Und jetzt, am Sankt-Winebalds-Tag kurz vor Weihnachten, sah Nick Hook seinem Pfeil auf dem Weg in Tom Perrills Herz nach.
Er würde ihn töten, das wusste er.
Der Pfeil schnellte dahin und senkte seine Bahn leicht zwischen den hohen, frostfunkelnden Hecken. Tom Perrill ahnte nicht, dass er auf ihn zukam. Nick Hook lächelte.
Dann flatterte der Pfeil.
Eine Feder hatte sich gelöst, Leim und Bindung mussten nachgegeben haben, und der Pfeil schwenkte etwas nach links, schlitzte die Flanke des Pferdes auf und bohrte sich in seine Schulter. Das Pferd wieherte, bäumte sich auf, warf sich nach vorn und zerrte dabei den großen Ulmenstamm aus den gefrorenen Furchen des Weges.
Tom Perrill fuhr herum und starrte zum hochgelegenen Wald hinauf, dann begriff er, dass einem ersten Pfeil leicht ein zweiter folgen konnte, drehte sich erneut um und rannte dem Pferd hinterher.
Wieder war Nick Hook gescheitert. Er war verflucht.
***
Lord Slayton ließ sich in seinen Stuhl fallen. Er war in den Vierzigern und litt bitter darunter, dass ihn bei der Schlacht von Shrewsbury ein Schwerthieb ins Rückgrat zum Krüppel gemacht hatte, sodass er niemals mehr in den Kampf würde ziehen können. Schlecht gelaunt betrachtete er Nick. «Wo warst du am Sankt-Winebalds-Tag?»
«Wann war der, Mylord?», fragte Hook anscheinend in aller Unschuld.
«Bastard», zischte Lord Slayton, und der Verwalter zog ihm von hinten den Horngriff einer Pferdepeitsche über.
«Ich weiß nicht, welcher Tag das war, Mylord», sagte Hook starrköpfig.
«Vor zwei Tagen», sagte Sir Martin. Er war Lord Slaytons Schwager und zugleich der Priester des Herrenhauses und des Dorfes. Er war genauso wenig ein Ritter wie Hook, doch Lord Slayton bestand in Anerkennung seiner hohen Geburt darauf, dass er mit «Sir» angesprochen wurde.
«Oh!» Hook täuschte eine plötzliche Erleuchtung vor. «Ich habe die Eschen unter Beggar's Hill auf den Stock gesetzt, Mylord.»
«Lügner», sagte Lord Slayton sofort. William Snoball, Verwalter und Bogenschützenführer Seiner Lordschaft, schlug Hook erneut. Der Peitschengriff traf hart auf den Hinterkopf des Forstmanns, und Blut tröpfelte an Hooks Schädel herunter.
«Bei meiner Ehre, Mylord», log Hook mit schmerzverzerrter Miene.
«Die Ehre der Hooks», bemerkte Lord Slayton trocken, bevor er seinen Blick Hooks jüngerem Bruder Michael zuwandte, der siebzehn Jahre alt war. «Und wo warst du?»
«Ich habe die Vorhalle der Kirche mit Stroh gedeckt, Mylord», sagte Michael.
«Das hat er wirklich», bestätigte Sir Martin. Der Priester, mager und hoch aufgeschossen in seiner fleckigen schwarzen Robe, ließ Nick Hooks jüngerem Bruder eine Grimasse zuteilwerden, die bei ihm ein Lächeln darstellte. Jeder mochte Michael. Sogar die Perrills schienen ihn von dem Hass auszunehmen, den sie für die gesamte restliche Hook-Sippe hegten. Michael war blond, während sein Bruder dunkelhaarig war, und im Gegensatz zu Nick Hooks düsterem Wesen war seines heiter.
Die Brüder Perrill standen neben den Hook-Brüdern. Thomas und Robert waren groß, dünn und schlaksig, ihre Augen lagen tief in den Höhlen, ihre Nasen waren lang, und ihr Kinn stand hervor. Ihre Ähnlichkeit mit dem Priester Sir Martin war unverkennbar. Die Dorfleute wahrten, mit der Ehrerbietung, die man einem Kirchenmann von vornehmer Geburt schuldete, den Schein, die Perrill-Brüder seien die Söhne des Müllers, während sie ihnen zugleich mit besonderem Respekt begegneten. Die Perrills besaßen unausgesprochene Privilegien, denn jeder wusste, dass die Brüder sich auf Sir Martins Hilfe verlassen konnten, wann immer sie sich bedroht fühlten.
Und Tom Perrill war nicht einfach nur bedroht, sondern beinahe getötet worden. Der graubefiederte Pfeil hatte ihn nur um eine Handbreit verfehlt, und dieser Pfeil lag nun auf dem Tisch im großen Saal des Herrenhauses. Lord Slayton deutete auf den Pfeil und nickte seinem Verwalter zu, der daraufhin an den Tisch trat. «Das ist keiner von unseren, Mylord», sagte William Snoball, nachdem er den Pfeil in Augenschein genommen hatte.
«Die grauen Federn, meint Ihr?», fragte Lord Slayton.
«Niemand hier in der Gegend benutzt Graugans», sagte Snoball zögernd und warf Nick Hook einen mürrischen Blick zu, «nicht zum Befiedern. Und auch für sonst nichts!»
Lord Slayton ließ seinen Blick auf Nick Hook ruhen. Er kannte die Wahrheit. Jeder im Saal kannte sie, außer vielleicht Michael, diese arglose Seele. «Peitsch ihn aus», schlug Sir Martin vor.
Hook starrte die Tapisserie an, die unter der Galerie des Saales hing. Sie zeigte einen Jäger, der einem Keiler den Speer in die Eingeweide rammte. Eine Frau, die nichts weiter trug als einen Hauch durchsichtigen Stoffes, beobachtete den Jäger, der mit einem Lendenschurz und einem Helm angetan war. Die Eichenstämme, auf denen die Galerie ruhte, hatte der Kaminrauch von hundert Jahren geschwärzt.
«Peitsch ihn aus», wiederholte der Priester, «oder schneid ihm die Ohren ab.»
Hooks Blick glitt zu Lord Slayton zurück, und er fragte sich wie bei tausend anderen Gelegenheiten, ob er gerade seinen eigenen Vater ansah. Hook besaß das grobknochige Gesicht der Slaytons, die gleiche stark gewölbte Stirn, den gleichen breiten Mund, das gleiche schwarze Haar und die gleichen dunklen Augen. Er hatte die gleiche Größe und die gleiche Kraft, die Seine Lordschaft besessen hatte, bevor das Aufrührerschwert in seinen Rücken gefahren war und ihn an die ledergepolsterten Krücken gezwungen hatte, die an seinem Stuhl lehnten. Seine Lordschaft erwiderte den Blick, doch seine Augen verrieten nichts. «Diese Fehde ist beendet», sagte er schließlich, ohne die Augen von Hook zu lösen. «Verstehst du? Es wird nicht mehr getötet.» Er deutete mit der Hand auf ihn. «Wenn einer von den Perrills stirbt, dann töte ich dich und deinen Bruder. Hast du mich verstanden?»
«Ja, Mylord.»
«Und wenn Hook stirbt», Seine Lordschaft ließ den Blick zu Tom Perrill wandern, «dann werdet du und dein Bruder an der Eiche aufgeknüpft.»
«Ja, Mylord.»
«Der Mord müsste zuerst bewiesen werden», warf Sir Martin ein. Ihm war die Entrüstung deutlich anzuhören. Der magere Priester wirkte oft, als lebte er in einer anderen Welt, als sei er mit seinen Gedanken weit fort, und wenn seine Aufmerksamkeit dann plötzlich wieder in die Gegenwart zurückkehrte, platzte er mit seinen Worten so schnell heraus, als wolle er die verlorene Zeit einholen. «Bewiesen», sagte er erneut, «bewiesen.»
«Nein!», widersprach Lord Slayton seinem Schwager, und um seinem Standpunkt Nachdruck zu verleihen, schlug er mit der Hand auf die hölzerne Armlehne seines Stuhls.
«Wenn irgendeiner von euch vieren stirbt, dann hänge ich den Rest von euch! Ganz einfach! Wenn einer von euch in den Mühlenbach fällt und ertrinkt, ist das für mich ein Mord. Habt ihr verstanden? Ich will, dass diese Fehde augenblicklich beendet wird!»
«Es wird keinen Mord geben, Mylord», sagte Tom Perrill demütig.
Lord Slayton sah Hook an, von dem er das gleiche Versprechen erwartete, doch Nick Hook sagte nichts. «Ein paar Peitschenhiebe werden ihn Gehorsam lehren, Mylord», schlug Snoball vor.
«Er ist schon oft genug ausgepeitscht worden!», sagte Lord Slayton. «Wann war das letzte Mal, Hook?»
«An Michaeli, Mylord.»
«Und was hast du daraus gelernt?»
«Dass Master Snoballs Arm schwächer wird, Mylord», sagte Hook.
Ein unterdrücktes Kichern lenkte seinen Blick nach oben, wo Ihre Ladyschaft aus den Schatten der Galerie heraus die Szene beobachtete. Sie war kinderlos. Ihr Bruder, der Priester, zeugte einen Bastard nach dem anderen, doch Lady Slayton war unfruchtbar. Hook wusste, dass sie auf der Suche nach einem Heilmittel heimlich seine Großmutter besucht hatte, doch ihre Zauberkünste hatten es nicht geschafft, ein Baby hervorzubringen.
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