Der Gesandte war schon fortgefahren, aber der König zog sich nicht zurück; er schien zu warten, niemand wußte worauf, viele glaubten ihn in seine frühere Leere versunken. Daher ließen sie sich noch freieren Lauf und wiederholten heftiger, daß alle in diesem Königreich einmütig ihre Freiheit verteidigen müßten nach dem Vorbild Englands. Dieses Land war dem furchtbarsten Schicksal entgangen: alle Folterwerkzeuge der Inquisition fuhren auf den spanischen Schiffen mit. Der katholische Hof von Frankreich hatte auch Protestanten, sowohl erklärte als versteckte, und wer weiß, welcher von ihnen sich einfallen ließ zu sagen: «Gedankenfreiheit, an ihr liegt alles: sie verbürgt unser Recht und unsere Einheit.» Anstatt ihn zum Schweigen zu bringen, gaben sie einander einen Namen weiter, denselben wie vorher, nur jetzt schon kühner; und Biron, nochmals Biron, richtete das Wort an den König.
«Sire! Der König von Navarra: er ist besser, als ich dachte. Ganz selten sieht ein Mensch sein Unrecht ein. Für meinen Teil erkenn ich es.»
In diesem Augenblick kam Guise an: Mendoza schickte ihn, damit er den König zur Unterwerfung zwänge. Er war auch bereit, er drohte sofort mit den dreißigtausend Spaniern, die in Flandern ständen. Eine Stimme: «Und wo steht der König von Navarra?» Guise erwartete vergebens, daß Valois einschritt. Wenigstens hätte er selbst es tun müssen, aber Entmutigung folgt dem angesammelten Überdruß, und man gibt nach. Eine Stimme: «Sire! Rufen Sie den König von Navarra!»
Kein Widerspruch, keine Bestrafung. Guise und seine Liga werden nächstens eine Festung an der flandrischen Grenze den Spaniern ausliefern, sie werden weiter dem Feinde dienen und ihren König bedrängen. Heute ist für den Herzog von Guise der Tag, da die Niederlage der Armada ihn über sich selbst in Kenntnis setzt. Eine Stimme: «Der König von Navarra!»
Abseits von seinem Heer steht Henri unter dem Baum. Das Land ist weit, entweicht bis in den Himmel, schweigt, wird überbrüllt vom Meer. Henri hört seinen Namen rufen.
Er ist geistesabwesend und ist hellhörig. Sein tägliches Geschäft geht weiter, aber ein viel größerer Auftrag soll sogleich ausgesprochen werden. Er versieht das Geschäft, die Füße in der gewohnten schweren Erde. Zugleich erwartet er den Auftrag, innerlich aufgehoben und hingetragen. In dieser doppelsinnigen Zwischenzeit befand sich Henri dort, wo er Krieg führte, aber auch schon anderwärts: ja, Gott näher. Ich sage wie David: Gott, der mir bis jetzt Sieg geschenkt hat über meine Feinde, hilft weiter. So sprach er, und dies sogar: Ich bin besser, als ihr glaubt — neue Worte bei ihm.
In La Rochelle befaßte eine Kirchenversammlung sich mit seinen Sünden; er übte Geduld, hörte die Pastoren reumütig an und antwortete keineswegs, wie er gekonnt hätte: Gute Leute, kleine Seelen, wer hat denn standgehalten in der Schule des Unglücks, den Mühlen des Lebens, und hat überdauert die geistigen Versuchungen, allesamt. Allein eure Enthüllungen über meine liebe Mutter hätten genügen können, ihrem Sohn den Mut zu entziehen, ich aber habe mir bewahrt die angeborene Farbe der Entschließung! Dies sagte er weder in La Rochelle den Pastoren, noch rühmte er sich dessen vor seiner Freundin, der Gräfin Gramont. Was er ihr berichtete, waren fertige Tatsachen, seine Siege über die Armee des Königs von Frankreich — und dann, daß der König den Herzog von Guise getötet, endlich dennoch getötet hatte.
Henri hatte längst damit gerechnet; seine Nachrichten vom Hof waren genau, und noch deutlicher seine Vorstellung der Menschen. Er sah Valois in seiner Ständeversammlung: fast nur Anhänger der Liga infolge des ungeheuersten Terrors bei den Wahlen; alle besessen von einem frechen und liederlichen Haß, und wissen nicht mehr, wohin damit. Heben schlanker Hand alle Steuern auf, so viele dieser König in den vierzehn Jahren seiner Regierung verordnet hat; sie nehmen ihm den Rest der Macht, damit aber dem Königreich und sich selbst. Das ist das Ergebnis der vierzehnjährigen Hetze und einer falschen Volksbewegung. Zuletzt kommt alles ans Ziel, es muß nur fest genug in die Köpfe gerammt sein: dann fügt sich die Wirklichkeit, sie verwandelt sich in den leibhaftigen Unsinn, und die lange genug gepredigte Lüge vergießt wirkliches Blut. Dabei sind dies Spießbürger, starren von Unwissenheit über die Religion, über den Staat, über alles Menschliche. Für sie ist der gutwillige Valois ein Tyrann, sein gesitteter Staat soll schändlich sein. Ihr Bund zur Ausplünderung und Auslieferung des Königreiches, sie schwören darauf, daß er die «Freiheit» bringt und bedeutet. Die Steuern abzuschaffen, fehlt ihnen noch, damit das Programm durchgeführt wird, wie es vierzehn Jahre lang gebrüllt worden ist über das Land.
Die Weiber dieser erwählten und erwachten Drogisten und Blechschmiede tanzen unbekleidet durch die Pariser Straßen. Der Einfall gehört der Herzogin von Montpensier, Schwester der Guise, Furie der Liga, deren Prozessionen an Reiz gewinnen sollen durch den nackten Irrsinn. Das geht zu weit; Kleinbürger sind zahlreich, sämtlich wollen sie nicht mit loderndem Kopf in ihr Verderben rennen, auch ihre Weiber nicht verwildert hineinschlüpfen lassen. Sie wollen hauptsächlich nicht zahlen; sonst sind sie voll täglicher Widersprüche. Daher ein flüchtiger Aufstand gegen die Bande gieriger Abenteurer, der Paris seinen Zustand verdankt. Hierauf notgedrungene Besinnung Guises: er muß handeln derart, daß niemand zurück kann, das Endgültige muß geschehen, der König sterben.
Der König war damals so arm, wie sogar Henri von Navarra noch nicht gewesen war. Sein Hof hatte sich aufgelöst, seine letzten fünfundvierzig Edelleute sahen sich nach zahlenden Herren um. Valois hatte nichts zu essen, erfährt Henri. In seiner Küche ist das Feuer ausgegangen. ‹Habe ich selbst es nicht ausgeblasen, als ich sein bestes Heer zerstörte bei Coutras? Ich muß ihm zu Hilfe kommen. Jetzt bittet er Guise. Der bettelt für ihn bei der Liga. Nichts zu machen mit den Spießbürgern, sie sind die Dümmsten im Lande, auf sie ist Verlaß für einen Führer ohne Gewissen. Er soll es nur nicht zu weit treiben. Er glaubt, der König wäre kein Mann mehr; Guise aber ist kein König, er kennt uns nicht. Wenn die Gesandten berichten, wir wären am Ende, dann fließt uns aus den Jahrhunderten noch alte Kraft zu. Ich will Valois helfen.›
Guise wird vollends dreist, so erfährt Henri. Er fängt an, die Vorsicht zu vergessen — wohnt selbst im Schloß des Königs, zu Blois, damit er ihn sicher in Händen hält. Und warum nicht Valois ihn? Guise hat alle Schlüssel; gleichwohl erfährt er nichts mehr, denn spät genug mißtraut der König seiner Mutter, er hat ihre Vertrauten abgesetzt, sie kann nicht, was doch ihr Leben war, kundschaften und verraten. Viel Glück, mein Valois, bei deinen heimlichen Vorkehrungen. Du bist nur sehr allein für so besondere Entschlüsse. Guise will nichts wissen; trotz allen Warnungen, fünf an einem Tage, beugt er nicht vor: es hat mehrere Gründe, Henri erkennt sie. Erstens ist Guise hochmütig. Er umgibt sich, wie immer, mit großartigem Gefolge; weigert sich indessen, an eine Gefahr zu denken. Folglich kommen Augenblicke, in denen er ungedeckt ist, und ein Augenblick genügt. Sein Hochmut wird ihn zu Fall bringen — nicht nur, weil er ihn unvorsichtig macht. Er hält sich auch zu gut für die Rolle, die er spielt: Henri weiß Bescheid über seinen alten Spielgefährten. ‹Meinem Guise ist nachgerade übel vor Hochmut, er verträgt nicht länger den Atem seiner eigenen Leute. Ich, wenn ich Guise und ein Schurke wäre, ich wär auch der Mann, sie zu riechen: Knoblauch, Wein und ihre Füße. Aber ich kann Spanien nicht riechen, daher ginge es nicht. Guise ist außerdem komisch.›
In seinen Betrachtungen, beim nächtlichen Lagerfeuer oder unter einem Baume mit sich allein, gelangte Henri an die heitere Stelle. Guise zahlt drauf. Er will sich nicht langweilen, hat den Hof zurückgeholt, speist und unterhält die ganze schöne Gesellschaft, den Valois mit — anstatt ihn zu ermorden. Hat Frauen, mehr als ihm guttut, und wir kennen das Vergnügen, haben selbst erfahren, daß es den Zweifel begünstigt und den Überdruß vervielfacht. Davon wird man müde, besonders so ein Goliath, grade die werden es. Wer weiß übrigens, vielleicht will er nicht anders als müde werden. Hochmut, Überdruß, Vergnügen, alles zusammen wäre am Ende der Vorwand, die Augen zu schließen und den Streich zu erwarten. Wir selbst entgingen erst unlängst der Versuchung. Der halbe Schnurrbart wird weiß dabei.
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