Bogenschützen.
Tausende von Bogenschützen, zu viele, um sie zählen zu können. Die französischen Kundschafter waren mit höchst unterschiedlichen Zahlen zwischen viertausend und achttausend zurückgekehrt. Und diese Bogenschützen, das wusste Lanferelle, kämpften mit langen Eibenbögen, und sie hatten stählerne Pfeilspitzen, die aus geringer Entfernung auch noch die beste Rüstung der Christenheit durchschlugen. Aus diesem Grund waren Lanferelles Rüstungsteile auch so weit wie möglich abgerundet. Dadurch sollten auftreffende Pfeile abgelenkt werden. Dennoch war ihm klar, dass ein unglücklicher Schuss sehr wohl seine Rüstung durchdringen konnte. Aus diesen Gründen teilte Ghillebert, der Herr der Hölle, die Siegesgewissheit seiner Landsleute nicht. Er bezweifelte zwar keinen Augenblick, dass die französischen Feldkämpfer die englischen Feldkämpfer niedermachen konnten, doch bevor sie diese armselige Kampflinie erreichten, würden sie den Pfeilhagel überstehen müssen.
In der vorangegangenen Nacht, als die anderen Männer tranken, war Seigneur de Lanferelle zu einem Astrologen gegangen, einem berühmten Mann aus Paris, von dem erzählt wurde, er könne die Zukunft voraussehen, und Lanferelle hatte sich in die lange Schlange derjenigen eingereiht, die den Seher konsultieren wollten. Der Mann, bärtig, ernst und in einen pelzbesetzten schwarzen Umhang gehüllt, hatte Lanferelles Gold genommen und dann, nach vielem Stöhnen und Seufzen, erklärt, er sähe nichts als Ruhm in Lanferelles Zukunft. «Ihr werdet töten, mein Herr», hatte der Astrologe gesagt, «Ihr werdet töten und töten und Euch sowohl Ruhm als auch Ehre erwerben.» Danach, im strömenden Regen vor dem Zelt des Astrologen, hatte sich Lanferelle wie ausgehöhlt gefühlt.
Er würde töten und töten, da war er sicher, aber der wahre Ruhm bestand nicht darin, die Engländer abzuschlachten, sondern sie gefangen zu nehmen, und genau in der Mitte der feindlichen Linie, unter den größten Bannern, war der König von England. Nimm Henry gefangen, und ganz England wird Jahre brauchen, um das Lösegeld aufzubringen. Die Franzosen genossen die Aussicht auf diese Möglichkeit. In der englischen Linie standen auch königliche Dukes und bedeutende Lords, und jeder von ihnen konnte einen Mann über seine kühnsten Träume hinaus reich machen.
Doch zwischen dem Traum und der Wirklichkeit standen die Bogenschützen.
Und Ghillebert, Seigneur de Lanferelle, verstand etwas von der Macht des Eibenbogens.
Aus diesem Grund hatte Lanferelle, als die Engländer ihren langen, mühseligen Vorstoß auf das gepflügte Feld zwischen Tramecourt und Azincourt begannen, dem Konnetabel zugerufen, dass der rechte Moment für einen Angriff gekommen war. Die Engländer hatten, während sie sich vorwärtskämpften, den Zusammenhalt verloren. Statt einer Armee in Schlachtordnung waren sie mit einem Mal nur noch schlammverdrecktes Geschmeiß, das über die trügerischen Furchen kroch. Lanferelle hatte gesehen, dass auch die Bogenschützen vollkommen ungeordnet vorrückten, worauf er den Marschall Boucicaut und den Konnetabel D'Albret erneut angerufen hatte. «Lasst jetzt die Reiter angreifen!»
Die Reiter standen an den französischen Flügeln. Es waren großgewachsene Männer auf großgewachsenen Pferden, die Hengste hatten Panzerhauben über den Köpfen, und dick gepolsterte Überwürfe bedeckten ihren Körper. Ihre Aufgabe war es, in die Reihen der Bogenschützen an den Flanken einzubrechen und sie gnadenlos niederzumetzeln. Doch viele Reiter hatten sich mit ihren Tieren entfernt, um ihre Schlachtrösser auf den grünen Auen hinter den Wäldern in Bewegung zu halten, und die übriggebliebenen Reiter beobachteten die Engländer einfach nur.
«Es ist nicht meine Entscheidung», gab Marschall Boucicaut zurück.
«Wessen Entscheidung soll es denn sonst sein?», fragte Lanferelle.
«Jedenfalls nicht meine», sagte Boucicaut knapp und grimmig, und Lanferelle verstand, dass Boucicaut seine Befürchtungen teilte, was die Fähigkeiten der Bogenschützen anging.
«Im Namen Gottes!», sagte Lanferelle, als die Reiter weiterhin keinen Befehl zum Angriff erhielten und stattdessen nur auf ihren großen Kampfpferden saßen und zusahen, wie sich die Engländer immer weiter näherten.
«Wer führt uns überhaupt? Bei Gott, wer führt uns?», fragte Lanferelle laut. Niemand hatte den Franzosen vor der Schlacht eine mitreißende Rede gehalten, doch Lanferelle hatte gesehen, wie Henry vor der englischen Linie entlanggeritten war und mehrfach länger angehalten hatte.
Und wer sprach für Frankreich? Weder der Konnetabel noch der Marschall befehligten die riesenhafte Armee. Diese Ehre schien dem Duc de Brabant zugefallen zu sein, oder vielleicht auch dem jungen Duc d'Orleans, der gerade eben erst bei dem Feld angekommen war und nun den englischen Vorstoß beobachtete, während er zweifellos überschlug, wie viel Lösegeld er mit eventuellen Gefangenen herausschlagen konnte. Der Duc schien es zufrieden zu sein, den Feind gegen die französische Schlachtlinie vorrücken zu lassen, und deshalb wurden den französischen Reitern an den Flügeln keinerlei Befehle erteilt.
Lanferelle sah ungläubig mit an, wie es den Engländern gestattet wurde, bis zur Reichweite eines Langbogens heranzukommen. Die Franzosen hatten Armbrustschützen, sie hatten sogar eine Handvoll Männer, die den Eibenbogen beherrschten, und sie besaßen ein paar kleine Kanonen, die bereit zum Abfeuern waren, doch die wartenden Reiter verstellten sowohl den Kanonieren als auch den Armbrustschützen die Sicht. Die Armbrust besaß eine größere Reichweite als der Eibenbogen, doch die Armbrustschützen konnten nicht schießen, und so konnten die feindlichen Bogenschützen ihre Stöcke unbehelligt in den Boden schlagen. Bei Gott, dachte Lanferelle, das ist Tollheit. Die Bogenschützen hätten schon lange angegriffen und niedergemacht sein müssen, doch stattdessen hatte man es zugelassen, dass sie bis zur Reichweite ihrer Bögen herankamen und als Hindernis für die Reiter ihre Stöcke in den weichen Grund rammen konnten. Er sah zu, wie sie ihre Bögen bespannten, und obwohl sie dies in der Reichweite der französischen Armbrustschützen taten, blieben sie vollkommen ungestört. «Gott», sagte er zu niemandem im Besonderen, «da kommt sie herein, zieht sich nackt aus, legt sich aufs Bett, spreizt die Beine, und wir tun gar nichts.»
«Sire?», fragte sein Junker.
Lanferelle achtete nicht auf die Frage. «Visiere!», rief er seinen Männern zu. Er führte sechzehn Feldkämpfer an, und er wandte sich um, weil er sicher sein wollte, dass sie alle ihr Visier geschlossen hatten, bevor er sein eigenes herunterklappte.
Augenblicklich war er in Dunkelheit gehüllt. Einen Moment zuvor noch hatte er den Feind klar und deutlich sehen können. Er hatte sogar ein goldenes Glitzern um den Helm Henrys von England gesehen, doch nun hatte er eine Stahlklappe vor den Augen, und in diese Klappe waren zwanzig kleine Löcher gebohrt, von denen keines groß genug war, um auch nur die oberste Spitze eines schmalen Ahlspitzenpfeils hindurchzulassen. Um durch diese Löcher irgendetwas zu sehen, musste Lanferelle seinen Kopf von einer Seite zur anderen drehen, und auch dann konnte er nur wenig von dem ausmachen, was um ihn herum geschah.
Doch er sah den einzelnen Reiter vor der Mitte der englischen Linie.
Und er sah den Stab, der in die Luft geschleudert wurde.
Und er hörte die Worte «Jetzt!» und «Schießen!».
Er senkte den Kopf, als müsse er sich gegen einen heftigen Wind lehnen, und er hörte das aufsteigende Rauschen der Pfeile, und er zog die Schultern hoch und biss die Zähne zusammen. Und dann schlugen die Pfeile ein.
Das Geräusch, mit dem Tausende stählerner Pfeilspitzen auf Stahlrüstungen trafen, war grauenvoll. Ein Mann schrie vor Schmerz auf, und Lanferelle spürte einen dumpfen Schlag an der rechten Schulter, und obwohl der Pfeil abgelenkt worden war, riss er ihn dennoch zur Seite. Ein zweiter Pfeil ließ seine Lanze erbeben, wenn er auch nichts davon sehen konnte. Ein Tölpel in einer hinteren Reihe hatte sein Visier offen gelassen und gab ein gurgelndes Geräusch von sich, als ein Pfeil vom Himmel jagte und sich durch seinen Mund in die Luftröhre bohrte. Langsam sank der Mann in die Knie und hustete einen Blutschwall heraus. Andere Pfeile fuhren in den Boden oder glitten an den Rüstungen ab. Zu Lanferelles Linken wieherte ein Pferd und bäumte sich auf.
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