Er fragte: Was ist wohl erreicht worden mit all den erbärmlichen Kriegen, den Gewalttaten, der Million Menschen, die um ihr Leben kamen, und mit so viel verschwendetem Gold, wie ein ganzes Bergwerk nicht hergibt? Er antwortete, ließ aber eigentlich seinen Leser antworten: Die Verarmung des Volkes ist erreicht worden. Daß der Staat todkrank im Fieber liegt. Unheil ohne Ende. Er fragte: Und wie wird es aussehen, wenn es so weitergeht? Er fragte zuerst den Adel und die Bürger, gab auch gleich die Antworten, die ihr eigener Vorteil ihnen vorschrieb. Dann erhob sich sein Ton, er sprach zum Volk, nannte es die Kornkammer des Königreiches, des Staates Fruchtfeld, seine Arbeit nährt die Fürsten, sein Schweiß stillt ihren Durst. Zu wem wirst du deine Zuflucht nehmen, Volk, wenn der Adel dich mit Füßen tritt?
Mornay sagte, und Henri durch ihn: Mit Füßen tritt. Von den Bürgern der Städte behauptete er, daß sie das Volk aussaugen würden. Auf diese beiden Stände ist kein Verlaß: das Volk hat nur den König, Ruhe und Sicherheit sind allein im König — herauszuhören war, in welchem. Der König der Verfolgten und der Armen, der Sieger über silberne Ritter und Steuerpächter. Da aber gerade in seinem Namen der Aufruf erging, versäumte Mornay nicht, ihn dem König von Frankreich geloben zu lassen, er werde treu sein. Hätte Henri von Navarra dereinst unter dem Segen Gottes seinen Plan zu Ende geführt, dann wollte er Gehorsam erweisen dem König. Sein eigener Lohn sollte sein gutes Gewissen sein. Er wollte sich zufriedengeben mit der Freiheit der Wohlgesinnten.
So der Aufruf, der mit Vorsicht hinwegging über die einzige Klasse der Bevölkerung, bestrebt, sie nicht zu reizen, aber ohne viel Hoffnung, sie zu versöhnen. Mit der Geistlichkeit war nichts anzufangen, und die blinde Kraft des Hasses, hier Liga genannt, kann nicht auf einmal aufgehalten werden, auch durch die Wahrheit nicht. Dennoch, weithin erkannte man diese in den Worten Navarras. Der Glaube seines Mornay wurde vollauf gerechtfertigt. Die Wahrheit verbreitete ein unverhofftes Leuchten: man glaubte es kaum. Dann dürfen wir einträchtig und einig sein? Das war sonst noch nie erlaubt. Was ist geschehn? Auch die beiden Könige staunten, so sehr sie doch zueinander strebten. Die Hindernisse sind nicht fortgeräumt; Navarra denkt an keinen Wechsel der Religion, nur um ein Königreich zu erben. Valois steht, wie immer, in Verhandlungen mit der Liga. Dennoch ließ er Mornay wissen, daß er bereit wäre, und zu Navarra schickte er seine natürliche Schwester, Madame Diana.
Ein einjähriger Waffenstillstand wurde abgeschlossen zwischen den beiden Königen, beide aber waren gesonnen, daß er für alle Zeiten wäre. Inzwischen hatte Henri sich aufgemacht mit seinem Heer, und da die Städte unterwegs ihn willig einließen, rückte er schnell gegen Tours. Der König hatte dort sein Parlament versammelt. Diese Juristen waren vernünftig, und je näher Navarra kam, um so mutiger wurden sie auch: zuletzt trugen sie den Vertrag unter die Gesetze des Königreiches ein. Das geschah am neunundzwanzigsten April. Am dreißigsten erschien Navarra mit seinem Heer.
Es war ein Sonntag hell und klar. Dem armen Valois schien es, er stände von den Toten auf. Zum erstenmal verließ ihn die Furcht, daß die Liga ihn fing und mitnahm. Von der anderen Seite nahte sein Bruder Navarra. Der König war in der Messe, als beide Heere aufeinander trafen am Ufer eines Baches drei Meilen vor der Stadt: die Edelleute des Königs von Frankreich, mit ihren Truppen, und drüben die alten Hugenotten. Sie hielten nicht an, das wäre nicht gut gewesen, sondern vermischten sogleich ihre Reihen, zäumten gemeinsam ihre Tiere ab und tränkten sie in demselben Gewässer. Diese Beschäftigungen verhüteten, daß sie unnütz sprachen und einander müßig ins Gesicht sahen. Erblickt hätten sie gealterte Gesichter, Leiber voller Narben; hätten vielerlei Elend erkannt bei dem anderen wie bei sich selbst, und wären erinnert worden an ihre verbrannten Häuser, getöteten Familien, an zwanzig Jahre Bürgerkrieg. Unmöglich konnten sie während ihres ersten friedlichen Wiedersehens der Bartholomäusnacht vergessen, das konnten weder die Täter noch die Opfer. Geraten war es, Halfter zu lösen und Pferde in den Bach zu reiten. Der König von Navarra wartete dort hinten und ließ sie machen; nach vorn schickte er den Generalobersten seines Fußvolkes.
Vorn am Wasser sagten sie: «Herr de Châtillon», und wollten es nicht glauben. Dennoch war ein Sonntag hell und klar, der Sohn des Admirals Coligny ging allein auf den Marschall d’Aumont zu und umarmte ihn. Ein freier Raum entstand um diese Herren, und Köpfe wurden entblößt. Dies einmal geschehen und im Herzen aufgefaßt, verbrüderten sich beide Heere.
Die Könige folgten ihrem Beispiel. Es wäre nicht gut gewesen, den Heeren die Versöhnung vorzumachen. Die Heere vielmehr mußten vorangehen und noch erstaunt sein, was sie sich erlaubten. In Schloß Du Plessis, jenseits des Flusses, erwartete der König von Frankreich den von Navarra, er ließ ihn bitten, hinüberzusetzen. Aus dieser Zumutung war zu ersehen, daß Valois vom Unglück noch nicht genug gelernt hatte, man hätte denn böse Absichten bei ihm vermutet. Bei Schloß Du Plessis fließen Loire und Cher zusammen. Wer hier übersetzt, ist ungedeckt, von allen Seiten kann der verräterische Schuß fallen, auf der Landzunge aber wird er schutzlos in der Gewalt des Valois sein. Mehrere der Seinen rieten Henri dringend ab; er ließ sich nicht beirren, stieg ins Boot mit einigen Edelleuten und Leibwachen, ja behielt auch seinen weißen Federbusch und sein rotes Mäntelchen. Jeder sah von weitem, wer er war.
Er kam glücklich an, weil Gott es wollte, und auch wegen der Sehnsucht, die Valois nach ihm fühlte; er erkannte sie an seiner eigenen, war ihrer darum versichert. Drüben führten Herren des Königs ihn nach dem Schloß, der König indessen erwartete ihn im Park — war eine Stunde früher angekommen, war unruhig im Innern, nach außen wie ein Schlafender und wagte nicht zu fragen: Wo bleibt er? Ihn hat doch kein Unfall betroffen? Von zurückgekehrten Höflingen umringt, fragte er keinen das, was ihn bewegte. Er hörte aber sagen, Navarra wäre im Schloß; da vergaß er sich und lief. Einige Schritte lief Valois, bevor er sich seiner Majestät entsann und sie öffentlich darstellte. Der Park war voll von Menschen, Hof und eingedrungenes Volk. Der König von Frankreich machte den halben Weg, den anderen halben machte der von Navarra.
Er stieg die Stufen hinunter vom Schloß in den Park. Man sah ihn gekleidet als Soldat, das Wams stark abgenützt vom Panzer auf den Schultern und an den Seiten. Die anliegenden Hosen waren aus Samt, in der Farbe welken Laubes, der Mantel scharlachrot, am grauen Hut der große weiße Busch und eine sehr schöne Medaille. Das alles sahen Hof und Volk genau. Außerdem bemerkten mehrere, wenn auch weniger eifrig, daß sein Bart schon ergraute. Ob in Henri Tränen aufstiegen, blieb unbeachtet, so leicht es bei ihm vorkam, wie alte Bekannte noch wissen konnten. Aber auch für sie kaum wiederzuerkennen war das abgemagerte Gesicht, schmaler als alle gewohnten. Um so größer erscheint die tief herabgedrückte Nase; in ihre Wurzel schneidet eine runde Falte; die Brauen sind angestrengt erhoben. Das Gesicht war nicht einfach: nur seine Entschlossenheit machte aus ihm das Soldatengesicht. An den angekränkelten Gefangenen des Louvre durfte niemand denken. Dieser Navarra ging fest in den Hüften dem König entgegen.
Halbwegs werden beide getrennt durch einen Schub Menschen. Die beiden stehen, suchen einander in den Lücken der Menge, sie grüßen, sie strecken nacheinander die Arme aus. Sie sind blaß und tiefernst. Diesen Augenblick streben sie noch zueinander: im nächsten soll alles neu sein. Fried! Fried! — und endlich der feierliche Augenblick des Rechten und Guten.
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