Paulo Coelho - Der Fünfte Berg

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Paulo Coelho versetzt uns 3000 Jahre zurück ins Jahr 870 v. Chr. und erzählt in einfacher, moderner Sprache die Geschichte des Propheten Elia. Wir hören, wie der junge Rebell und Prophet wider Willen vor den Häschern der Heidenprinzessin Isebel nach Phönizien flieht, wo er als Fremder ausgeschlossen und zum Sündenbock für alles Unheil wird. Elia kämpft ums Überleben, für seinen Glauben und für seine neue Heimat. Und aus diesem Kampf wird immer mehr ein Ringen um Selbstbestimmung, ein Ringen mit Gott.

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»Ich wußte nicht, daß wir so viele Soldaten haben. Unsere Krieger sind die besten!« Er ließ den Jungen stehen und trat auf die Straße hinaus. Er mußte unbedingt zum Stadthauptmann. Die anderen Bewohner der Stadt waren auch vom Klang der Kriegslieder geweckt worden und sahen gebannt dem Bataillon nach, das in Reih und Glied mit seinen Lanzen und Schilden vorbeizog, in denen sich die ersten Sonnenstrahlen spiegelten. Der Kommandant hatte hervorragende Arbeit geleistet, sein Heer gleichsam über Nacht kampffähig gemacht und wollte ihnen allen nun weismachen, daß sie die Assyrer besiegen könnten.

Elia bahnte sich einen Weg durch die Soldaten und gelangte bis an den Anfang der Kolonne, die der Kommandant und der Stadthauptmann, beide hoch zu Roß, anführten.

»Wir hatten ein Abkommen«, sagte Elia, indem er neben dem Stadthauptmann herlief. »Ich kann ein Wunder tun!« Der Stadthauptmann antwortete ihm nicht. Das Heer trat aus den Mauern heraus und marschierte zum Tal.

»Ihr wißt, daß dieses Heer eine Illusion ist!« beharrte Elia. »Die Assyrer sind fünfmal mehr und haben außerdem Kriegserfahrung! Laßt nicht zu, daß Akbar zerstört wird!« »Was wollt Ihr von mir?« fragte der Stadthauptmann, ohne sein Pferd anzuhalten. »Gestern nacht habe ich einen Boten zu Euch geschickt, damit wir miteinander reden, und mußte mir sagen lassen, Ihr seiet draußen im Tal. Was blieb mir anderes übrig?« »Den Assyrern auf offenem Feld begegnen ist Selbstmord! Ihr wißt das!« Der Kommandant hörte dem Gespräch schweigend zu. Er hatte die Strategie bereits mit dem Stadthauptmann abgesprochen, und der israelitische Prophet würde eine Überraschung erleben.

Elia lief weiter planlos neben den Pferden her.

>Hilf mir, Herr<, flehte Elia bei sich. >Wie Du die Sonne angehalten hast, um Josua in der Schlacht zu helfen, halte die Zeit an und mach, daß ich den Stadthauptmann von seinem Fehler überzeuge.< Genau in diesem Augenblick brüllte der Kommandant: »Halt!« »Vielleicht ist dies ein Zeichen«, sagte sich Elia. »Ich muß es nutzen.« Die Soldaten bildeten zwei Schlachtreihen, die Menschenmauern glichen. Die Schilde wurden fest auf den Boden gestützt, und die Waffen wiesen nach vorn.

»Ihr meint, Ihr seht das Heer von Akbar«, sagte der Stadthauptmann zu Elia.

»Ich sehe junge Männer, die im Angesicht des Todes lachen«, war die Antwort.

»Das hier ist aber nur ein Bataillon. Der größte Teil unserer Männer ist in der Stadt auf den Mauern. Wir haben dort Kessel mit kochendem Öl, das auf jeden gegossen wird, der hochzuklettern versucht.

Wir haben Nahrungsmittel in verschiedenen Häusern gelagert, um zu verhindern, daß Brandpfeile unsere ganze Nahrung vernichten. Nach den Berechnungen des Kommandanten könnten wir der Belagerung fast zwei Monate standhalten. Die Assyrer haben sich vorbereitet, wir aber auch.« »Ihr habt es mir nie erzählt«, sagte Elia.

»Vergeßt nicht, auch wenn Ihr dem Volk von Akbar geholfen habt, so seid Ihr doch ein Fremder, und einige Militärs vermuten, Ihr seiet ein Spion.« »Aber Ihr wolltet doch Frieden?« »Der Friede ist immer noch möglich, auch nach dem Beginn der Schlacht. Nur verhandeln wir dann von gleich zu gleich.« Der Stadthauptmann erzählte, daß Boten nach Tyrus und Sidon geschickt worden waren, um diese über den Ernst der Lage zu unterrichten. Hilfe anfordern konnte er nicht, wenn er nicht als unfähiger Wicht dastehen wollte. Trotzdem hatte er keine andere Wahl. Der Kommandant hatte einen genialen Plan ausgeheckt: Sofort nach Schlachtbeginn werde er selbst in die Stadt zurückkehren und dort den Widerstand organisieren. Die Truppe, die jetzt im Feld stand, sollte so viele Feinde wie möglich töten und sich dann in die Berge zurückziehen. Sie kannten das Tal so gut wie niemand sonst und konnten die Assyrer immer wieder aus dem Hinterhalt angreifen und so den Druck der Belagerung mildern.

Bald schon würde Hilfe kommen, und das assyrische Heer würde vernichtet werden. »Wir können siebzig Tage standhalten, doch so weit wird es nicht kommen«, sagte der Stadthauptmann zu Elia.

»Doch viele werden sterben.« »Wir stehen alle im Angesicht des Todes. Und niemand hat Angst, auch ich nicht.« Der Stadthauptmann konnte seinen eigenen Mut nicht fassen.

Er war nie in einer Schlacht gewesen, und je näher der Kampf rückte, desto öfter trug er sich mit dem Gedanken, aus der Stadt zu fliehen. An jenem Morgen hatte er mit seinen Getreuen den Rückzug geplant. Nach Tyrus oder Sidon konnte er nicht, weil er sonst als Verräter dastand, doch Isebel würde ihn aufnehmen, da sie vertrauenswürdige Männer an ihrer Seite brauchte.

Dennoch, als er das Schlachtfeld betrat, sah er in den Augen der Soldaten eine unendliche Freude – als hätten sie das ganze Leben lang nur für diese Stunde trainiert.

»Die Angst besteht bis zu dem Augenblick, in dem das Unabwendbare geschieht«, sagte er zu Elia. »Danach gilt es nur noch, die Kräfte beisammenzuhalten.« Elia war verwirrt. Er fühlte dasselbe, wenn er sich auch dafür schämte; er mußte an den Jungen denken, wie fasziniert er die Truppe angesehen hatte.

»Geht«, sagte der Stadthauptmann. »Ihr seid ein wehrloser Fremder und braucht nicht für etwas zu kämpfen, woran Ihr nicht glaubt.« Elia rührte sich nicht.

»Sie werden kommen«, sagte der Kommandant. »Ihr mögt überrascht sein, doch wir sind vorbereitet.« Elia rührte sich nicht von der Stelle.

Sie blickten zum Horizont. Nicht der kleinste Staubwirbel, das assyrische Heer verharrte unbeweglich.

Die Soldaten in der ersten Reihe hielten ihre Lanzen fest in der Hand. Die Bogenschützen hatten die Sehnen halb gespannt, um die Pfeile sofort abzuschießen, wenn der Kommandant den Befehl dazu gab. Einige der Männer hieben mit dem Schwert in die Luft, um die Muskeln warm zu halten.

»Sie werden kommen«, wiederholte der Kommandant euphorisch. »Alles ist bereit.« Brannte er denn so darauf, daß die Schlacht begann und er kämpfen und seine Tapferkeit beweisen konnte? Sah er im Geiste schon die assyrischen Soldaten, die Schreie und das Durcheinander, und sich selber als mustergültigen Führer und mutigen Helden, den die phönizischen Priester späteren Generationen als Vorbild preisen würden?

»Sie rühren sich nicht«, sagte der Stadthauptmann.

Und Elia erinnerte sich, wie er den Herrn gebeten hatte, er möge die Sonne am Himmel stillstehen lassen, wie einstmals für Josua. Er versuchte, mit seinem Engel zu reden, doch er hörte seine Stimme nicht.

Allmählich senkten die Lanzenträger ihre Lanzen, die Bogenschützen lockerten die Spannung ihres Bogens, die Schwertkämpfer steckten ihre Schwerter in die Scheide zurück.

Die Sonne brannte im Mittag, und einige Krieger wurden wegen der Hitze ohnmächtig. Dennoch blieb das Bataillon bis zum Ende des Nachmittags in Bereitschaft.

Als sich die Sonne verbarg, kehrten die Krieger nach Akbar zurück. Sie schienen enttäuscht, den Tag überlebt zu haben.

Nur Elia blieb im Tal zurück. Er wanderte eine Zeitlang ziellos umher, bis er das Licht sah. Der Engel des Herrn trat zu ihm.

»Gott hat dein Gebet erhört«, sagte der Engel. »Und er hat deine Seelenqual gesehen.« Elia wandte sich zum Himmel und dankte für den Segen.

»Der Herr ist die Quelle der Herrlichkeit und der Macht. Er hat das assyrische Heer zurückgehalten.« »Nein«, entgegnete der Engel. »Du hast gesagt, Er müsse die Wahl selbst treffen. Und Er hat die Wahl für dich getroffen.« »Laß uns fortgehen«, sagte Elia zur Frau und ihrem Sohn.

»Ich will nicht fort«, antwortete der Junge. »Ich bin stolz auf die Soldaten von Akbar.« Die Mutter zwang ihn, seine Habseligkeiten zusammenzupacken. »Nimm nur mit, was du tragen kannst«, sagte sie.

»Du vergißt, daß wir arm sind und ich nur wenig besitze.« Elia ging hinauf in sein Zimmer. Er blickte um sich, als würde er es nie mehr sehen.

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