«Unsinn«, sagte Georgette und trocknete sich die Hände.»Du bist nicht zu Höherem geboren. So eine heiratet dich nicht. Bei dir gibt es nichts zu erwecken. Archilochos ist ein Sonntagskind, das habe ich immer gespürt, und ein Grieche. Wirst sehen, wie sich der noch entwickelt. Der taut noch auf, und wie. Die Frau ist prima. Daß sie endlich von ihrem Geschäft loskommen will, ist nur natürlich. Es ist schließlich auch anstrengend auf die Dauer und alles andere als immer angenehm. Das wollen die alle von dieser Sorte, das wollte auch ich. Den meisten gelingt es freilich nicht, die enden wirklich in der Gosse, wie man immer predigt, einigen langt es gerade zu einem Auguste mit nackten Beinen und einem gelben Radfahrerkostüm — eh bien, ich bin auch zufrieden damit, wenn wir schon von dieser Zeit sprechen, und einen Großindustriellen habe ich nie gehabt. Da hatte ich das berufliche Format nicht. Bei mir verkehrten nur kleinbürgerliche Kreise, einige vom Finanzamt und einmal ein Aristokrat für vierzehn Tage, der Graf Dodo von Malсhern, der letzte seiner Familie, schon lange beerdigt. Aber der Chloé wird es gelingen. Die hat ihren Archilochos, und das wird was Feines.»
Unterdessen fuhr Archilochos in einem Taxi zur Weltbank und dann zu einem Reisebüro am Quai de l'Etat. Er betrat einen weiten Raum, mit Landkarten und farbigen Plakaten an den Wänden: >Besucht die Schweiz. Der sonnige Süden lockt dich. Mit der Air France nach Rio. Das grüne Irland.< Angestellte mit höflichen, glatten Gesichtern. Schreibmaschinengeklapper. Neonlicht. Fremde mit seltsamen Sprachen.
Er möchte nach Griechenland reisen, sagte Archilochos. Nach Korfu, nach dem Peloponnes, nach Athen.
Die Agentur vermittle keine Reisen auf Kohlendampfern, bedauerte der Angestellte.
Er möchte mit der >Julia< reisen, wandte Archilochos ein. Er wünsche eine Luxuskabine für sich und seine Frau.
Der Angestellte blätterte in einem Kursbuch, gab einem spanischen Zuhälter (Don Ruiz) die Daten eines Zugs. Es seien keine Plätze auf der >Julia< mehr frei, sagte er endlich und wandte sich einem Kaufmann aus Kairo zu.
Archilochos verließ das Reisebüro und setzte sich in das wartende Taxi. Überlegte. Wer der beste Schneider in der Stadt sei, fragte er dann den Chauffeur.
Der wunderte sich.»O'Neill-Papperer in der Avenue Bikini und Vatti in der Rue St. Honoré«, gab er zur Antwort.
«Der beste Friseur?»
«José am Quai Offenbach.»
«Das erste Hutgeschäft?»
«Goschenbauer.»
«Wo kauft man die besten Handschuhe?»
«Bei De Stutz-Kalbermatten.»
«Gut«, sagte Archilochos.»Zu diesen Geschäften. «So fuhren sie zu O'Neill-Papperer in der Avenue Bikini und zu Vatti in der Rue St. Honoré, zu José am Quai Offenbach und zu De Stutz-Kalbermatten, dem Handschuh-, und zu Goschenbauer, dem Hutgeschäft. Er kam durch tausend Hände, die an ihm nestelten, maßen, säuberten, schnitten, rieben, veränderte sich zusehends, stieg stets eleganter, duftender in das Taxi, nach Goschenbauer mit einem silbergrauen Edenhut auf dem Kopf, und fuhr am späten Nachmittag wieder vor dem Reisebüro am Quai de l'Etat vor.
Er wünsche eine Luxuskabine mit zwei Betten auf der >Julia<, sagte er mit unveränderter Stimme zu dem Angestellten, der ihn abgewiesen hatte, den silbergrauen Edenhut auf die Glasfläche legend.
Der Beamte begann ein Formular auszufüllen.»Die >Julia< fährt nächsten Freitag. Korfu, Peloponnes, Athen, Rhodos und Samos«, sagte er.»Darf ich um Ihren Namen bitten?»
Aber nachdem Arnolph die zwei Billette bezahlt und sich entfernt hatte, wandte sich der Angestellte zum spanischen Zuhälter, der immer noch herumlungerte und Reiseprospekte durchblätterte, um hin und wieder den Besuch einiger Damen zu empfangen, die (ebenfalls Prospekte studierend) Geldscheine in seine vornehmen, schmalen Hände gleiten ließen.
«Skandalös, Senor«, meinte der Angestellte angewidert und auf spanisch (das von der Abendschule stammte),»da kommt ein Straßenputzer oder Schornsteinfeger, verlangt zwei Billette für die >Julia<, die wirklich nur für die Aristokratie und für die allererste Gesellschaft reserviert ist (er verneigte sich vor Don Ruiz), nimmt doch der Prinz von Hessen an der nächsten Fahrt teil, Mrs. und Mr. Weeman und die Loren — und wie man ihm dies anständigerweise verweigert, aus Menschenfreundlichkeit noch, da er sich sonst ja nur blamieren würde, kehrt der Kerl zurück in seiner ganzen Frechheit, gekleidet wie ein Lord, reich wie ein Schlotbaron, und ich muß ihm die Billette ausliefern — was vermag ich gegen das Kapital. Drei Stunden braucht so ein Schurke für seine Karriere. Schätze Bankeinbruch, Vergewaltigung, Raubmord oder Politik.»
«Wirklich empörend«, antwortete darauf Don Ruiz auf spanisch (das von der Abendschule stammte).
Archilochos dagegen, während es schon eindunkelte und die Lichter aufleuchteten, fuhr über die neue Brücke nach dem Boulevard Künnecke, zum Wohnsitz des Bischofs der Altneupresbyteraner der vorletzten Christen, doch fand er vor der kleinen Villa im viktorianischen Stil Bibi vor, mit zerbeultem Hut, zerrissen und verschmutzt, auf dem Trottoirrand sitzend, nach Fusel stinkend und gegen eine Straßenlaterne gelehnt, eine Zeitung lesend, die er im Rinnstein gefunden hatte.
«Wie bist denn du gekleidet, Bruder Arnolph?«fragte dieser, pfiff durch die Zähne, schnalzte mit der Zunge, schneuzte mit den Fingern und faltete die schmutzige Zeitung sorgfältig zusammen.
«Was trägst denn du für Klamotten? Prima Kluft.«»Ich bin Generaldirektor geworden«, sagte Arnolph.
«Sieh mal einer an!»
«Ich werde dich als Buchhalter einstellen in der Geburtszangenabteilung, wenn du mir versprichst, dich zusammenzunehmen. Ordnung muß sein.»
«Nein, Arnolph, meine Natur ist nicht fürs Büro geschaffen. Hast du zwanzig Lappen?»
«Was ist schon wieder?»
«Gottlieb ist eine Fassade hinuntergesaust, Arm kaputt.»
«Welche Fassade?»
«Die von Petit-Paysan.»
Archilochos wurde böse, das erste Mal in seinem Leben.
«Gottlieb hat bei Petit-Paysan nicht einzubrechen«, herrschte er den verwunderten Bruder an,»er hat überhaupt nicht einzubrechen. Petit-Paysan ist mein Wohltäter. Aus schöpferischem Sozialismus hat er mich zum Generaldirektor ernannt, und nun verlangst du noch Geld von mir, Geld, das ich schließlich von Petit-Paysan habe.»
«Wird nicht mehr vorkommen, Bruder Arnolph«, antwortete Bibi mit Würde,»war eine bloße Übung, Gottlieb hat sich auch nur verrechnet. Er wollte beim Gesandten von Chile nach Pinke suchen, dort ist die Fassade auch kommoder. Er hat sich bei der Nummer geirrt, ist ja auch noch ein unschuldiges Kind. Nun gibst du die Lappen?«— und er zeigte seine hohle Bruderhand.
«Nein«, sagte Archilochos,»solche Gaunereien kann ich nicht unterstützen. Ich muß jetzt zum Bischof.»
«Werde auf dich warten, Bruder Arnolph«, sagte Bibi unerschütterlich und entbreitete die Zeitung aufs neue:»Habe die Weltgeschichte zu übersinnen.»
Bischof Moser, dick und rosig, im schwarzen pfarrherrlichen Kleide und steifen, weißen Kragen, empfing Archilochos in seinem Studierzimmer, in einem kleinen, hohen, verrauchten Raum, nur von einem Lämpchen erleuchtet, mit Büchern umstellt, geistlichenundweltlichen, miteinem hohen Fenster hinter schweren Vorhängen, durch das der Schein der Straßenlampe fiel, unter der Bruder Bibi wartete.
Der Besucher stellte sich vor. Er sei eigentlich Unterbuchhalter, heute jedoch Generaldirektor der Atomkanonen- und der Geburtszangenabteilung in der Petit-Paysan-Maschinenfabrik geworden.
Bischof Moser betrachtete ihn wohlgefällig.
«Ich weiß, guter Freund«, lispelte er.»Sie besuchen die Gottesdienste von Prediger Thürcker in der Heloisen-Kapelle, nicht wahr? Bin auch ein wenig im Bilde über unsere liebe altneupresbyteranische Gemeinde. Seien Sie willkommen.»
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