«Ich verstehe», sagte Hook.
«Geht einfach nach Norden», wiederholte der Mann. Der Pfad senkte sich zu einem Tal hinab, in dem ein Dorf am südlichen Ufer eines Flusses lag. «La Riviere Ternoise» , sagte der Mann und deutete dann zum jenseitigen Ufer hinüber, an dem die Hügel steil anstiegen. «Dort geht Ihr hinauf», sagte er, «dann findet Ihr die Straße nach Saint-Omer.»
«Saint-Omer?»
«Oui!» , sagte der Führer, und Hook erinnerte sich an seine Reise mit Melisande, auf der Saint-Omer ihr Ziel und Calais nicht weit entfernt davon gewesen war. So nahe sind wir schon, dachte er. Der verängstigte Walker sagte noch etwas, und Hook, der nur halb hingehört hatte, bat ihn, es zu wiederholen. «Die Leute aus der Gegend hier», sagte der Mann, «nennen die Ternoise den Fluss der Schwerter.»
Dieser Name ließ Hook erschauern. «Warum?»
Der Mann zuckte mit den Schultern. «Sie sind alle nicht ganz bei Trost», sagte er. «Das ist ein ganz gewöhnlicher Fluss.»
Der Fluss war trotz des ausgiebigen Regens der letzten Tage seicht, und der Ritter, der die Feldkämpfer befehligte, ordnete an, dass Hook seine Bogenschützen über die Furt und den Hügel auf der anderen Seite hinaufführen sollte. «Wartet, wenn ihr oben angekommen seid», sagte er, und gehorsam gab Hook Raker die Sporen und wandte sich zum Fluss der Schwerter. Seine Bogenschützen folgten ihm, spritzend ritten sie durch das Wasser, das ihren Pferden kaum bis zu den Bäuchen reichte. Der Abhang auf der anderen Seite war steil. Hook und seine Männer kamen auf ihren erschöpften Pferden nur langsam voran. Der Dauerregen hatte aufgehört, wenn ihnen der Wind auch bisweilen noch ein paar Tropfen aus Wolken entgegenblies, die sich immer finsterer zusammenballten. Diese Wolken hingen niedrig am Himmel und waren nahezu schwarz, und der Horizont im Osten hatte die Farbe von Ruß. «Gleich wird es wie aus Kübeln schütten», sagte Hook zu Will of the Dale.
«Sieht ganz danach aus», gab Will unbehaglich zurück. Die Luft war drückend, lastete schwer auf ihnen und fühlte sich merkwürdig bedrohlich an.
Hook war kaum die Hälfte des Abhangs hinaufgeritten, als eine große Truppe Feldkämpfer durch den Fluss kam und ihre Pferde hinter ihm den Hügel hinauftrieben. Hook wandte sich um und sah, dass die Kolonne die Ternoise erreicht hatte. Es wirkte, als sei die Armee mit einem Mal von dem Gefühl der Dringlichkeit erfasst worden. Sir John, seinen Standartenträger dicht hinter sich, galoppierte an Hook vorbei auf den Hügelkamm zu, der sich als dunkle Linie von dem schiefergrauen Himmel abhob, und einen Moment später galoppierte der König selbst auf einem nachtschwarzen Pferd denAbhang hinauf.
«Was ist denn plötzlich los?», fragte Tom Scarlet.
«Weiß der Himmel», sagte Hook. Der König, sein Gefolge und jeder andere Feldkämpfer hatten ihre Pferde auf dem Hügelkamm gezügelt und ihren Blick starr nach Norden gerichtet.
Dann kam Hook selbst auf den Hügelkamm. Und auch sein Blick wurde starr.
Vor ihm fiel das Land zu einem schmalen grünen Tal hin ab. Eine Straße wand sich von einem Dorf aus zu einer weiten Fläche hinauf, die als nackte Erde unter dem düsteren Himmel lag. Die nackte Ebene war gepflügt worden, und auf jeder Seite endeten die frischen Furchen an dichtem Wald. Die Mauern einer kleinen Burg waren eben noch über den Bäumen im Westen zu sehen. Ein Banner flatterte von den Turmzinnen, doch es war zu weit entfernt, um das Wappen darauf zu erkennen.
Etwas an dieser Fläche erschien Hook bekannt. «Ich war schon einmal hier», sagte er zu niemandem im Besonderen. «Melisande und ich, wir waren schon einmal hier.»
«Wirklich?», gab Tom Scarlet ohne echte Aufmerksamkeit zurück.
«Wir sind hier einem Reiter begegnet», sagte Hook und starrte weiter wie betäubt nach Norden, «und er hat uns gesagt, wie dieser Ort hier heißt, aber ich kann mich nicht mehr an den Namen erinnern.»
«Irgendwie wird er schon heißen», sagte Scarlet abwesend.
Weitere Engländer erreichten die Hügelkuppe, hielten an und starrten nach vorn. Es wurde kaum gesprochen, und manche bekreuzigten sich.
Denn vor ihnen, und so zahlreich wie die Sandkörner am Strand und die Sterne am Himmel, lag der Feind. Die Kräfte Frankreichs und Burgunds standen am gegenüberliegenden Ende der gepflügten Fläche, und sie bildeten eine unüberschaubare Menge. Ihre leuchtenden Banner kündeten von ihrer Zahl, und es waren unzählige Banner.
Die versammelten Mächte Frankreichs blockierten den Weg nach Calais, und die Engländer saßen in der Falle.
Henry, den Earl of Chester, den Duke von Aquitanien, den Lord von Irland und den König von England, erfüllte der Anblick des Feindes mit neuem und wildem Kampfgeist. «Schlachlinie bilden!», rief er. «Schlachtlinie bilden!» Er galoppierte vor seiner Armee endlang, die sich zum Kampf ordnete. «Folgt den Befehlen eurer Anführer! Sie wissen, wo ihr euch aufstellen müsst, sammelt euch bei ihren Standarten! Durch Gottes Gnade werden wir heute kämpfen! Schlachtlinie bilden!»
Die Sonne stand niedrig hinter den tiefhängenden Wolken, und die französische Armee sammelte sich weiter unter einem wahren Wald aus Bannern. «Wenn jedes Banner einen Lord bedeutet», sagte Thomas Evelgold, «und wenn jeder Lord zehn Männer führt, wie viele Männer sind das?»
«Tausende, verdammt», sagte Hook.
«Und zehn ist noch niedrig geschätzt», fuhr der Centenar fort, «sehr niedrig. Wahrscheinlich kämpfen eher hundert Männer unter einem Banner, vielleicht sogar zweihundert!»
«Gütiger Gott», sagte Hook und mühte sich, die feindliche Flaggen zu zählen, doch es waren zu viele. Die feindliche Armee war riesenhaft und die englische Armee klein. «Gott helfe uns», kam ihm über die Lippen, und erneut überlief ihn bei dem Gedanken an das Blut und die Schreie in Soissons ein Schauder.
«Ja, irgendwer sollte uns hier tatsächlich helfen», sagte Evelgold nachdrücklich. Darauf wandte er sich an seine Bogenschützen. «Wir stehen auf der rechten Seite. Steigt von den Pferden! Stöcke und Bögen! Bewegt euch! Und die Jungs sollen sich um die Tiere kümmern! Los, trödelt nicht! Setzt eure verdammten Knochen in Bewegung! Wir haben ein bisschen Sterben vor uns!»
Die Pferde ließen sie auf den Weiden beim Dorf zurück. Die Armee stieg den sanften Abhang zu der höhergelegenen Fläche hinauf. Der Feind war von dem schmalen Tal aus nicht zu sehen, doch als Hook auf dem gepflügten Feld angekommen war, hatte er die Franzosen wieder vor sich, und all seine Ängste kehrten zurück. Was er sah, war eine echte Armee. Kein von Krankheit geschwächter, zerlumpter Trupp Flüchtender, sondern eine stolze, starke Armee, die angerückt war, die Männer zu strafen, die es gewagt hatten, in Frankreich einzumarschieren.
Die englische Vortruppe stand nun auf der rechten Seite und ihre Bogenschützen ganz rechts außen, wo sie von der Hälfte derjenigen Bogenschützen unterstützt wurde, die zuvor in der Mitte der Armee mitgezogen war. Die andere Hälfte hatte sich der Nachhut angeschlossen, die nun ganz auf der linken Seite der englischen Armee stand. So wurden die Flügel der Armee von Bogenschützen gebildet, während die Reihen der Feldkämpfer zwischen ihnen Aufstellung genommen hatten.
«Lieber Gott», sagte Tom Scarlet und deutete auf die Feldkämpfer «ich habe schon mehr Männer auf einem Pferdemarkt versammelt gesehen.»
Es waren kaum tausend Männer, und sie bildeten eine jämmerlich kurze Linie in der Mitte der Schlachtordnung. Die Bogenschützen waren bei weitem zahlreicher. Über zweitausend standen nun an jeder Flanke. «Stöcke!» Ein Ritter mit einem grünen Wappenrock galoppierte vor den Bogenschützen entlang. «Rammt eure Stöcke in den Boden, Männer!»
Sir John, der mit den Feldkämpfern in der Mitte der Kampflinie stand, kam zu den Bogenschützen, die ihre Stöcke vorbereiteten. «Wir warten ab, ob sie angreifen», erklärte er, «und wenn sie es nicht tun, kämpfen wir morgen gegen sie.»
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