Sie winkte, ihre Dienerschaft lief herbei, führte den Mönch herzu, schob ihn in die Tür, die gleich wieder geschlossen wurde. Eine Göttin blieb im Gemach allein mit einem braunen Wesen von dort unten, das gewaltig stank. Das Duftwasser half nichts gegen den Geruch von Ungewaschenheit, und dieser verbreitete sich sofort: Aber die Dame hielt ihm stand. Sie sprach das Mönchlein an, das glupte mit Äuglein, schmatzte mit dicken Lippen, und in den zusammengesteckten Ärmel rückte der Bauernkerl die Hände: hätte sie gern hervorgeholt und Fleisch betastet. Keine Spur von Scheu, heute ist alles durcheinander, alle gelten gleichviel in der heiligen Liga. Man sehe nur auf der Straße hinter die Sandfässer: liegen übereinander Obersten und Ritter, die haben wir hinmachen dürfen. Ihre Weiber stehn uns frei. Hei. Hochherzige Jugend, sagt sie.
«Wie heißt du?» fragte die Herzogin in einem Ton, daß der Junge erschrak. «Wissen Sie doch», brummte er. «Haben mich selbst bei Namen genannt von oben. ‹Jakob, wo bist du?› riefen Sie. Na hier. Was soll’s jetzt sein.»
«Knie hin!» befahl die Herzogin stark. «Bete den Rosenkranz.» Ihre Herrschaft und Macht über ihn waren unbeschränkt, das erkannte sie an seinen irrsinnigen Worten. Sie ging in seinen Träumen um, schon seit den vorigen Malen, als sie vom Balkon herab geredet hatte. Kniend mußte er ihr beichten, sein gemeines und liederliches Schicksal: die Fleischessünde, derentwegen er aus dem Kloster nach Paris geschickt worden war, um eine Tat zu vollführen. Sein Vorsteher hier prägte ihm ein: Fleischessünde — nur gut zu machen durch eine Tat. «Durch welche?» fragte die Herzogin. Das wußte er nicht. Die Mönche, die ihn erzogen, ließen die Sache selbst noch im Dunkeln. Die Mönche richten immerfort Königsmörder ab, zuletzt aber verwenden sie keinen. Dieser ist meiner. «Du gehörst mir», befahl sie. «Ich stell mit dir an, was ich will. Ich kann dich unsichtbar machen. Steh auf, dreh dich zur Wand.» Sie ging an das Ende des Zimmers und suchte. «Jakob, wo bist du?» Er hörte sie mehrmals fragen, ohne daß er sich meldete. ‹Da bin ich nun richtig unsichtbar, hei›, sprach er bei sich; sonst dachte er nichts. Sein Herz ging deshalb nicht schneller. «Jakob, komm und berühre meinen Saum, davon wirst du wieder sichtbar.»
«Will gar nicht sichtbar werden», maulte er, «außer, wenn ich mehr anfassen darf als nur den Saum.»
Dennoch schlappte er heran auf seinen Sandalen; aber noch bevor er nach ihrem durchsichtigen Gewand hatte greifen können, sagte sie dies halblaut, dabei fürchterlich: «Jakob! Du sollst den König töten.»
So stumpf das Wesen war, es taumelte, das Gesicht verfiel, lange kam nichts, endlich aber nur Angstgestöhn. Während seines Schweigens gingen die Schrecken der Verdammnis, sichtbar wie Flammen, hervor aus dem Munde der höllischen Dame. Unter ihrem Schleier bemerkte er auf einmal den Pferdefuß, und wie deutlich!
«Gehorche mir, Jakob, dann ist dein Glück gemacht. Wenn du den König tötest, hast du drei Wünsche frei. Du kannst den Kardinalshut verlangen. Reich sollst du sein. Das dritte gewähr ich dir selbst» — wobei sie auf flacher Hand ihre Reize darbot. Gleichzeitig ging sie mit ihrer Stimme zum Girren über, berückte ihn ganz unmäßig, sah ihn zittern wie Espenlaub, seinen Speichel triefen, und in diesem Zustand erfuhr der Blöde von ihr, daß ein König so gut wie ein Mensch ist. Stirbt auch nur einmal und ist dann immer tot. «Dich aber können sie suchen, du bist unsichtbar. Jakob, wo bist du?»
«Hei, bei dir!» antwortete er glucksend vor Zufriedenheit, dann jetzt hatte er begriffen und machte sich keine Sorgen mehr.
«Wenn du den König getötet hast und Kardinal bist. Zu mir darf nur ein Kardinal kommen.» Dies im Gegenteil kühl und herablassend, während sie eine schnelle Musterung über ihn hielt. ‹Viel zu fett ist der Trampel, um behend den Valois abzustechen. Muß fasten, und seiner Erleuchtung wegen soll er Pulver in das Essen bekommen, obwohl er auch so schon alles sieht und hört, was man will. In seinem Kloster werden sie ihm feurige Teufel vormachen, für den Fall, daß der Esel jemals die Hinterfüße versteift. Aber das tut er nicht, ich hab ihn.› Dabei zog sie an der Klingel. «Fort mit dem Stänker, und auslüften!» Da sie zum Fenster trat, halbnackt wie sie war, stürmte drunten nach ihrem Anblick zusammen viel hochgesinnte Jugend. Sie ließ sich in Ruhe bewundern, das Fenster reichte bis auf den Boden. Übergroß durch die Leidenschaft ihres Stolzes sah sie dem Himmel in sein Sonnenauge, und es blendete sie nicht. «Ich — wag es.»
Als der letzte Valois aus seinem Schloss Louvre flüchtete, dachte er an seinen Vetter Navarra und wünschte ihn herbei. ‹Wenn ich ihn hier hätte, sollte Paris wohl etwas kleiner werden, so viele würden wir köpfen. Diese Stadt ist zu groß, man muß ihr Blut abzapfen. Ich, der einzige König, der sie immer bewohnt und mit seinem Hof bereichert hat. Die öffentliche Hinrichtung des Guise soll ein Volksfest werden.› Heiß und erbittert, konnte der arme König dennoch in Muße seine Gedanken verfolgen. Guise hatte ihm einen Ausgang heimlich offengelassen, er flüchtete mit Zustimmung seines Feindes, der ihn los war und in der Hauptstadt das Regiment ergriff. Vor der Karosse des Königs gingen seine Garden, im Schritt fuhr er nach seinem nächsten Aufenthalt, seine Gedanken aber verließen niemals ganz den Vetter Navarra. ‹Hätte ich ihm Joyeuse und meine schönste Armee entgegengeschickt, nicht, damit er sie schlug, sondern vereint hätten sie gegen Paris ziehen müssen, mich zu befreien!›
Bei einiger Vertiefung in den Gedanken erkannte er die Unmöglichkeit. ‹Seine katholische Armee hätte dem Befehl nicht gehorcht. Gelangte andererseits der protestantische Vetter bis nach Paris — dann wär’s um meinen Thron geschehen›, entschied Valois, obwohl er zweifelte. Er war nur zu unglücklich, um grade jetzt sein Mißtrauen aufzugeben. Er hielt daran fest, als an seiner einzigen Stärke. ‹Auch um mein Leben wär’s geschehen›, behauptete er aus Trotz.
Henri hatte selbst die größte Furcht vor Gift, und dies schon zwei Monate, seit dem Tode seines Vetters Condé. Der Prinz von Condé war vergiftet worden: von seiner eigenen Frau, wie Henri glaubte. Sofort hielt er auch seine arme Margot dazu fähig, aus dem Gleichgewicht wie sie war, eine Beute ihres unsinnigen Hasses. Der eßlustige Henri, überall im Lande hatte er sich unbesorgt zu Gast geladen, plötzlich wurde bei ihm gekocht in der verschlossenen Küche, unter Aufsicht. Vetter Condé hatte eine ganze Nacht erbrochen. Am zweiten Morgen danach frühstückt er stehend, will Schach spielen, wieder ist ihm sehr übel, und er stirbt: schon wird die Haut schwarz. ‹Ich trauere um ihn wegen dessen, was er mir hätte sein sollen. Wie er war, das betrauere ich nicht.›
Vierundzwanzig Mörder wurden in dieser Zeit ausgeschickt gegen den König von Navarra. Was der arme Valois sich heimlich wünschte: sein Vetter möchte ihm zu Hilfe kommen, andere befürchteten es und wollten es abwenden. Man sagte ihn tot, wie gewöhnlich die tun, deren Vorteil es wäre, und einige sind sogar in der Lage, Genaues darüber zu wissen. Der Herzog von Guise hat sich bei dem König von Frankreich dringend erkundigt, ob es wahr ist. Der König konnte nur hoffen, daß sein Vetter Navarra lebte; nach dem Tode des Prinzen von Condé hatte er ihm Gesandte geschickt, besonders Herrn de Montmorency. Dies war wirklich der letzte seiner Versuche, den Übertritt zur katholischen Kirche zu erreichen bei dem einzigen überlebenden Haupt der Protestanten. Nachher war Henri der unanfechtbare Erbe der Krone. Niemand glaubte, daß seine Protestanten noch von ihm abfallen könnten seit dem Verschwinden des Mitbewerbers um ihre Führung. Doch: Henri kennt sie. Er weiß auch, daß er auf gradem Wege bleiben muß, solange das Abweichen nach Schwäche aussähe. Seine innere Festigkeit kann Untreue nicht brauchen und verwirft ein vorzeitiges Gelüst. Wenn das Königreich kämpfend erworben und zusammengebracht ist nach allen weiter bevorstehenden Mühen des Lebens, ergraut, von erprobter Macht und Gewalt: um ihretwillen wäre es durchaus nicht mehr nötig, dann, aus freien Stücken wird er zur Messe gehen. Vorher nicht. Um nur geduldet zu werden, niemals.
Читать дальше