gleißender Fetzen, der schwang sich von der rechten Hüfte als rüschenbesetzter Bogen zum linken Knie hinab, darunter dasselbe Kleid, überall in Rüschen endend. Zuerst soll man also denken: Schaut her, ich hab mir einen Fetzen übergeworfen. Dann begreift man, da ist alle Kunst aufgewendet, einen schludrigen Eindruck zu produzieren. Aber dieser am Körper haftende Fetzen war nicht die Hauptsache. Die Hauptsache wurde offen, halboffen ausgestellt. Die Brüste. Halb standen sie dem Kleid zur Verfügung, halb der Öffentlichkeit. Nichts konnte diesen ansehnlichen Brüsten fremder sein als ein Büstenhalter. Halb zwischen, halb unter diesen einander so gut wie nicht und doch fast berührenden Brüsten fand das Kleid zusammen, tat, als sei dazu eine dünne Schleife nötig, und unter der Schleife drei Nähte, die den Eindruck erwecken sollten, da werde ein Körper eng zusammengehalten. Karl verbarg nicht, daß er zuerst einmal alles anschauen mußte.
Joni sagte: Was mir um den Hals und an den Ohren hängt, dürfen Sie nicht auslassen. Heißt Mondstein. Ein Halbedelstein. Schauen Sie. Und drehte den Stein zwischen den halboffen ausgestellten Brüsten. Der Stein wurde zum Champagnertropfen.
Eben ein Opportunist, sagte Herr Strabanzer.
Oder ein Chamäleon, sagte Joni. Wäre Ihnen die Kronprinzen-Stube lieber gewesen, fragte sie.
Weil das die größte ist, wird Joni da von mehr Leuten angestarrt und ausgezogen als hier in der Karl-Theodor-Stube, die die kleinste ist, sagte Herr Strabanzer.
Joni kümmerte sich nicht um ihren Herrn und sagte zu Karl, der Ludwig-Text in der Kronprinzen-Stube sei ihr der liebste Ludwig-Text. Und sagte ihn auf:
Das Glück ist wirklich, wo ich es empfinde.
Im Denken findt der Mensch des Wissens Leere.
Um glücklich seyn zu können, muß er fühlen.
Danke, sagte Herr Strabanzer, als sage er: Jetzt reicht’s aber.
Und redete weiter. Auch als an den anderen vier Tischen Gäste saßen, redete er weiter, als sei man allein. Er hatte ein bei den Mundwinkeln endendes Bärtchen, dirigierte, was er sagte, mit übermäßig langen Händen und hatte nicht nur eine schnarrende Stimme, sondern auch eine schnarrende Art zu reden. Hände, Stimme, Wortart, alles zusammen ergab einen Offizier, wie ihn kein Militär ertrüge.
Er ist ein Feind Amerikas. So fing er an. Er hätte auch sagen können: Auf der Marsoberfläche wurden Gänseblümchen gesichtet. Wenn er so anfing, konnte man so anfangen. Er war der Dirigent und das Orchester. Vielleicht waren die Ärmel seiner gelbgrünen Seidenjacke extra kurz gehalten, damit seine nie ruhenden Hände lang herauskamen. Er war insgesamt lang, hoch. Steil, dachte Karl noch dazu. Den zwischen Grün und Braun irrlichternden Strohhut hatte er wie ein Artist durch die Luft auf einen Kleiderhaken segeln lassen. Eine Wegwerfbewegung, die zur Unform dieses Huts paßte. Die zu breite Krempe links und rechts so hinaufgebogen, daß es aussah, als könne das nicht beabsichtigt sein. Genau wie die Unfrisur der jungen Frau. Und das Hemd wollte keine Farbe haben, wohl aber eine historisch wirkende, an Film-Ritter erinnernde Tiefsilbertönung. Und eine grell violette Fliege. Immerhin eine Art Gruß für Karl von Kahns Krawatte.
Strabanzer sprach auch hier zu laut. Im Stimmengewirr der Stube war das Karl angenehmer als am Telefon. Karls rechtes Ohr hörte nicht mehr so gut. Das wußte außer ihm niemand. Nicht einmal Helen. Er drehte seinen Kopf immer um ein Winziges nach links, kam sich dabei vor wie ein Schlachtschiff, das einen Strich auf Backbord dreht, um seine Kanonen in Schußrichtung zu bringen. Strabanzer will also nicht ein Feind Wallstreet-Amerikas oder Washington-Amerikas sein. Er ist, obwohl gebürtig in Tirol und erzogen in Barcelona, ein Verehrer des Mittleren Westens und ein Texas-Anbeter sowieso, er ist ein Feind Hollywoods, ein Feind Hollywood-Amerikas. Hollywood macht uns platt. Europa, mein paisaje del alma, platt wird’s gemacht.
Jetzt wurde eingeschenkt. Den Wein hatte Strabanzer befohlen. Das Lammcarré muß geritzt werden durch den gefährlichsten Rioja, den Benedikt auffahren kann.
Weiter ging’s.
Hollywood rasiert Europas Kulturflor, die Europeoples ziehen sich Hollywood-Fast-Food rein, Europa hißt die Flagge: Hollywoods Geschmackskolonie. In den antecedentes dorados hat es doch italienische Filme gegeben, und spanische und französische und englische und dänische und auch deutsche. Sogar amerikanische. Es wird geben nur noch Hollywood. Aber was wären wir für blöde Bären, wenn wir trauerten, bloß weil wir auf der Aussterbeliste stehen. Wir drehen weiter. Zuerst haben wir zwanzig Jahre lang das Zahnarztgeld verfilmt. Jetzt mußt du durch die Dramaturgie-Passion, das Drehbuch geschultert, ein paar Stationen mehr, als unser Herr Jesus durchwankte. Dann die Finanzierungspassion der Länder: Filmstiftung NRW, MFGBW, BBF, MBBB. Jedes Land ringt sich ein Schärflein ab, wenn du in Köln drehst, in Hamburg schneidest, in Stuttgart synchronisierst und in München pinkelst. Betteln macht böse. Sobald die Finanzierung steht, nimmt dir der DVD-Wichser noch schnell die Hälfte ab für nichts als eine Zukunftsgaukelei. Aber es gibt doch Medien-Fonds, nicht wahr! Wir kommen zur Sache. Wenn man dem Bundesfinanzministerium vormacht, der Kapitalist dürfe ins Buch dreinreden, dann darf der seinen Obolus von der Steuer abziehen. Das ist die Zahnarztvariante à la mode. Die Fonds-Haie schnappen Geld natürlich am liebsten für Hollywood. Beispiel Monster . Billig-Thriller. In USA zweieinhalb Millionen DVDs. In Deutschland zweihundertsechsundsechzigtausend! Charlize Theron greift zur Pistole, als wär’s ein Stück von mir. Oder von dir. Bär, Globe, Oscar! Beute! Weltweit einhundertfünfzig Millionen. Was Hollywood kassiert, nennt man den Löwenanteil. Frage: Wollen Sie meinen nächsten Film finanzieren? Die Materie muß klingen, meine mit Ihrer. Ich bitte Sie, mich samuraimäßig zu mustern und ja zu sagen oder nein. Aus mir tönt, das sage ich unverlangt dazu, das größte Instinktdesaster meiner Laufbahn. Nach neun Jahren Intimstkooperation haut Partner Patrick ab. Hat zwei Millionen ins schönste Südfrankreich geschafft, dort sind sie verschwunden. Patrick kommt zurück, sitzt in seinem Rollstuhl, unansprechbar. Ich schalte um auf Humanfrequenz, fange an mit ganz lieben Fragen, wie ist das Klima in Saint-Tropez. Da sagt Patrick, ohne daß er aufhörte, aus dem Fenster zu starren, deutlich nur zu seinem Anwalt: Wie kann man mir, der ich gerade einen Selbstmordversuch hinter mir habe, solche Fragen stellen.
Sein Anwalt erklärte, Patrick sei mit dem Messer auf seine Frau losgegangen, weil sie das von ihm gekochte Linsengericht abgelehnt hat. Drei Monate Klapsmühle. Ob er Strabanzer noch kennt, ist unklar. Sein Anwalt: Er will alles wiedergutmachen. Wurde erpreßt. Er hat Zungenkrebs. Die Beule an seiner Stirn stammt nicht von einem Streit mit seiner Frau, er ist von diesem Scheißrollstuhl gekippt. Die Rollstühle werden jedes Jahr riskanter. Strabanzers Anwalt winkt ab. Keine Chance. Wenn Patrick sich auf die Zunge beißt, hat er nachher Zungenkrebs. Aufgeben. Wenn wir das neue Jahr ohne die zwei Millionen erreichen, haben wir’s geschafft … So läuft das, lief das. Strabanzer ging hin zu dem, der nur noch aus dem Fenster starrte, streichelte ihn und sagte: Armes Schwein. Als Patrick auch darauf nicht reagierte, drehte sich Strabanzer um und verließ das Zimmer wie Napoleon das Schlachtfeld von Waterloo. Wird gebucht unter Instinktdesaster. Ende.
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