Gareth wandte sich ihm brodelnd zu. In Firth hatte er endlich etwas gefunden, an dem er seine gesamte Wut auslassen konnte. Immerhin war Firth derjenige gewesen, der seinen Vater getötet hatte. Es war Firth, dieser dämliche Stalljunge, der ihn überhaupt in dieses ganze Schlamassel gebracht hatte. Nun war er nichts als ein weiterer gescheiterter Nachfolger in der MacGil-Linie.
„Ich hasse dich“, brodelte Gareth. „Was habe ich jetzt von deinen Versprechungen? Was habe ich von deinem Vertrauen, dass ich das Schwert ziehen kann?“
Firth schluckte und blickte nervös drein. Er war sprachlos. Es war deutlich, dass er nichts zu sagen hatte.
„Es tut mir leid, mein Herr“, sagte er. „Ich habe mich geirrt.“
„Du hast dich in vielen Dingen geirrt“, schnappte Gareth.
In der Tat, je mehr Gareth darüber nachdachte, umso klarer wurde ihm, wie sehr sich Firth geirrt hatte. Tatsächlich, wenn Firth nicht gewesen wäre, wäre sein Vater heute noch am Leben—und Gareth würde nicht in diesem Schlamassel stecken. Das Gewicht des Königtums würde nicht auf seinem Haupt lasten, all diese Dinge würden nicht so schieflaufen. Gareth sehnte sich nach einfacheren Tagen, als er nicht König war; als sein Vater noch lebte. Er verspürte ein plötzliches Verlangen, dass alles wieder so wäre, wie es früher war. Aber das konnte er nicht. Und Firth war an allem schuld.
„Was tust du hier?“, drängte Gareth.
Firth räusperte sich, sichtlich nervös.
„Ich hörte...Gerüchte...Getuschel unter den Dienern. Mir ist zu Ohren gekommen, dass dein Bruder und deine Schwester Fragen stellen. Sie wurden im Dienstbotenquartier gesichtet. Wo sie den Abfluss nach der Mordwaffe durchsuchten. Dem Dolch, mit dem ich deinen Vater erstochen habe.“
Gareths Körper wurde bei diesen Worten eiskalt. Er war vor Schock und Furcht erstarrt. Konnte dieser Tag noch schlimmer werden?
Er räusperte sich.
„Und was haben sie gefunden?“, fragte er mit trockener Kehle, aus der er die Worte kaum herausbrachte.
Firth schüttelte den Kopf.
„Das weiß ich nicht, mein Herr. Ich weiß nur, dass sie etwas verdächtig finden.“
Gareth verspürte einen neu aufwallenden Hass auf Firth, von einer Kraft, die er nicht für möglich gehalten hatte. Wenn er nicht so ein Tollpatsch wäre, wenn er die Waffe ordentlich entsorgt hätte, wäre er jetzt nicht in dieser Lage. Firth hatte ihm eine Schwachstelle hinterlassen.
„Ich werde dies nur einmal sagen“, sagte Gareth, näherte sich Firth, bis sie Gesicht an Gesicht standen, und warf ihm den härtesten Blick zu, den er aufbringen konnte. „Ich will dein Gesicht nie wieder sehen. Verstehst du mich? Verlasse meine Gegenwart und komm nie wieder zurück. Ich werde dir einen Posten weit weg von hier zuweisen. Und wenn du je wieder einen Fuß in diese Burg setzt, versichere ich dir, ich werde dich verhaften lassen.
UND JETZT RAUS!“, kreischte Gareth.
Mit Tränen in den Augen rannte Firth aus dem Zimmer. Seine Schritte hallten ihm lange nach, als er durch den Korridor davonlief.
Gareths Gedanken trieben zurück zum Schwert, zu seinem misslungenen Versuch. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er ein großes Unglück für sich selbst in Bewegung gesetzt hatte. Er fühlte sich, als hätte er sich gerade selbst eine Klippe hinuntergestoßen und würde von diesem Zeitpunkt an nur seinen Fall vor Augen haben.
Er stand wie mit dem Stein verwurzelt in der dröhnenden Stille der Gemächer seines Vaters, bebend, und fragte sich, was um alles in der Welt er da angezettelt hatte. Noch nie hatte er sich so allein gefühlt, so von Selbstzweifeln geplagt.
Fühlte sich so das Königsein an?
*
Gareth rannte die steinerne Wendeltreppe hinauf, ein Geschoss nach dem anderen, und eilte auf die äußerste Brüstung der Burg hinauf. Er brauchte Frischluft. Er brauchte Zeit und Platz zum Nachdenken. Er brauchte einen Blickpunkt über sein Königreich, eine Möglichkeit, seinen Hof zu sehen, sein Volk, und sich daran zu erinnern, dass all das ihm gehörte. Und dass, trotz all der alptraumhaften Ereignisse des Tages, er immer noch König war.
Gareth hatte seine Bediensteten fortgeschickt und war alleine hochgelaufen, eine Treppe nach der anderen, schwer keuchend. Er hielt an einem Treppenabsatz an, beugte sich vornüber und schöpfte Luft. Tränen rannen seine Wangen hinunter. Er sah immerzu das Gesicht seines Vaters, das ihm an jeder Ecke vorwurfsvoll entgegenblickte.
„Ich hasse dich!“, schrie er in die Leere.
Er hätte schwören können, dass er zur Antwort spöttisches Gelächter hören konnte. Das Gelächter seines Vaters.
Gareth musste von hier weg. Er rannte weiter, so schnell er konnte, bis er endlich oben angekommen war. Er platzte durch die Tür, und die frische Sommerluft traf sein Gesicht.
Er holte tief Luft, kam zu Atem, genoss den Sonnenschein in der warmen Brise. Er nahm seinen Mantel ab, den Mantel seines Vaters, und warf ihn zu Boden. Er war zu heiß—und er wollte ihn nicht länger tragen.
Er eilte an den Rand der Brüstung und krallte sich an die Steinmauer, schwer atmend, auf seinen Hof hinunterblickend. Er konnte die nie enden wollende Menschenmenge sehen, die aus der Burg hervorsickerte. Sie verließen die Zeremonie. Seine Zeremonie. Er konnte ihre Enttäuschung von hier oben nahezu spüren. Sie sahen so klein aus. Er grübelte darüber nach, dass sie alle unter seiner Herrschaft standen.
Doch wie lange noch?
„Königtümer sind merkwürdige Angelegenheiten“, ertönte eine uralte Stimme.
Gareth wirbelte herum und sah überrascht, dass Argon nur wenige Fuß von ihm entfernt stand, in einen weißen Umhang mit Kapuze gehüllt, seinen Stab in der Hand. Er starrte auf ihn zurück und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel—doch seine Augen lächelten nicht. Sie glühten, blickten geradewegs durch ihn durch, und sie machten Gareth nervös. Sie sahen zu viel.
Es gab so viele Dinge, die Gareth Argon sagen wollte, ihn fragen wollte. Doch nun, da er bereits gescheitert war, das Schwert zu ziehen, fiel ihm nichts mehr davon ein.
„Warum hast du es mir nicht gesagt?“, flehte Gareth mit Verzweiflung in der Stimme. „Du hättest mir sagen können, dass ich nicht dazu bestimmt war, es zu ziehen. Du hättest mir die Blamage ersparen können.“
„Und warum sollte ich das tun?“, fragte Argon.
Gareth funkelte ihn an.
„Du bist kein wahrer königlicher Ratgeber“, sagte er. „Du hättest meinem Vater aufrichtig Rat gegeben. Doch nicht mir.“
„Vielleicht war er aufrichtigen Rates würdig“, erwiderte Argon.
Gareths Wut vertiefte sich. Er hasste diesen Mann. Und er gab ihm die Schuld.
„Ich will dich nicht um mich haben“, sagte Gareth. „Ich weiß nicht, warum mein Vater dich angestellt hat, aber ich will dich nicht in Königshof haben.“
Argon lachte - ein hohler, beängstigender Laut.
„Dein Vater hat mich nicht angestellt, närrischer Junge“, sagte er. „Noch sein Vater vor ihm. Es ist meine Bestimmung, hier zu sein. Tatsächlich kann man wohl sagen, ich hätte sie angestellt.“
Argon trat plötzlich einen Schritt nach vor und es wirkte, als würde er in Gareths Seele starren.
„Kann man dasselbe von dir behaupten?“, fragte Argon. „Ist es deine Bestimmung, hier zu sein?“
Seine Worte trafen Gareth, schickten einen Schauer durch ihn. Genau das war es, was Gareth sich selbst fragte. Gareth fragte sich, ob es eine Drohung war.
„Wer durch Blut herrscht, wird mit Blut regieren“, verkündete Argon, und mit diesen Worten drehte er ihm flink den Rücken zu und zog von dannen.
„Warte!“, schrie Gareth, der nicht länger wollte, dass er wegging; er brauchte Antworten. „Was meinst du damit?“
Gareth wurde das Gefühl nicht los, dass Argon ihm die Botschaft übermittelte, dass er nicht lange regieren würde. Er musste wissen, ob er das damit gemeint hatte.
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