»Wozu braucht ihr zum Essen diese Staatsbeleuchtung? Eure Großtante sagte immer: Auch wenn ihr im Stockdunkeln esst, das Essen schaufelt ihr euch noch lange nicht in die Nase. Strom wird aus Kohle gewonnen, von Menschen in tausend Metern Tiefe unter Tage abgetragen, in der leibhaftigen Hölle! Geldgierige Regierungsangestellte, korrupte Beamte und Grubenherren achten die Bergleute weniger als einen Dreck. Deswegen klebt an jedem Kohlenstück noch frisches Blut!«
Die Tante stemmte, während sie sprach, die rechte Hand in die Hüfte und zeigte mit dem linken Zeige- und Mittelfinger anklagend auf die Lampe. Angezogen war sie mit einer in den Siebzigern schwer modernen Militärkaderuniform aus Polyethylen. Die Ärmel trug sie hochgekrempelt. Sie hatte einen massigen, großen Körper und schlohweißes Haar. Wie ein Kreiskommunekader während der Kulturrevolution sah sie aus. Ich wurde von widerstreitenden Gefühlen übermannt. Wie konnte meine lotusblütengleiche Tante sich so verändert haben?
Als besprochen worden war, ob man sie zu dem Festessen einladen sollte oder nicht, waren mein großer Bruder und meine Schwägerin hin- und hergerissen gewesen. Sie hatten sich mit meinem Vater beraten, der einen Moment gezögert, dann aber entschieden hatte: »Wir werden es besser sein lassen. Außerdem wohnt sie ja nicht mehr bei uns im Dorf ... Wir können es ihr später immer noch sagen.«
Alle fühlten sich wie ertappt, als die Tante so plötzlich erschien. Peinlich berührt erhoben sie sich von ihren Stühlen. Alle waren verblüfft.
»Da kämpfe ich mich all die Jahre allein durchs Leben und komme endlich wieder nach Haus, und ihr bietet mir nicht mal einen Stuhl an?« Tantes Ton war bissig.
Alle reagierten auf der Stelle, und es entstand ein Tumult, weil ihr jeder gleichzeitig seinen Stuhl freimachte. Mein großer Bruder und seine Frau erklärten wieder und wieder:
»Wir haben doch als erstes an dich gedacht, wollten dich einladen. Der Ehrenplatz von uns Wans gebührt immer und zuallererst dir! Daran wird sich nie und nimmer etwas ändern!«
»Also ich muss schon sagen«, Tante Gugu ließ sich schwer auf den Platz neben meinen Bruder fallen, »da hast du den Mund zu voll genommen. Solange dein Vater am Leben ist, bin ich bestimmt nicht an der Reihe, den Ehrenplatz auf dem Lehnstuhl einzunehmen. Und wenn dein Vater eines Tages von uns geht, werde ich auch nicht auf den Ehrenplatz gebeten werden. Denn verheiratete Töchter sind wie auf dem Hof weggeschüttetes Wasser. Da bist du sicherlich mit mir einer Meinung, nicht wahr, lieber Neffe?«
»Du bist nicht – wie die anderen Mädchen – einfach nur eine Tochter! Du bist eine besonders verdienstvolle Persönlichkeit unserer gesamten Großfamilie!« Mein Vater zeigte auf jeden einzelnen der am Tisch Sitzenden. »Schau dir doch die Jüngeren in unserer Familie an. Da ist keiner dabei, den du nicht auf die Welt geholt hast.«
»Ein ganzer Kerl rühmt sich nicht vergangener Großtaten. Sich an frühere Zeiten zu erinnern, darüber zu sprechen, ist unnötig. Aber nun lasst uns trinken«, meinte meine Tante. »Wie kommt’s, dass ich nicht mal ein Schnapsglas bekomme, wo ich den Schnaps sogar noch mitbringe!«
Sie fischte eine Flasche Maotai aus ihrer geräumigen Jackentasche und stellte sie mit einem lauten Knall auf den Tisch: »Hier! Fünfzig Jahre alter Maotai, von einem hohen Tier aus Tinglan geschenkt gekriegt! Seine achtundzwanzig Jahre jüngere Geliebte war fest entschlossen, einen Jungen zur Welt zu bringen. Sie wollte meine Hilfe, denn ich hätte doch ein Geheimrezept, könnte einen Mädchenfötus gegen einen Jungenfötus austauschen. Ich sollte das unbedingt für sie machen. Ich sagte zu der Geliebten des Regierungskaders, das seien doch Betrügereien von Quacksalbern. Aber sie wollte es nicht glauben, bestand auf meiner Hilfe, nicht lebendig, nicht tot würde sie von der Stelle weichen, in Tränen aufgelöst bettelte sie mich an, fast auf Knien. Die Ehefrau ihres Liebhabers habe nur zwei Mädchen zur Welt gebracht. Wenn sie nun einen Jungen bekäme, werde er seine Frau doch bestimmt verlassen, dann sei er der ihre, sei sie siegreich ... Dieser Kader ist ein ziemlicher Macho. Feudalistische Ansichten hat der. Man sollte von so hohen Beamten einen höheren Bewusstseinstand erwarten können. Pfui Teufel!«
Gugu hatte sich in Fahrt geredet. »Geld von diesen Kadern ist kein ehrlich verdientes Geld! Wen sonst, wenn nicht diese Typen ausnehmen! Also habe ich ihr Kräutermedizin verordnet. Ich habe ihr neun Portionen zusammengestellt: Angelica Sinensis, Yamswurzeln, Fingerhut, Süßholz. Es sind billige Kräuter, die Handvoll nicht mehr als ein paar Pimperlinge. Zusammen hat das gerade mal dreißig Yuan gekostet. Ich habe ihr für jede Portion hundert Yuan abgenommen. Sie hat sich jedes Mal sehr gefreut, ist zu ihrem kleinen roten Coupé zurück gewatschelt und wie der Wind verschwunden. Heute Nachmittag ist dieser Regierungsbeamte mit seiner Geliebten bei mir zu Besuch gewesen, sie haben mir ihren kräftigen Jungen gezeigt. Die teuren Zigaretten und den teuren Schnaps haben sie als Dankesgeschenk mitgebracht. Sie hat gesagt, sie hätte nie im Leben einen so strammen Jungen bekommen, wenn sie meine Wundermedizin nicht eingenommen hätte.«
Gugu lachte aus vollem Hals, griff sich meinen Bruder und geleitete ihn würdevoll vor die gefüllten Schnapsgläser an ihren Platz.
»Komm, trink! Auf ex!«, dann schlug sie sich auf die Schenkel, dass es krachte. »Heute bin ich so was von gut drauf! Was haltet ihr von den Kadern? Wie kann es angehen, dass die so strohdumm sind? Ein bisschen was gelernt haben sollten die doch? Das Geschlecht des Fötus austauschen? So ein Quatsch! Wenn ich so allmächtig wäre, hätte ich doch längst den Nobelpreis für Medizin bekommen. Gießt mir Schnaps ein!« Sie pochte mit dem Schnapsglas auf den Tisch. »Den Maotai lasse ich zu, den heben wir für meinen Schwager auf.«
»Nein, bloß nicht«, beeilte sich mein Vater zu protestieren, »so ein Schnaps ist für meinen Magen reinste Verschwendung«, aber Tante hatte ihm die Flasche schon in die Hand gedrückt. »Wenn ich dir Schnaps schenke, dann trink ihn auch.«
Vater befühlte das Flaschenetikett. »Wie viel kostet so eine Flasche?«, fragte er vorsichtig.
»Mindestens achttausend Yuan musst du dafür hinblättern! Er ist aber kürzlich schon wieder teurer geworden.«
»Um Himmels willen! So viel darf doch Schnaps nicht kosten! Selbst das Blut von Phönix und Drache ist nie im Leben so viel Geld wert. Eine Flasche Schnaps kann doch nicht zehntausend Pfund Weizen wert sein! Ein volles Jahr lang Knochenarbeit im Schweiße meines Angesichts reicht nicht einmal für eine halbe Flasche Schnaps.« Vater gab meiner Tante den Schnaps zurück. »Den nimm mal lieber wieder mit. So was trinke ich besser nicht. Sonst ereilt mich noch ein früher Tod.«
Meine Tante gab zurück: »Wie gesagt, wenn ich dir Schnaps schenke, dann trink ihn auch. Außerdem weißt du, dass ich selber dafür kein Geld ausgegeben habe. Wenn wir ihn nicht trinken, wer denn dann? Wir sollten ihn, wo er doch umsonst ist, nicht verkommen lassen. Wie damals bei den Japsen zum Festessen in Pingdu. Hätten wir es nicht gegessen, wer hätte es sonst gegessen? Wäre doch schade drum gewesen, wo es umsonst war!«
Mein Vater sagte: »So weit, so gut, es mag vernünftig sein, ihn auszutrinken, wo er nun mal hier ist. Aber wenn man mal drüber nachdenkt. Wo ist die Berechtigung, für so ein bisschen Feuerwasser so viel Geld zu verlangen?«
»Schwagerherz«, erklärte meine Tante, »da hast du etwas Wesentliches nicht verstanden. Ich kann dir versichern, dass keiner, der diesen Schnaps trinkt, ihn mit seinem eigenen Geld bezahlt. Bezahlt man aus eigener Tasche, kann man sich nur billigen Fusel leisten.« Sie hob ihr Schnapsglas und leerte es wieder in einem Zug.
Читать дальше