Wir besprachen die Sache. Sie und ich. Dann schickte ich den alten Hausarzt zum Teufel und fragte einen modernen Spezialisten um Rat. Der erzählte mir, was ich mir selbst ausgeknobelt hatte. Und sagte auch, daß Arizona die richtige Gegend für uns wäre. Da brachen wir unsere Zelte ab und reisten hin. Nicht einen Cent. Ich fand eine Stellung als Schafhirt und ließ die Frau in der Stadt, einer richtigen Lungenstadt, so voll von Lungenkranken, daß man kaum spucken konnte.
Na, ich lebte und schlief ja im Freien und begann mich bald zu erholen. Ich war immer monatelang draußen. Und jedesmal, wenn ich zurückkam, ging es ihr schlechter. Sie konnte einfach nicht gesund werden. Aber wir hatten was gelernt. Ich nahm sie weg aus der verfluchten Stadt. Sie ging einfach mit mir Schafe hüten. Vier Jahre, Sommer und Winter, in Hitze und Kälte, im Regen, Schnee und Frost und allem Dreckwetter schliefen wir im Freien. Nie unter Dach. Und wir wechselten immer wieder unsern Lagerplatz. Sie hätten nur den Unterschied sehen sollen. braun wie Kaffeebohnen, mager wie Indianer, zäh wie frischgegerbtes Leder. Als wir uns einbildeten, geheilt zu sein, gingen wir nach San Franzisko zurück. Aber wir waren zu voreilig gewesen. Schon im zweiten Monat hatten wir leichte Blutstürze. Sofort flüchteten wir wieder nach Arizona und zu unseren Schafherden. Blieben noch zwei Jahre dort. Dann waren wir in Ordnung. Vollkommen geheilt. Ihre ganze Familie ist ausgestorben. Wollten nicht hören, was wir ihnen sagten. Wir hielten uns aber von allen Städten fern. Zogen die Küste des Pazifiks hinunter. Das südliche Oregon gefiel uns besonders gut. Wir ließen uns im Rogue-River-Tal nieder. Äpfel! Hat eine große Zukunft. Ich bekam meinen Grund und Boden - natürlich in Pacht - für vierzig Dollar den Morgen. In zehn Jahren wird er fünfhundert wert sein.
Aber wir haben ja auch anständig geschuftet. Kostet auch viel Geld, so was. Und anfangs hatten wir keinen Cent, verstehn Sie, und mußten das Haus bauen, die Scheune, Pferde, Pflüge und alles andere anschaffen. Sie hielt zwei Jahre lang Schule. Dann kam der Junge! Sie sollten nur die Bäume sehen, die wir gepflanzt haben. hundert Morgen voll! Fast alle tragen jetzt. Aber damals machte es ja nur Kosten. und dazu waren auch immer noch die Hypothekenzinsen zu bezahlen. Deshalb bin ich ja hier. Sie macht die Sachen dort unten, und ich sitze hier, ein erstklassiger, verfluchter Millionär. wenn man nach den Aussichten gehen darf.«
Er war einen glücklichen Blick über das Eis, das im Sonnenschein flimmerte, nach dem grünen See in der Ferne. Dann sah er auch die Photographie an und murmelte:
»Sie ist ein Prachtstück von einer kleinen Frau, das ist sie. Donnerwetter, wie sie geschuftet hat! Sie wollte einfach nicht sterben, obgleich sie nur noch Haut und Knochen war, die um ein kleines Häufchen brennenden Feuers gewickelt waren, als wir mit den Schafen losgingen. Oh, sie ist immer noch dünn, sie wird auch nie dick werden. Aber es ist die süßeste Dünnheit, die ich je gesehen habe, und wenn ich zurückkomme, und die Bäume tragen, und die Kleinen gehen in die Schule, dann werden wir beide, meine Frau und ich, nach Paris fahren. Ich habe freilich nicht viel Vertrauen zu der verdammten Stadt, aber sie hat sich ihr ganzes Leben danach gesehnt.«
»Nun, und hier liegt ja das Gold, das Sie nach Paris bringen wird«, versicherte ihm Kid. »Wir brauchen nur die Hand danach auszustrecken.«
Carson nickte mit leuchtenden Augen. »Ich sage ja, unsere Farm ist der hübscheste Obstgarten Gottes an der ganzen Pazifikküste. Und ein herrliches Klima dazu! Unsere Lungen werden nicht mehr zum Teufel gehen. Leute, die Tuberkulose gehabt haben, müssen sonst vorsichtig sein, wissen Sie! Wenn Sie sich mal irgendwo ansässig machen wollen, dann werfen Sie zuerst einen Blick in unser Tal, ehe Sie sich entscheiden. Das müssen Sie tun! Unbedingt! Und fischen kann man dort. Donnerwetter! Haben Sie je einen Lachs von fünfunddreißig Pfund mit einer Angelrute von sechs Unzen gefangen?«
»Ich bin um vierzig Pfund leichter als Sie«, sagte Carson. »Lassen Sie mich vorangehen.«
Sie standen am Rande der großen Spalte. Sie war wirklich ungeheuer groß und alt, mindestens hundert Fuß breit und hatte schräge, vom Alter verwitterte Hänge statt scharfer Ränder. An der Stelle, wo Kid und Carson standen, wurde sie von einem riesigen Haufen festgeballten Schnees überbrückt, der halb zu Eis geworden war. Sie konnten nicht einmal sehen, wo dieser Schneehaufen aufhörte, oder wie tief er in den Spalt hinabreichte, und noch weniger, wie tief dieser Spalt selbst war. Die Brücke begann indessen schon zu schmelzen und drohte jeden Augenblick zusammenzubrechen. Man konnte sehen, daß Teile davon erst kürzlich abgebröckelt waren. Und selbst in dem Augenblick, als die beiden diese Brücke untersuchten, brach ein Stück im Gewicht von einer halben Tonne ab und stürzte in die Tiefe.
»Sieht scheußlich unsicher aus«, gab Carson zu, während er bedenklich den Kopf schüttelte. »Und sie sieht viel schlimmer aus als damals, als ich noch kein Millionär war.«
»Aber wir müssen losgehen«, sagte Kid. »Wir sind schon zu weit, um umkehren zu können. Und die ganze Nacht hier oben auf dem Eis lagern können wir auch nicht. Es gibt keinen andern Weg. Kurz und ich haben eine ganze Meile zu beiden Seiten geforscht. Aber die Brücke war damals, als wir sie überschritten, freilich in besserem Zustande.«
»Sie kann nur einen tragen. Lassen Sie mich zuerst hinübergehen.« Carson nahm Kid den Schlag des Seiles aus der Hand. »Sie müssen loslassen. Ich nehme das Seil und die Hacke. Geben Sie mir die Hand, so daß ich leichter hinuntersteigen kann.«
Langsam und vorsichtig kletterte er einige Fuß bis zur Brücke hinunter, auf der er dann einen Augenblick stehenblieb, um die letzten Vorbereitungen für den gefährlichen Übergang zu treffen. Auf dem Rücken trug er seine Ausrüstung. Das Seil legte er sich um den Hals, so daß es auf seinen Schultern ruhte. Das eine Ende war indessen um seinen Körper festgebunden.
»Ich würde einen ansehnlichen Teil meiner künftigen Million für eine Bande tüchtiger Brückenarbeiter geben«, sagte er, aber sein heiteres, launiges Lächeln strafte seine Worte Lügen. Dann fügte er hinzu: »Alles in Ordnung! Ich bin die reine Katze.«
Die Hacke und die lange Stange, die er als Alpenstock benutzte, hielt er des Gleichgewichts wegen waagerecht vor sich wie ein Seiltänzer. Er setzte erst den einen Fuß prüfend vor, zog ihn wieder zurück und nahm sich mit sichtlicher Anstrengung zusammen.
»Ich möchte lieber eine arme Laus sein«, sagte er lächelnd; »wenn ich diesmal kein Millionär werde, versuche ich es nie wieder. Es ist doch zu unbequem.«
»Wird schon gehen«, ermunterte ihn Kid. »Ich bin ja schon einmal hinübergekommen. Lassen Sie mich lieber zuerst versuchen.«
»Ausgerechnet Sie mit Ihren vierzig Pfund Mehrgewicht«, gab der kleine Mann eifrig zurück. »In einer Minute bin ich bereit. Ich bin es schon.«
Diesmal hatte er seine Nerven sofort in der Gewalt.
»Gut, hier geht es um den Rogue River und die Äpfel«, sagte er, als er den Fuß vorsetzte. Diesmal aber ließ er ihn leicht und vorsichtig stehen, während er den andern langsam und sachte hob und an ihm vorbeischob. Mit großer Umsicht und Sorgfalt setzte er dann den Weg über die zerbrechliche Brücke fort, bis er zwei Drittel des Weges zurückgelegt hatte. Dann machte er halt, um eine Vertiefung zu untersuchen, die er überschreiten mußte. Er bemerkte aber darin einen ganz frischen Riß und blieb zögernd stehen. Kid, der ihn die ganze Zeit beobachtete, sah, daß er erst zur Seite und dann in die Tiefe hinunterblickte und darauf leise hin und her zu schwanken begann.
»Nicht nach unten blicken«, befahl Kid barsch. »Weitergehen. sofort!«
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