»Es ist schrecklich langweilig hier«, klagte sie mit einer bezaubernden Ausgelassenheit, sobald sie Kid die Hand gegeben hatte. »Eine ganze Woche lang ist gar nichts Interessantes vorgefallen. Und der Maskenball, den Stiff Mitchell arrangieren wollte, ist verschoben worden. Es wird kein Goldstaub umgesetzt! Nicht einmal das Opernhaus ist abends voll. Und es ist länger als zwei Wochen her, daß wir die letzte Post bekamen. Die ganze Stadt ist in ihre Höhle gekrochen und schläft den Winterschlaf. Wir müssen etwas anstellen. es muß Leben in die Bude kommen, und das können wir beide schon schaffen. Wenn jemand die Stadt auf den Kopf stellen kann, dann sind wir beide es. Ich habe übrigens mit Wild Water gebrochen, wissen Sie.«
Kid sah sogleich zwei Bilder vor sich. Das eine stellte Joy Gastell dar. Das andere zeigte ihn selbst im Schein des kalten nördlichen Mondes auf einem öden Schneefeld liegend, und es war der obenerwähnte Herr Wild Water, der ihn mit gutgezielten und schnellen Schüssen niedergeknallt hatte. Kids Neigung, die Stadt mit Lucille Arrals Hilfe auf den Kopf zu stellen, war demgemäß so gering, daß sie es bemerken mußte.
»Ich meine gar nicht das, was ich Ihrer Meinung nach jetzt meinen sollte. danke schön«, sagte sie, schnippisch lachend, aber doch ein bißchen gekränkt. »Wenn ich mich Ihnen einmal an den Hals werfe, so müssen Sie Ihre Augen besser aufmachen. sonst wissen Sie gar nicht, wie ich aussehe.«
»Andere Männer wären einfach am Herzschlag tot umgefallen, wenn ihnen ein so unerhörtes Glück in den Schoß gefallen wäre«, murmelte er und versuchte vergeblich seine Erleichterung zu verbergen.
»Sie Lügner«, antwortete sie gutgelaunt. »Sie wären wohl eher aus Angst gestorben. Aber ich will Ihnen etwas erzählen, Herr Alaska-Kid: Nichts liegt mir ferner, als mit Ihnen zu flirten, und wenn Sie es wagen sollten, mir den Hof zu machen, so wird Herr Wild Water sich Ihrer schon annehmen. Sie kennen ihn ja. Außerdem. außerdem habe ich nicht ganz mit ihm gebrochen.«
»Na. nur weiter mit Ihren Rätseln«, neckte er sie. »Vielleicht kriege ich doch noch heraus, was Sie eigentlich wollen, wenn Sie mir nur ein bißchen Zeit lassen. ich hab’ so eine lange Leitung.«
»Da gibt es nichts herauszukriegen, Kid. Ich will es Ihnen ganz offen erklären. Wild Water glaubt, ich hätte mit ihm gebrochen. verstehen Sie?«
»Ja, aber haben Sie es oder haben Sie es nicht?«
»Ich habe es nicht, daß Sie’s wissen! Aber das bleibt unter uns beiden. auf Ehre! Ich habe nur ein bißchen Krach mit ihm gemacht, so als ob ich mit ihm brechen wollte. und er hat es auch verdient, glauben Sie mir. wirklich!«
»Und wo bleibt mein Stichwort?« fragte Kid.
»Wie? Na ja, Sie werden eine Menge Geld verdienen, und wir machen Wild Water ein bißchen lächerlich und stellen dabei ganz Dawson auf den Kopf. und, was das Allerbeste ist. Wild Water wird eine gesunde kleine Lehre erhalten. Er hat es wirklich nötig. aber wirklich, sage ich Ihnen. Er ist. na, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. er ist eben ein bißchen zu wild, der liebe Junge! Er macht sich so furchtbar wichtig. und nur, weil er so ‘n großer Lümmel ist und weil er so viel Claims hat, daß er sie nicht mehr zählen kann.«
»Und weil er mit dem süßesten kleinen Weibsstück in ganz Alaska verlobt ist«, fügte Kid schnell hinzu.
»Ja, deshalb auch, ich danke schön. aber deshalb braucht er doch wirklich keinen Koller zu kriegen! Gestern abend hat er wieder mal solchen Anfall gehabt. hat den ganzen Fußboden bei M. & M. mit Goldstaub überstreut. es waren mindestens tausend Dollar, öffnete einfach seinen Goldsack und streute den Staub vor die Füße der Tanzenden. Sie haben es natürlich schon gehört.«
»Ja, natürlich, heute morgen schon. ich hätte nichts dagegen gehabt, Reinemachefrau zu sein. Aber ich verstehe noch immer nicht, was ich machen soll.«
»Jetzt hören Sie zu! Er war zu verrückt, und da habe ich unsere Verlobung aufgehoben, und jetzt läuft er herum, macht Theater und spielt den Mann mit dem gebrochenen Herzen. und jetzt kommen wir zu dem springenden Punkt. Ich esse leidenschaftlich gern Eier.«
»Aber großer Gott!« schrie Kid verzweifelt. »Was in aller Welt haben die Eier mit mir zu tun?«
»Warten Sie doch ab.«
»Ja, aber sagen Sie mir doch, was Eier und Ihr Appetit mit dieser Sache zu tun haben?« fragte er.
»Sehr viel sogar, wenn Sie nur Geduld hätten.«
»Ach, Geduld, holde Himmelsgabe.«
»Also hören Sie bitte jetzt um Himmels willen zu! Ich liebe Eier über alles. Aber es gibt nur eine begrenzte Menge von Eiern hier in Dawson.«
»Vollkommen richtig. Das weiß ich auch. Die meisten hat Slavovitschs Restaurant. Schinken und ein Ei, drei Dollar! Schinken und zwei Eier - fünf Dollar. Das heißt also zwei Dollar das Ei, im Kleinhandel. und es sind nur Protzen und natürlich Menschen wie die schöne kleine Lucille Arral oder wie Wild Water, die sich Eier leisten können.«
»Er liebt Eier auch«, erklärte sie weiter. »Aber darauf kommt es jetzt nicht an. Ich liebe sie! Ich pflege jeden Morgen um elf bei Slavovitsch zu frühstücken. Und ich esse immer zwei Eier.« Sie hielt inne, um Eindruck auf ihn zu machen. »Denken wir uns nun. denken wir uns nun, daß jetzt jemand in Eiern spekulieren würde.«
Sie wartete die Wirkung ihrer Worte ab und kassierte vergnügt die bewundernden Blicke ein, die Kid ihr sandte. Er mußte auch in seinem Herzen gestehen, daß Wild Water wirklich einen guten Geschmack bezeigt hatte, als er sie zu seiner Auserwählten machte.
»Sie hören ja gar nicht zu«, rief sie.
»Aber ja«, sagte er. »Nur weiter. Ich gebe das Rätselraten auf. Was soll ich denn antworten?«
»Gott, haben Sie eine lange Leitung! Sie kennen doch Wild Water. Wenn er sieht, daß ich Eier haben möchte. und ich lese ja in ihm wie in einem offenen Buch. und ich weiß auch, wie ich ihm zeigen soll, daß ich Lust auf Eier habe. na, was glauben Sie, daß er dann tun wird?«
»Geben Sie lieber selbst die Antwort. Also weiter.«
»Nun. er wird sofort zu dem Mann hinstürzen, der das Eiergeschäft gemacht hat. Er wird den ganzen Vorrat aufkaufen, einerlei, was es kostet. Also stellen Sie sich vor: Ich komme gegen elf in das Restaurant von Slavovitsch. Wild Water wird am Nebentisch sitzen. Er wird schon dafür sorgen, daß er da ist, wenn ich komme. >Zwei Spiegeleier, bittec, werde ich dem Kellner sagen. >Tut mir leid, Fräulein Arralc, wird der Kellner antworten. >Tut mir sehr leid, aber wir haben keine Eier mehr.< Dann sagt Wild Water mit seiner gewaltigen Brummbärstimme: >Ober, sechs Eier, weich gekocht.< Und der Ober antwortet: Jawohl, Herr.< und er bringt wirklich die Eier. Nächstes Bild: Wild Water wirft mir einen Blick zu, und ich sehe wie ein ganz außergewöhnlich entrüsteter Eiszapfen aus und rufe den Kellner: >Tut mir wirklich sehr leid, Fräulein Arral<, sagt er, >aber die Eier da sind Privateigentum des Herrn Wild Water. Verstehen Sie, gnädiges Fräulein, er ist ihr Besitzer.< Neues Bild: Wild Water tut sein Bestes, um den Gleichmütigen zu markieren, während er triumphierend seine sechs Eier verzehrt.
Neues Bild: Herr Slavovitsch bringt mir in höchst eigener Person zwei Spiegeleier und sagt: >Mit einem ergebenen Gruß von Herrn Wild Water, Fräulein.< Was kann ich dann tun? Natürlich nur Wild Water freundlich anlächeln, und dann sprechen wir uns selbstverständlich aus, und er wird es billig finden, selbst wenn er zehn Dollar für das Stück bezahlt hat, und zwar für alle vorhandenen Eier.«
»Nur weiter, immer weiter«, rief Kid. »Was habe ich denn mit der Geschichte zu tun?«
»Gott, sind Sie blöd! Sie machen doch eben die Spekulation in den Eiern. Und Sie müssen gleich anfangen, noch heute. Sie können sämtliche Eier in Dawson für drei Dollar das Stück kaufen und sie an Wild Water mit so viel Gewinn verkaufen, wie Sie wollen. Und nachher lassen wir dann durchsickern, wie alles zugegangen ist. Dann wird man Wild Water tüchtig auslachen! Vielleicht wird er dann vernünftiger werden. Und wir beide werden die Ehre davon haben. Außerdem verdienen Sie eine Stange Gold dabei, und Dawson wird durch ein ordentliches Gelächter aus seinem Winterschlaf geweckt. Aber wenn Sie meinen, daß die Sache zu gefährlich ist, dann gebe ich Ihnen natürlich das Geld dazu.«
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