Inzwischen sind bereits einige Monate verstrichen, Sugitani san. Als ich endlich aus dem Mund meiner Frau die Wahrheit erfuhr, war das Baby in Chen Augenbraues Bauch schon sechs Monate alt. Ich bin fünfundfünfzig Jahre alt, und nun soll ich mir nichts dir nichts noch einmal Vater werden.
Es gibt keinen Weg zurück, es sei denn, man wollte Risiken eingehen, brutale Medikamente verabreichen und auf diese Weise die Schwangerschaft beenden.
Als ich jung war, habe ich so meiner Frau das Leben genommen. Das ist der größte Schmerz in meinem Herzen und mein am schwersten zu sühnendes Verbrechen.
Obwohl ich jetzt schweren Herzens mit allem einverstanden bin, ist mein Entschluss doch sinnlos, Sugitani san, denn ich werde in diese Froschaufzuchtfarm nicht hineingelassen, und bekäme ich dort Zutritt, dürfte ich nicht einmal Augenbraues Gesicht sehen. Ich vermute, dass es dort viele geheime Kanäle und auch ein unterirdisches Labyrinth gibt, und von meiner Frau weiß ich, dass Yuan Backe und mein Cousin Mittelsmänner der eigentlichen Bande sind. Wenn die es mit der Angst zu tun kriegen, würden sie noch die eigene Mutter ans Messer liefern, denen ist alles zuzutrauen.
Kleiner Löwe bekam von mir eine Backpfeife, sie wich einige Schritte zurück und landete mit dem Hintern auf dem Boden. Ihre Nase blutete in Strömen. Sie gab lange keinen Ton von sich. Sie weinte nicht, sondern grinste böse und sagte dann: »Da hast du ja richtig zugehauen! Kleiner Renner, du bist ein Verbrecher! Dass du mich schlägst, beweist, dass dein Gewissen längst die Hunde gefressen haben. Ich habe es nur für dich getan. Du hast eine Tochter, aber keinen Sohn. Wenn du keinen Sohn hast, dann wird es keinen Stammhalter mit Namen Wan geben und die Familie stirbt aus. Es tut mir leid, dass ich dir keinen Sohn gebären kann. Um das wiedergutzumachen, habe ich jemanden gesucht, der dein Kind austrägt und für dich einen Sohn zu Welt bringt. Du bist mir aber nicht dankbar, sondern schlägst mich auch noch. Du enttäuschst mich bitter ...«
Dann weinte sie doch. Tränen und Nasenblut vermischten sich. Ich ertrug es nicht, sie so weinen zu sehen. Aber dann wurde mir wieder bewusst, dass sie das alles hinter meinem Rücken getan hatte, und sofort packte mich erneut eine unbändige Wut.
Weinend stieß sie hervor: »Ich weiß schon, dass es dir um die sechzigtausend Yuan geht. Du musst sie aber nicht bezahlen, ich nehme das Geld aus meiner Altersversorgung. Wenn das Kind geboren ist, brauchst du es auch nicht großzuziehen. Ich werde das allein tun. Es hat also alles gar nichts mit dir zu tun. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass man für eine Samenspende hundert Yuan bezahlt bekommt. Ich gebe dir dreihundert. Damit wäre dann abgegolten, dass ich deinen Samen benutzt habe. Du kannst nach Peking zurückgehen, du kannst dich von mir scheiden lassen, oder auch nicht, wie du willst, aber wir beide haben nun nichts mehr miteinander zu tun. Aber«, sagte sie wie ein Held mit Todesverachtung und wischte sich mit der flachen Hand übers Gesicht, »krümm dem Kind kein Haar. Sonst bring ich mich um.«
Sugitani san, Sie kennen meine Frau aus meinen Briefen, Sie wissen, wie sie ist.
Als sie damals Gugu auf dem Schlachtfeld der Geburtenkontrolle folgte, musste sie sich mit jeder Sorte von Menschen auseinandersetzen. Das hat sie gestählt. Sie hat den Charakter eines Helden und eines Räubers. Wenn sie in Wut gerät, ist ihr absolut alles zuzutrauen!
Jetzt blieb mir nur eins: sie beschwichtigen, mit ehrlicher Liebe überzeugen und mit wirklich vernünftigen Argumenten bewegen. Und einen wirklich guten Weg finden, um dieses schwierige Problem in den Griff zu bekommen.
Obwohl ich mich bei dem Gedanken an einen Schwangerschaftsabbruch eiskalt fühlte und deutlich spürte, dass er Unheil stiften würde, machte ich mir immer noch Hoffnungen, das Problem auf diese Weise lösen zu können.
Ich bildete mir ein, dass Chen Augenbraue natürlich nur wegen des Geldes Leihmutter für anderer Leute Kinder war, und dass deswegen die Sache auch problemlos mit Geld zu regeln wäre. Das eigentliche Problem war nur, wie ich es zuwege bringen sollte, sie zu treffen.
Nach dem Krankenhausbesuch bei Chen Nase hatte ich sie nicht wiedergesehen.
Ihr schwarzes Kleid, der schwarze Schleier, das Geheimnis um ihr Woher und Wohin, signalisierten mir, dass in Nordost-Gaomi eine geheimnisvolle Welt existierte, zu der ich bisher keinen Zugang gehabt hatte. Diese Welt schienen Degenkämpfer zu bevölkern, Schamanen und schwarz Verschleierte.
Mir fiel ein, dass ich Li Hand doch erst kürzlich für Nases Krankenhausrechnung fünftausend Yuan gebracht und ihn gebeten hatte, Augenbraue das Geld zu geben. Wenige Tage später gab er es mir zurück. Sie wolle es nicht annehmen, sagte er.
Vielleicht hatte sie die Leihmutterschaft übernommen, um die erforderliche Summe für ihren Vater aufbringen zu können.
Ich wurde ganz wirr im Kopf. Das war doch wirklich das allerl...
Diese verdammte Xiao Shizi! Ich musste wohl oder übel Li Hand besuchen. Er war der einzige meiner Schulfreunde, dessen Hirn noch normal funktionierte.
Gestern Vormittag saßen ich und Li Hand uns gegenüber in der kleinen Ecke am Fenster seines Restaurants »Don Quijote de la Mancha«.
Wie die Ameisen liefen die Leute über den Tempelvorplatz, das Spiel Das mythische Tier Qilin bringt Kinder wurde wieder aufgeführt.
Der falsche Sancho Panza zapfte uns zwei Glas Bier, servierte und zog sich zurück. Er lachte zwielichtig, als hätte er mich durchschaut und wüsste von meinem Geheimnis. Als ich Li Hand alles umständlich erzählte, weil ich eigentlich gar nicht mit der Wahrheit herauswollte, lachte er nur leichthin.
»Du bist auch noch schadenfroh«, sagte ich böse.
Aber er nahm sein Glas, prostete mir zu und trank einen großen Schluck: »Was sollte das für ein Schaden sein? Es ist ein frohes Ereignis! Ich beglückwünsche dich, alter Freund! Das hätte schon früher kommen sollen! Die große Freude in deinem Leben!«
»Freu dich mal nicht auf meine Kosten! Obwohl ich aus dem Dienst ausgeschieden bin«, sagte ich sorgenvoll, »bin ich immer noch dem öffentlichen Dienst verpflichtet. Wie soll ich der Einheit beibringen, dass ich ein Kind in die Welt gesetzt habe?«
Li Hand meinte: »Renner, das Parteibüro, die Einheit und was sonst noch alles sind doch Dinge, mit denen du dir die Freiheit beschneidest. Womit wir es jetzt aber zu tun haben, ist die Tatsache, dass deine Spermien mit einer Eizelle verschmolzen sind und nun ein neues Leben entstanden ist, das auf die Erde kommen wird. Die größte Freude im Leben eines jeden Menschen! Das Schönste, was einem passieren kann, ist doch zu sehen, wie ein Leben mit den eigenen Genen geboren wird. Denn mit dieser Geburt lebst du selber weiter! Dein Leben besteht fort!«
»Das entscheidende Problem ist«, unterbrach ich ihn, »wo und wie ich den Antrag für das Melderegister stelle.«
»Dieses kleine Problemchen wirft dich jetzt um?«, entgegnete er: »Es ist nicht mehr wie früher. Wenn du Geld hast, kannst du eigentlich so ziemlich alles hinkriegen. Solltest du keinen Melderegistereintrag bekommen, ist das Kind trotzdem ein Mensch, der unseren Erdball bewohnt und damit in den Genuss der Menschenrechte kommt.«
»Schon gut, Li Hand, ich bin zu dir gekommen, um mein Problem aus der Welt zu schaffen, und du dröhnst mich mit diesem überflüssigen Geschwafel voll. Seit ich wieder in Gaomi bin, merke ich immer deutlicher, dass ihr euch alle so eine gedrechselte Sprache zugelegt habt, die Studierten und die nicht Studierten. Von wem habt ihr das?«
Er lachte: »Wir benehmen uns wohl kultivierter als früher? In der modernen Gesellschaft spielt jeder eine Rolle, ob nun als Bühnenschauspieler, als Filmstar, Fernsehschauspieler, Pekingopernheld, Kabarettist oder Comedian, alle spielen Theater. Die Gesellschaft ist doch wie eine Bühne, oder etwa nicht?«
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