Hendrik Conscience - Das Wunderjahr (1566)
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Unbekannt
Das Wunderjahr (1566)
Vorwort des Uebersetzers
Hendrik Conscience ist, als Mensch und als Schriftsteller, unlängst von hier aus in würdiger Weise unter uns eingeführt worden. Gegenwärtige Uebertragung eines seiner episch-romantischen Werke soll ihn, sein Volk und dessen Literatur, noch näher bekannt machen helfen. Der Uebersetzer hat sich thunlicher Treue beflissen, damit Geist und Sprache des Originals dem Urtheil unentstellt und ungeschmückt vorliegen. Deutscher Sinn wird sich dem Verständniß und der Schätzung des naheverwandten Stammes immer mehr öffnen, und zu diesem abermaligen Händedruck, entboten dem Vlämischen Brudervolke, sich gerne mit uns vereinigen.
Regensburg im Oktober 1845.I
Laß nicht zu mein Sohn, daß die Niederländer von den Ausländischen unterdrückt werden, auf daß du nicht in einen jämmerlichen und endlosen innern Krieg verstrickt werdest.
Kaiser Karl an seinen Sohn Philipp I. Serviverius.Es war im Jahre unsers Herrn 1566, den 16. des Augustmonats.
Die Nacht war düster, und der Regen, der in wechselnden Strömen niederstürzte, hatte die engen Straßen der Stadt Antwerpen in vielfache Wasserpfützen verwandelt. Kein Licht zeigte sich dem Auge, als die wenigen flackernden Kerzen, die die Einwohner vor den Heiligenbildern angezündet hatten Selten wagte sich ein Bürger zu dieser Zeit allein um Mitternacht in die Straßen; denn der herrschende Widerstreit der Meinungen hatte Jeden zum Feinde des Andern gemacht. Nur der Nachtwächter, mit Spieß und Laterne, durchkreiste die Stadt.
»Zwölf Uhr ist die Glocke!« rief er in diesem Augenblicke; und sein Schatten verschwand, wie ein Riesengespenst, in der Schwarznonnenstraße.
»St! – kommt, er ist fort,« sprach da ein Mann, hinter dem Brunnen auf den Viehmarkt vortretend, und ihm folgte unmittelbar ein anderer. Beide hatten breite Hüte auf dem Haupte; ein weiter, brauner Mantel hing über ihren Schultern; sonst konnte man an ihrer Kleidung, in der ungemeinen Dunkelheit nichts unterscheiden.
»Also, Herr Konrad,« frug der Eine, »unsere Freunde, sagt Ihr sind da?«
»Ja,« antwortete der Andere, » heute Nacht wird die große Sache beschlossen. Woferne wir den gefürchteten Wolfangh mit seiner Truppe für uns gewinnen können, soll das Spiel bald in Gang kommen. – Kommt, schreiten wir was besser zu; mich dünkt, ich höre die Waffenbrüder herab von der Burg auf uns zukommen.«
Nun wandten sie sich mit sachten Schritten um das Schlachthaus und schritten in die Krabbenstraßes hinunter. Als sie über den Fischmarkt kamen, frug der Erste:
»Welche Mittel werden wir wohl in’s Werk setzen, um Wolfgang an uns zu ziehen? Geld haben wir nicht viel; und die geringste Verlautbarung kann uns das leben kosten.«
»Godmaert hat Alles eingeleitet,« antwortete Konrad, »er hat sich einen jungen Edelmann verschafft, der ihm stark verpflichtet zu seyn scheint. – Der soll uns zum Werkzeug dienen. – Er sieht wohl ein bisschen spanisch gesinnt aus. – Heute wird er in unsere Geheimnisse und Anschläge verwebt – und, wofern er sich weigert, den Eid zu leisten, den wir Alle abgelegt haben, will ich dafür sorgen, daß er seiner Mutter nicht erzählen soll, was er von uns hören und sehen mag.«
Mit grimmigen Lächeln langte er den Dolch von seiner Brust und wies, bei dem Lichte eines Liebfrauenbildes, seinem Gefährten die scharfe Schneide.
Schweigend setzten sie ihren Weg fort bis zu der kurzen Peter-Pot- Straße. In diesem abgelegenen und engen Gang blieben sie plötzlich vor einem Hause stehen: – und sachte ließen sie den eisernen Klopfer dreimal auf das Thor niederfallen.
»Wer da?« im frug eine heisere und zitternde Stimme durch das Schubfensterchen mitten in dem Thor.
»Dolch und Bettelsack« war die flüsternde Antwort.
Sie wurden eingelassen und das Einlaßthürchen hinter ihnen zugeriegelt.
»Wohlan, verrostete Wetterhexe,« frug Konrad, »sind die Bettelsäcke da?«
»Allesammt« antwortete die Alte »außer Godmaert Geht doch hinein! Die Herren sind stark am Zungenwerk. Ich bin freilich nur eine alte Schlumpe; aber wenn sie was weniger plapperten, möcht’s wohl besser seyn – denn wer weiß, ob nicht Riegelwände an dem Hause sind!«
»Was sagt Ihr da Mutter?«
»Ja, ja, Herr Konrad, da sitzt ein junger Griesgram drinnen in der Stube, – dem möcht’ ich keinen Deut trauen.«
»Schweigt und sorgt für Eure eigne Haut, sprach Konrad, und stieß die Thüre des tiefgelegenen Saales auf.
Das Gemach, in welches sie traten, war ziemlich geräumig und an allen Seiten mit vergoldetem Leder behangen. Unter dem steinernen Bildwerk des berauchten Kamins brannte ein kleines knisterndes Feuer. Eine eiserne Lampe mit zwei Armen hing vom Getäfel herab und sandte ihr zweideutiges und bleiches Licht in die Ecken der Stube. Auf einem länglichen Tische, auf dem Streifen Weines rannen, lagen einige offene Briefe, ein großer Bettelsack, Pistolen und Dolche. In einer Ecke stand ein Crucifix von Ebenholz auf einem kleinen Lesepulte.
Etwa zwanzig Personen saßen auf schweren geschnitzten Stühlen um den Tisch. Alle trugen, gleich den zwei Eintretenden, braune Mantel und breite Hüte. Ihre Schnurrbärte waren nicht wie bei den Spaniern in die Höhe gedreht, sondern hingen schwer und dick über den Mund herab. Ein Dolch hing ihnen an einem ledernen Tragbande blinkend am Halse; goldene Denkmünzen, worauf ein Bettelsack geprägt war, trugen sie auf der Brust, und das zum Zeichen, daß sie den Namen Geusen werth hielten, obgleich er ihnen zum Schimpfe war gegeben worden. Mancherlei zinnerne Gefäße standen vor ihnen auf der Tafel, doch waren ihre Trinkgeschirre nicht eben so kostbar, denn Alle tranken sie aus hölzernen Schalen. [Der Name Geuse war bald nun Sinnbildern begleitet. Brederode hing sich eine Bettlertasche um und trank auf die Gesundheit die Geusenbundes aus einem hölzernen Napfe, in welchen nachher jeder der Gäste einen Nagel schlug als ein Zeichen des Beitrittes. – Viele Edle kleideten sich aschgrau wie Bettelmönche, andere trugen den Geusenpfenning, an dessen einer Seite das Bild des Königs, an der andern eine Bettlertasche zwischen zwei Händen war.«
Van Kampen Geschichte d. Niederl. I. 335.
Anmerk. d. Verf.]
Ein schmucker, junger Edelmann hatte sich von der schwelgerischen Gesellschaft getrennt und saß, in tiefes Nachdenken versunken den Kopf in die Hand gestützt, an der Wand.
Seine Gesichtszüge waren wohlgebildet und ernst. Groß von Gestalt war er und schöne blonde Locken schwebten weich über seine Schultern. Er hatte weder Mantel noch Dolch, und kein Abzeichen der Geusen war an ihm zu finden. Während diese graue Unterkleider anhatten, war der Junker mit Sammt und Seide aufs kostbarste ausgestattet. Seine linke Hand lehnte schwer und achtlos auf dem vergoldeten Griff eines langen Rapiers, dessen Klinge sich unter seinem Drucke bog. Bei Konrads Eintritt warf er einen Blick aus die unruhige Gesellschaft. Ein verächtliches Lächeln kräuselte seine glatte Stirne und das Wort: »Die Verblendeten! « entfiel grollend seinen Lippen.
»Seid gegrüßt, Houtappel, Van Halen, Schuermans, De Rydt, Van der Voort, und ihr Alle, Brüder!«, rief Konrad, indem er sich an der Tafel niedersetzte. »Willkommen, willkommen!« schrien die Andern alle, indeß die Kannen geleert wurden.
»Wo seid Ihr, alte Seelenverkäuferin?« rief Van der Voort.
»Hier, hier!« antwortete das häßliche Weib, »soll ich den Herren noch mit einigen Kannen aufwarten?«
»Bringt nur her,« war die Antwort, »die Geusen ganz allein würden die Schelde trocken trinken, wenn ihr Wasser so schmackhaft wäre als Mutter Schrikkel getaufter Wein.«
»Getauft, getauft!« murmelte das alte Weib verdrießlich und ging aus der Stube.
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