Iwan Turgenew - Das Abenteuer des Leutnant Jergunow

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lvan S. Turgenev

Das Abenteuer des Leutnant Jergunow

I

Eines Abends erzählte der Lieutenant Jergunow uns wiederum sein Abenteuer. Er gab dasselbe regelmäßig einmal monatlich zum Besten und wir hörten jedesmal mit neuem Vergnügen zu, obgleich wir alle Einzelheiten fast auswendig wußten. Diese Einzelheiten waren, so zu sagen, wie die Pilze rings um einen Baumstrunk, allmälig um den ursprünglichen Stamm der Erzählung gewachsen. Die ganze Manier unseres Erzählers war uns zu wohl bekannt, als daß es uns auch nur dir geringste Schwierigkeit bereitet hätte, vorkommende Auslassungen und Lücken zu ergänzen. Inzwischen aber ist der Lieutenant gestorben und Niemand ist übrig, um dessen Abenteuer zu erzählen; darum haben wir uns entschlossen, es zur allgemeinen Kenntniß zu bringen.

Es hatte sich in der Jugend des Lieutenants, vor etwa vierzig Jahren, zugetragen. Er sagte von sich selbst, er sei damals ein eleganter, schöner, junger Mann gewesen. Das Abenteuer mit Wangen wie Milch und Blut, mit rosigen Lippen, gelocktem Haar und Falkenaugen. Wir glaubten ihm das auch auf‘s Wort, obgleich von alledem Nichts mehr an ihm zu sehen war. Er erschien uns vielmehr als ein Mensch von sehr gewöhnlichem Aeußern, sein Gesicht war alltäglich und schläfrig, sein Körper unschön und plump; doch vergessen wir nicht, daß keine Schönheit den Jahren trotzt! Eher waren noch Ueberbleibsel von Eleganz bei dem Lieutenant zu finden. Er trug noch im Alter sehr enge Beinkleider mit Sprungriemen, schnürte seine dicke Taille, kräuselte sein Haar und färbte seinen Schnurrbart mit einer persischen Tinktur, welche mehr in’s Röthliche und Grüne, als in‘s Schwarze spielte. Im Ganzen war der Lieutenant ein sehr achtbarer Edelmann, obgleich er es liebte, beim Whist mit seinen kleinen, grauen Augen in die Karten seines Nachbars zu schielen, was er aber weniger aus Gewinnsucht als aus ökonomischen Rücksichten that, da er es nicht liebte, unnütz Geld zu verlieren. – Doch genug von der Person des Lieutenants, kommen wir zu seiner Erzählung.

Es war im Frühling in der damals noch ganz neuen Stadt Nikolajew an der Mündung des Dniepr. Herr Jergunow, welcher den Rang eines Flotten-Lieutenants bekleidete, war im Auftrage der Regierung dorthin geschickt. Man hatte ihm, als einem umsichtigen, zuverlässigen Officier, die Leitung wichtiger Wasserbauten übertragen, und häufig empfing er beträchtliche Summen, die er zur größeren Sicherheit stets in einem Leder-Gurt um seinen Körper geschnallt trug. Der Lieutenant Jergunow zeichnete sich in der That, trotz seiner Jugend, durch große Klugheit und große Regelmäßigkeit der Führung aus: er vermied sorgfältig jede unpassende Handlung; rührte damals keine Karte an, trank keinen Wein und mied sogar alle Gesellschaften, so daß er sich bei den Gutmüthigeren seiner Kameraden den Beinamen »junges Mädchen« erworben hatte, während die Wilderen unter ihnen ihm den Spitznamen »Schlafmütze« gaben.

Der Lieutenant hatte nur eine einzige Schwäche: sein Herz war zu empfänglich für die Reize des schönen Geschlechts, aber selbst ihnen gegenüber vermochte er den Aufwallungen der Leidenschaft zu widerstehen und hütete sich vor dem, was er »sich etwas vergeben« genannt hätte. Frühzeitig stand er Morgens auf, legte sich Abends zeitig nieder, erfüllte pünktlich alle seine Pflichten und hatte keine andere Zerstreuung als einen langen Spaziergang, den er allabendlich in die entfernten Stadttheile Nikolajews machte. Er las niemals Bücher, aus Furcht vor Andrang des Blutes nach dem Kopf, und war sogar genöthigt, in jedem Frühjahr diese Vollblütigkeit durch gewisse Gebräue zu bekämpfen. Jeden Abend, nachdem er seine Uniform abgelegt, und sie selbst auf‘s sorgfältigste abgebürstet hatte, schlug unser Lieutenant den Weg nach den Obstgärten der Vorstädte ein und ging abgemessenen Schritts längs den langen Holzzäunen derselben dahin. Er stand oft still, bewunderte die schöne Natur, pflückte zum Andenken eine Blume und fühlte dabei eine gewisse Genugthuung; ein wahrhaftes Vergnügen aber empfand er, wenn er einem » kleinen Cupido« begegnete, das heißt, einem hübschen Bürgermädchen, das über den Schultern einen sogenannten »Seelenwärmer« auf dem Kopfe ein carrirtes Tuch und unter dem bloßen Arm ein leichtes Packet tragend, hastigen Schrittes seiner Wohnung zueilte. Da er, seiner eigenen Aussage nach, wohl von erregbarer aber bescheidener Gemüthsart war, so redete der Lieutenant niemals den »kleinen Cupido« an; jedesmal aber lächelte er ihm leutselig zu und verfolgte ihn lange mit zärtlichem Blick; dann stieß er einen tiefen Seufzer aus, kehrte mit demselben feierlichen Schritt in sein Zimmer zurück, setzte sich an das Fenster, überließ sich etwa eine halbe Stunde lang seinen Gedanken und rauchte dabei mit Vorsicht aus einer großen Meerschaumpfeife entsetzlich starken Tabak, welchen sein Pathe, ein deutscher Polizei-Offizier, ihm geschenkt hatte. So verstrichen die Tage ohne Leid und Freude.

Eines Abends jedoch, als der Lieutenant durch ein ödes Gäßchen nach Hause zurückkehrte, hörte er plötzlich hinter sich beschleunigte Schritte und verworrene, von Schluchzen unterbrochene Worte. Er drehte sich um und erblickte ein junges Mädchen von etwa zwanzig Jahren, dessen sehr angenehmes Gesicht in Thränen gebadet war. Ein eben so großes als unerwartetes Unglück schien sie betroffen zu haben. Sie lief, stolperte, sprach mit sich selbst und bewegte seufzend die Arme. Ihre blonden Haare waren aufgelöst und ihr Halstuch (in jener Zeit kannte man weder Mantille noch Burnus) war von ihren Schultern herabgeglitten und wurde nur noch durch eine Stecknadel gehalten. – Das junge Mädchen war wie ein Fräulein, nicht wie ein einfaches Bürgermädchen gekleidet. —

Jergunow trat zur Seite. Ein Gefühl von Mitleiden siegte über die stets bei ihm vorhandene Furcht, sich etwas zu vergeben; als sie ihm nahe gekommen war, legte er höflich drei Finger an den Schirm seines Czackos und fragte sie nach der Ursache ihres Schmerzes. – Kann ich als Officier Ihnen meine Hilfe leihen? fragte er, die Hand an seinem kurzen Marine-Degen.

Das junge Mädchen blieb stehen und schien im ersten Augenblick das Anerbieten des Lieutenants nicht zu verstehen; aber bald darauf, und, wie entzückt darüber, ihr Herz ausschütten zu können, begann sie sehr rasch und in ziemlich schlechtem Russisch zu sprechen. – Um Gottes Barmherzigkeit, Herr Officier, hub sie an, und in demselben Augenblick flossen ihre Thränen von Neuem und rollten tropfenweise über ihre runden, frischen Wangen . . . ’s ist schrecklich, entsetzlich, Gott weiß, was ich anfangen soll. Wir sind ausgeplündert . . . Um Gottes Barmherzigkeit . . . Die Köchin hat Alles, Alles fortgeschleppt, die Theekanne, die Chatulle, die Kleider! . . . Ja sogar die Kleider, die Strümpfe und die Wäsche, ja, und den Arbeitsbeutel meiner Tante . . . In einem Kästchen darin befand sich ein Fünfundzwanzigrubelschein und zwei plattirte Löffel . . . und noch einen Pelz . . . und Alles, Alles! . . . Ich sagte es dem Herrn Polizeioffizier und was antwortete er mir? Scheeren Sie sich, ich glaube Ihnen nicht, ich will weiter nichts hören! Sie gehören zu derselben Bande. – Ich wiederholte ihm: Erbarmen . . . einen Pelz . . . – und er erwiederte von Neuem: – Hinaus, ich will nichts weiter hören! – und stampfte mit dem Fuße. Welche Beleidigung! mein Herr Offizier! . . . Hinaus! . . . und wohin meint er denn, daß ich gehen soll?!

Das junge Mädchen brach von Neuem in Schluchzen aus und ganz außer sich, legte sie ihr Gesicht auf den Arm des Lieutenants. Dieser, seinerseits einigermaßen bestürzt, beschränkte sich darauf, zu sagen, ohne sich zu rühren: – Hören Sie auf!« und konnte den Blick nicht von dem zuckenden Hals des heftig weinenden jungen Mädchens abwenden.

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