Artur Landsberger - Wie Satan starb

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»Laß ihn doch erst einmal zur Besinnung kommen,« fiel ihm der Medizinalrat ins Wort.

»Heute mehr denn je,« fuhr der Landrat fort, »ist ein fester Zusammenschluß notwendig.«

»Worin hätte sich Peter denn jemals gegen die Traditionen der Familie vergangen?« fragte Frau Julie erregt.

»Na, erlaub mal!« wandte sich der Landrat gegen seine Schwiegermutter. »Das reizt denn doch beinahe zu der unhöflichen Frage: hat dein Gedächtnis in den paar Jahren denn derart gelitten? – Was mich betrifft, so ist die ganze Zeit über kein Tag vergangen, an dem ich nicht dankbar mir ins Jewissen jerufen habe, welcher Jefahr wir alle damals mit knapper Not entjangen sind.«

»Du übertreibst,« rief Ilse; und Hilde, des Landrats Frau, stimmte ihrer Schwester bei und sagte:

»Maßlos übertreibst du!« – Und halblaut fügte sie hinzu: »Wie immer und in allem.«

»Das hängt von dem Maß des jesellschaftlichen Reinlichkeitsjefühls ab, mit dem man behaftet ist,« erwiderte der Landrat. »Für eine Familie, die auf sich hält, jibt’s nach meinem Empfinden nichts Aergeres als eine Deklassierung.«

»Was ist das?« fragte der Medizinalrat spöttisch, und zu seiner Schwester, die stark bewegt war, sagte er: »So rege dich doch darüber nicht auf, Julie!«

Der Landrat war sichtlich in Verlegenheit.

»Ah so!« sagte er. »Ich meinte . . . ä . . . ja, wie sagt man da?« – Er fuchtelte mit der Hand in der Luft herum —

»Na! . . . ä . . . Abgrund ist wohl nicht das richtige Wort dafür. Aber . . . ä. . .« – und dann stieß er mit großer Bestimmtheit hervor: »Niederjang! das trifft’s! Also, ich meine, daß wir ganz einfach die Pflicht haben gegen uns selbst, und heute mehr denn je, uns davor zu schützen, daß nicht durch den Leichtsinn irgendeines von uns – und dieser Eine is in diesem Falle erfahrungsjemäß kein anderer als mein verehrter Schwager Peter – den Niederjang unserer Familie – das heißt: Niederjang is wohl doch nicht das richtige Wort – jedenfalls, ihr wißt, was ich meine – kurz und gut: ich für meine Person habe keine Lust, meinen Namen und meine Karriere und die meiner Kinder den Aventüren . . .«

»Wie bitte?« zog ihn der Medizinalrat auf. »Karriere, Aventüren! Was sind das für Worte!«

»Ae,« verbesserte sich der Landrat schnell. »Ich wollte sagen, den Abenteuern – das heißt, es ist wohl doch mehr. Denn, wenn es das nur wäre – Jedenfalls: jetzt ist Zeit und Jelegenheit, dem ein für alle Male einen Riegel vorzuschieben.«

»Was willst du eigentlich?« fuhr ihn Frau Julie, die sich nicht länger beherrschen konnte, in einem Tone an, den niemand an ihr kannte.

»Sehr einfach!« erwiderte der Landrat. »Ich will vermeiden, daß wir durch die Unbeherrschtheiten deines Sohnes noch einmal wie vor fünf Jahren in die Gefahr eines Skandals kommen, der mir heute noch in den Gliedern liegt.«

Frau Julie schwieg erst und sah den Landrat erstaunt an. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte mit bewegter Stimme:

»Du nennst es einen Skandal, der dir heute noch in den Gliedern liegt! – Ich denke daran zurück als ein von uns begangenes Verbrechen, das mein Gewissen heute noch genau so quält wie vor fünf Jahren.«

»Wozu mußtest du nur davon anfangen?« schalt Hilde ihren Mann. »Und dann grad heut! wo wir die ganzen Jahre über mit Mama nicht davon gesprochen haben.«

»Hätten wir’s nur!« erwiderte Baron Zobel. »Hätten wir nur davon gesprochen! und zwar so oft wie möglich, damit sich in Mama nicht so unsinnige Ideen festgesetzt hätten.«

»Ich muß auch sagen,« stimmte der Justizrat bei, »daß das die Dinge denn doch etwas einseitig beurteilen heißt.«

»Sie auf den Kopf stellen heißt,« fiel ihm Zobel ins Wort.

Der Landrat unterdrückte, was ihm schwer genug fiel, die Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag, und beschränkte sich darauf, sich in den Sessel zurückzulehnen, die Beine übereinander zu schlagen und zu sagen:

»Na! Dann kann das Theater ja wieder losgehen! Aber ich spiele nicht mehr mit. Ich nicht! Und meine Frau und meine Kinder auch nicht!«

»Ich weiß gar nicht, was du eigentlich willst,« sagte Hilde und wandte sich an ihren Mann. »Das liegt doch glücklich hinter uns.«

»Um morgen in neuer Auflage seine Wiederholung zu erleben.«

»Aber das ist ja doch gar nicht möglich,« erklärte Ilse, »das Mädchen ist doch tot.«

»Auf das System kommt es an! auf den Geist! ob der tot ist. Davon hängt es ab. Aber er lebt, wie ihr aus Mamas Worten ja eben gehört habt.«

»Da hat er recht,« bestätigte Zobel. »Was nützt es, daß diese Aenne starb, solange man befürchten muß, daß morgen eine Else oder Grete an ihre Stelle tritt. Vor allem, wo heutzutage eine derartige Hintertreppenchose unter Umständen keine interne Angelegenheit mehr bleibt, die man innerhalb seiner vier Wände mit ein paar braunen Lappen abmacht.«

»Aha!« mischte sich der Medizinalrat jetzt laut in die Unterhaltung. »Du befürchtest, daß, wenn ihr euch im Interesse des sogenannten guten Rufes der Familie wieder einmal veranlaßt sehen solltet, ein armes Mädchen in den Tod zu hetzen, daß das dann heute möglicherweise doch unangenehme Folgen für euch haben könnte.«

»Die Möglichkeit ist bei der heutigen Gefühlsrichtung durchaus nicht von der Hand zu weisen,« erwiderte Baron Zobel.

»Im übrigen,« stellte der Landrat seinen Onkel, »von uns hat sie meines Wissens keiner in den Tod gehetzt.«

»Sondern?« fragte der Medizinalrat.

»Sie hat, was für ein Mädchen ihrer jesellschaftlichen Stellung – wenngleich jesellschaftlich für ein Mädel ihres Standes kaum die richtige Bezeichnung sein dürfte – jedenfalls: Ehre, wem Ehre jebührt! und da muß ich trotz aller Mühen, die sie uns gemacht hat, sagen: sie hat für eine Pedellstochter – zumal für gewöhnlich derartigen Mädchen jedes Jefühl dafür abjeht – den Takt jehabt und sich jesagt: es jeht nich! eine Schreibmaschinenmamsell und ein königlich preußischer Regierungsassessor sind von der Vorsehung nu mal nich füreinander bestimmt. Im Anfang natürlich, da war se, wie alle, bockbeinig und klammerte sich an Peter fest. Schließlich dämmerte es ihr aber doch, sie lenkte ein, jab nach, entsagte freiwillig . . .«

». . . und brachte sich um,« ergänzte der Medizinalrat.

»Allerdings,« bestätigte der Landrat. »Sie sich. Nicht wir sie.«

Der Medizinalrat bekam einen roten Kopf, richtete sich auf und sagte laut:

»Erwürgt, erdrosselt, so zwischen euren Fingern, habt ihr sie freilich nicht.«

»Doch! doch!« rief laut Frau Julie und sprang auf, »bedacht und bewußt erwürgt und erdrosselt, gerade so, wie du es zeigst, so zwischen euern Fingern, habt ihr sie.«

Der Landrat riß den Mund auf und rief:

»Wa? . . . Wa? . . .« und vergaß, ihn wieder zuzumachen.

»Wer? wir?« rief Baron Zobel und trat vor Frau Julie hin. »Selbst bildlich gemeint ist dieser Vorwurf falsch und niederträchtig. Wir haben mit deinem Einverständnis Peters Abwesenheit in Südwest dazu benutzt, um ihn von seinem höchst seßhaften Verhältnis zu befreien, das er ohne uns vielleicht nie mehr losgeworden wäre.«

»Sehr richtig!« stimmte der Landrat bei, der sich wieder in der Gewalt hatte. »Weiter nischt!«

»Aber wie? wie habt ihr das gemacht?« rief Frau Julie.

»Zuerst auf deinen speziellen Wunsch mit Glacéhandschuhen,« sagte Zobel, und der Landrat fügte hinzu:

»Die wir uns dabei jehörig bedreckt haben.«

»Das habt ihr,« stimmte Frau Julie aus vollem Herzen bei.

»Ne, ne,« winkte der Landrat ab. »So nich, anders, liebe Mama. »So ’ne Loseisung, so ’n letzter Akt einer Liaison is doch schließlich kein Hofball! Das is für jewöhnlich ’n ziemlich schwieriger Handel, mit mehr oder wenijer rührselijem Einschlag.«

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