Wir hatten alles, was wir für das Kind vorbereitet hatten, schon zu meinem Vater geschafft. Weil unsere Ziege gerade nicht zu finden war, hatte Vater von einem Bauern mit Namen Du bei uns im Dorf eine Portion Milch bestellt. Bauer Du hielt zwei Kühe, die jeden Tag fünfzig Liter Milch gaben. Vater bat ihn wiederholt, der Milch nichts hinzuzufügen. Bauer Du antwortete: »Gevatter, wenn du mir nie glauben willst, dann melk dir die Milch selber. Und gut ist’s.«
Mein Cousin hielt den Wagen vor dem Haushof meines Vaters. Der stand schon längere Zeit draußen und wartete auf unsere Ankunft. Mit ihm zusammen erwarteten uns noch zwei entfernte Schwägerinnen und ein paar junge Mädchen, wohl alles Frauen meines Neffen und andere, die im selben Haus wohnten. Meine zweite Schwägerin griff sich sofort das Kind, die jungen Frauen halfen meiner Frau aus dem Auto, stützten sie und brachten sie über den Hof ins Haus in ihr Wöchnerinnenzimmer. Es war schon alles vorbereitet.
Meine Schwägerin lüftete die Windel ein wenig, damit mein Vater seinen Enkel, den kleinen Spätankömmling, in Augenschein nehmen konnte. Vater sagte mit Tränen in den Augen immer nur: »Gut. Gut. Gut ... «
Ich selbst war auch zu Tränen gerührt, als ich den schwarzen Haarschopf und das rosige Gesichtchen sah. Großes Gefühlskino.
Treuer Freund, dieses Kind gibt mir meine Jugend zurück und schenkt mir Inspiration. Die Schwangerschaft und seine Geburt sind zwar komplizierter und verschlungener verlaufen als bei anderen Kindern, und es bedarf noch einiger Anstrengungen, um ihm den legitimen Status als mein Sohn zu verschaffen – eine heikle Angelegenheit. Und doch ist es schließlich so, wie meine Tante immer gesagt hat: »Ist das Kind erst durch das Ofenrohr, zählt es als Menschenleben, wird rechtmäßiger Bürger der Volksrepublik China und kommt in den Genuss aller Rechte und Leistungen für die Kinder hier bei uns. Wenn es Probleme gibt, sind wir, die wir es auf die Welt geholt haben, dafür verantwortlich. Denn wir geben ihm Liebe, nichts anderes.«
Sugitani san, morgen lege ich mir mein Manuskriptpapier ausgebreitet auf den Tisch und beginne in Höchstgeschwindigkeit damit, dieses schwer zu gebärende Theaterstück fertigzustellen. Der nächste Brief, den Sie von mir bekommen werden, wird das Theaterstück enthalten, ein wahrscheinlich für alle Zeiten unmöglich aufzuführendes Stück mit dem Titel:
Frösche
蛙
11
Sugitani san, ich sagte es schon, die Kliniktafel mit den Babyfotos hatte meine Seele geläutert, als wäre ich getauft worden. Meine Zweifel, die Stiche, die Prügel, die Schmach, auf Leben und Tod gejagt worden zu sein, waren der Weg gewesen, den ich bitter nötig gehabt hatte.
So wie die einundachtzig Prüfungen, die Tripitaka bestehen musste 26, als er nach Indien reiste, um die heiligen Sutren zu holen. Wenn man keine Not erlitten hat, wird man die Frucht nicht richtig genießen. Hat man keine Schwierigkeiten überwunden, erlangt man die Erleuchtung über die wesentlichen Dinge des Lebens nicht.
Wieder zu Hause angelangt, säuberte ich meine Wunden mit in Alkohol getränkten Wattebäuschen und nahm mit Schnaps Yunnan White Medicine ein, die bei inneren und äußeren Verletzungen infolge von Schlägereien gut hilft. Obwohl die körperlichen Blessuren, die ich davongetragen hatte, ihre Zeit brauchten, fühlte ich mich vom Kopf her so fit, dass ich Bäume hätte ausreißen können.
Als Kleiner Löwe von der Arbeit zurückkam, nahm ich sie in die Arme, rieb meine Wange an der ihren und dann sagte ich zu ihr: »Liebste Gattin, ich danke dir, dass du für mich das Kind geschaffen hast. Obwohl es nicht in deiner Gebärmutter ausgetragen wird, trägst du es doch mit deinem Herzen aus. Und deswegen ist es unser leiblicher Sohn.«
Sie weinte.
Sugitani san, ich sitze am Schreibtisch und denke, während ich Ihnen, liebster Freund, einen Brief schreibe, darüber nach, wie ich diesen Säugling großziehen werde.
Wir beide gehen auf die Sechzig zu. Wir sind körperlich nicht mehr so fit wie noch vor ein paar Jahren. Wir sollten wohl eine erfahrene Kinderfrau einstellen oder eine Amme, die selbst auch gerade ein Baby bekommen hat und noch stillt, damit unser Kind auch Muttermilch zu trinken bekommt und es menschlicher heranwächst.
Meine Mutter sagte immer, wenn man den Säuglingen Kuhmilch oder Ziegenmilch zu trinken gibt, duften sie nicht nach Mensch. Obwohl man ein Kind mit Kuhmilch auch großkriegt, birgt das viele Gefahren.
Ob die sich am Himmel versündigenden Geschäftemacher nach den Säuglingsmilchskandalen 27»Kongke«, »Melamine« oder »Sanlu« wohl ihre chemischen Versuche sein lassen? Wer weiß, was nach den zurückgebliebenen »Großkopfkindern« und den »Nieren- und Blasenstein-Säuglingen« noch kommt? Jetzt haben die Verantwortlichen den Schwanz eingezogen, wie Hunde, die eine Tracht Prügel bekommen haben, und sehen aus wie ein Häufchen Elend. Aber keine paar Jahre, dann steht der Schwanz wieder oben und es werden noch widerwärtigere, todbringende Rezepturen erfunden.
Ich weiß schon, dass die kostbarste Flüssigkeit auf unserem Globus die Vormilch der Mutter ist, weil sie viele zaubermächtige Substanzen enthält. Sie ist stofflich gewordene Mutterliebe.
Ich hörte damals, dass Paare der Tragemutter noch viel Geld für das Kolostrum bezahlten, nachdem sie ihr Kind abgeholt hatten. Manche ließen sie auch noch einen Monat lang stillen und holten erst dann ihr Kind ab. Natürlich kostete es in einem solchen Fall mehr. Kleiner Löwe sagte mir, die Firma sei aber entschieden dagegen. Denn wenn die Leihmutter damit beginne, das Kind zu stillen, entstehe eine tiefe Liebesbeziehung zum Kind, und das würde zu nicht endenden Komplikationen führen. Kleiner Löwe fügte dann aber mit feuchten Augen hinzu: »Ich bin doch seine Mama und ich werde Muttermilch für mein Kind haben.«
Früher hörte ich meine Mutter oft solche Geschichten erzählen. Aber sie schmückte sie immer sehr aus, so dass man nicht alles für bare Münze nehmen sollte. Ich denke, dass bei jungen Müttern, die schon eine Schwangerschaft hatten, der Milchfluss erneut angeregt werden kann, wenn ein Säugling angelegt wird oder wenn große Mutterliebe besteht. Aber ich glaube kaum, dass bei jemandem wie Kleiner Löwe, die doch bald sechzig wird und niemals eine Schwangerschaft hatte, so ein Wunder geschehen kann. Wenn es tatsächlich wahr werden sollte, ist es kein Wunder, sondern Gotteswerk.
Liebster Freund, wenn ich Ihnen solche Dinge schreibe, ist mir das gar nicht peinlich. Mit welcher großen Liebe Sie Ihren Sohn großgezogen haben, den das Krankenhaus für nicht überlebensfähig hielt. Wie viele ähnliche, von den Göttern gesandte Wunderwerke haben Sie erlebt! Deswegen, Sugitani san, denke ich, dass Sie jemand sind, der mich verstehen kann. Sie können auch die wie teuflisches Zauberwerk anmutenden Ideen meiner Frau verstehen.
In letzter Zeit möchte sie fast täglich, dass ich mit ihr schlafe. Sie hat sich aus einer süßen Mohrrübe in einen saftigen Pfirsich verwandelt. Das ist schon wie ein Wunder und überrascht mich sehr. Jedes Mal sagt sie mir: »Kaulquappe, sei nicht so draufgängerisch, du muss es etwas vorsichtiger machen, du darfst doch unseren Sohn nicht verletzten!«
Und danach legt sie jedes Mal meine Hand auf ihren Bauch: »Fühl doch mal, er tritt mich.« Jeden Morgen braust sie sich mit lauwarmem Wasser die Brüste ab und zupft zart die eingesunkenen Brustwarzen heraus.
Wir erzählten unserem Vater, dass Kleiner Löwe ein Baby erwarte und bereits im sechsten Monat sei. Vater ist bald neunzig Jahre alt. Er war so dankbar, dass ihm die Tränen in Strömen flossen. Mit zitterndem Bart sagte er: »Der Himmel hat ein Auge auf uns! Unsere Ahnen haben sich offenbart, und der Himmel hat es uns vergolten. Die guten Menschen ernten Wohltaten. Namu Amithaba Buddha!«
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