«Bei Gott», sagte Will of the Dale, «er glaubt wirklich, dass wir siegen werden!»
Und am anderen Ende des Feldes ließ der auffrischende Wind die rote Seide der Oriflamme wehen, sodass sie über den Lanzenspitzen der Feinde züngelte. Keine Gefangenen.
Und noch immer rückten die Franzosen nicht vor. Die Bogenschützen saßen nun auf dem Boden, und es kümmerte sie nicht, wie feucht er war. Manche schliefen gar, schnarchten auf der schlammigen Erde. Die Priester nahmen weiter die Beichte ab. Pater Christopher schrieb mit seinem Kohlestück den glückbringenden Namen Jesu auf Melisandes Stirn. «Du wirst beim Karrentross bleiben», erklärte er.
«Das werde ich, Pater.»
«Und sattle dein Pferd», riet er ihr.
«Um zu flüchten?»
«Um zu flüchten», stimmte er zu.
«Und trag den Wappenrock deines Vaters», fügte Hook hinzu.
«Das werde ich», versprach sie. Melisande verwahrte den Wappenrock in einem großen Beutel zusammen mit ihren weltlichen Besitztümern, und nun zog sie das feingesponnene Leinen heraus und entfaltete es. «Gib mir dein Messer, Nick.»
Er gab ihr seinen Dolch, und sie schnitt damit einen Streifen aus dem Saum des Wappenrocks. «Hier.» Sie hielt ihm den Stoffstreifen entgegen.
«Soll ich das tragen?», fragte Hook.
«Gewiss sollst du das», sagte Pater Christopher. «Das tut ein Soldat. Er trägt die Farben seiner Dame.» Er deutete auf die englischen Feldkämpfer, von denen sich die meisten ein seidenes Tuch um den Hals geknüpft hatten. Hook zog sich seinen eigenen Stoffstreifen um den Hals. Dann nahm er Melisande in die Arme.
«Du hast gehört, was der König gesagt hat», erklärte er ihr. «Gott ist auf unserer Seite.»
«Ich hoffe, Gott weiß das auch», sagte sie.
«Darum bete ich auch», sagte Pater Christopher.
Dann, mit einem Mal, entstand Bewegung. Nicht bei den Franzosen, die nicht zu erkennen gaben, dass sie angreifen wollten, sondern durch eine Gruppe englischer Feldkämpfer, die vor der englischen Linie entlangritten. «Wir werden vorrücken!», rief der Mann, der zum rechten Flügel geritten war. «Nehmt eure Stöcke! Wir rücken vor!»
«Gefährten!» Es war der König, der einige Schritte vor die Linie geritten war, sich in den Steigbügeln aufgerichtet hatte und mit den Armen winkte, um all seine Landsleute in Bewegung zu setzen. «Gefährten! Es geht los!»
«O mein Gott, mein Gott», sagte Melisande.
«Geh zurück zum Tross», forderte Hook sie auf und zog mühsam seinen Stock aus der Erde. «Geh, Liebste», sagte er, «mir wird nichts geschehen. Es gibt keinen Franzosen, der mich töten könnte.» Das glaubte er zwar selbst nicht, aber ihr zuliebe rang er sich dennoch ein Lächeln ab. Sein Magen zog sich zusammen. Angst ließ ihn erschauern. Er fühlte sich verletzlich und kraftlos, und er zitterte, doch irgendwie gelang es ihm dennoch, den Stock freizubekommen, und er legte ihn sich über die Schulter.
Er sah sich nicht mehr nach Melisande um. Er ging nach vorne, kämpfte mit dem zähen Schlamm, und das taten alle Männer auf der gesamten englischen Linie. Sie bewegten sich jämmerlich langsam, zogen ihre Füße aus dem durchnässten, saugenden Grund und gingen Schritt für beschwerlichen Schritt auf die Franzosen zu.
Und die Franzosen beobachteten sie. Sonst taten sie nichts. «Wenn die Bastarde ein Gehirn hätten, würden sie uns genau jetzt angreifen», sagte Evelgold.
«Vielleicht tun sie es ja noch», sagte Hook. Er sah zu den Feinden hinüber. Einige der Reiter, die ihre Pferde bewegt hatten, gingen nun zu den Flanken ihrer Armee, doch Eile war dabei nicht zu erkennen. Die Trompeter hatten ihr Spiel nicht verändert. Die Franzosen schienen zufrieden zu sein, die Engländer das Feld überqueren zu lassen, und Hooks Geist schlug Haken wie ein Hase auf der Frühlingswiese. War es wirklich der König gewesen, der in der vergangenen Nacht zu den Bogenschützen gekommen war? Er hatte vergessen, eine seiner zusätzlichen Bogensehnen einzumitteln und die Nockenschlinge zu knüpfen. Würde der König wirklich für Michael beten? Würde sein eigener Tod schnell kommen? Piers Candeler stieß unvermittelt einen Fluch aus und zog die Füße aus den Stiefeln, weil er barfuß besser über den morastigen Grund kam. Hook dachte an den Bogenschützen, den er in London gehängt hatte, und fragte sich, ob dieser Mann von der gleichen Angst erfüllt gewesen war, als er die schottische Armee kampfbereit auf den Hügel von Homildon ziehen sah, und dann dachte er an all die anderen Engländer, die für ihren König einen Kriegsbogen getragen hatten. Sie hatten gegen die Schotten gekämpft, gegen die Waliser, gegeneinander, und immer, immer, hatten sie gegen die Franzosen gekämpft, und diese Franzosen rührten sich jetzt immer noch nicht. Ihre Unbeweglichkeit schreckte Hook. Offenkundig begnügten sie sich damit zu warten, weil sie wussten, dass die kleine englische Armee keine andere Wahl hatte, als sich ihren Klingen entgegenzuwerfen.
Hooks linker Stiefel steckte erneut tief in der morastigen Erde, sodass er tat, was schon die meisten anderen Bogenschützen getan hatten. Er zog seinen Fuß aus dem Stiefel. Dann schüttelte er auch noch den zweiten Stiefel ab. Das Gehen war barfuß viel leichter. «Wenn sie sich bewegen», rief Evelgold warnend, «bleiben wir stehen, bespannen die Bögen und rammen die Stöcke ein.»
Doch die Franzosen bewegten sich nicht. Hook sah immer noch neue Männer zur französischen Armee strömen, die meisten von ihnen kamen aus Richtung Osten. Die berittenen Kämpfer an den Flanken beobachteten die Engländer, doch sie trieben ihre mit Panzerhauben und gepolsterten Überwürfen geschützten Kriegshengste nicht an. Die Reiter hielten ihre langen Lanzen aufrecht. Einige dieser Lanzen aus Eschenschäften und Stahlspitzen waren mit Wimpeln geschmückt. Hook sah nur stahlumrahmte Gesichter, denn die Feinde hatten ihre Visiere hochgeklappt. Er fror, obwohl er schwitzte. Er trug eine schwergepolsterte Jacke über seinem ledergefütterten Kettenhemd, und diese Rüstung mochte wohl einen Schwertstreich bremsen, doch von einer Lanze würde sie leicht durchbohrt werden. Hook versuchte sich vorzustellen, wie er in diesem zähen Schlamm einem Lanzenstoß ausweichen sollte, und wusste, dass das kaum möglich war.
«Langsam!», befahl eine Stimme. Die Bogenschützen waren jetzt zu weit vor den englischen Feldkämpfern, die sich, behindert durch ihre Rüstungen, nur sehr mühsam über das regendurchtränkte Feld arbeiteten. Doch Schritt für Schritt kamen sie weiter, und der Wald an den Seiten des Feldes rückte etwas näher zusammen, sodass die englische Linie nun die gesamte Lücke zwischen den Bäumen ausfüllte. Die leuchtend bunte Gruppe der Herolde, Franzosen, Engländer und Burgunder, führte ihre Pferde näher an die französische Linie, bis sie wieder einen Standort auf halbem Weg zwischen den Armeen gefunden hatten.
«Gott an Seinem verdammten Kreuz», knurrte Evelgold, «wie dicht will Er uns denn noch vor sie hinstellen ?»
Dann bellte eine Stimme den Bogenschützen zu, dass sie ihre Stöcke in den Boden rammen sollten. Der Feind stand jetzt dicht vor ihnen, kaum mehr als zweihundert Schritt entfernt, und das war nicht weiter als das entfernteste Ziel in einem Bogenschützen-Wettbewerb. Hook erinnerte sich an jene Sommertage mit Gauklern und tanzenden Bären und Ale und jubelnden Schaulustigen bei den Wettkämpfen der Bogenschützen. «Stöcke!», rief ein Mann. «Und passt auf, dass sie richtig festsitzen!»
Hook konnte seinen Stock ohne große Mühe in den weichen Grund drücken. Er warf einen Blick auf den Feind, und als er sah, dass die Linie sich immer noch nicht bewegte, nahm er seine Kampfaxt vom Rücken und hieb dreimal kräftig auf das angespitzte Ende des Stocks, um das Holz tiefer in die Erde zu treten. Mit dem Messer schälte er das gesplitterte Holz ab und schärfte die Spitze des Stocks neu an. Und dann, endlich, zog er seinen Bogen aus der Hülle. Uberall um ihn herum schlugen Bogenschützen ihre Stöcke ein oder bespannten Bögen. Hook stemmte den Bogenschaft gegen das untere Ende des Stocks und krümmte das Eibenholz, um die Schlinge in die obere Nocke einhängen zu können. Er ließ beide Pfeiltaschen von der Schulter gleiten, zog die Pfeile heraus und steckte sie mit den Spitzen in den Boden, Ahlspitzen auf die rechte, ein halbes Dutzend Breitköpfe auf die linke Seite. Er küsste den Bogenbauch, wo das dunkle Kernholz und das helle Splintholz zusammentrafen. Guter Gott, betete er, und dann betete er zu Sankt Crispinian, und sein Herz fühlte sich an wie ein gefangener Vogel, und sein Mund war trocken, und sein rechtes Bein zitterte, und immer noch rückten die Franzosen nicht vor, und immer noch antwortete Sankt Crispinian nicht auf Hooks Gebete.
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