Mycoples rammte die Drachen, getragen von ihrem Schwung, landete auf ihren Rücken, krallte einen, biss einen anderen, und versetzte dem Dritten einen heftigen Schlag mit den Flügeln. Sie konnte sie gerade noch rechtzeitig aufhalten, bevor sie Feuer spien, und rammte sie mit dem Kopf voran in den Boden.
Unter lautem Poltern schlugen sie auf dem Boden auf, wobei sie riesige Staubwolken aufwirbelten. Dabei sah Thor Gwendolyn erschrockenen Blick, und er dankte Gott, dass er gerade noch rechtzeitig gekommen war, um sie zu retten.
Als er lautes Brüllen hörte, blickte Thor zum Himmel auf und sah den Rest der Drachenherde auf sich zukommen.
Mycoples hatte sich bereits erhoben und flog ihnen furchtlos entgegen. Thor war unbewaffnet, doch er fühlte sich anders als je zuvor in einer Schlacht. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass er keine Waffen brauchte. Er wusste, dass er sich auf die Kräfte, die in ihm schlummerten, verlassen konnte. Seine wahren Kräfte. Die Kräfte, die seine Mutter in ihm geweckt hatte.
Als sie näher kamen, hob Thor seinen Arm, und ein Lichtstrahl schoss aus dem schwarzen Diamanten in seinem Armreif. Das gelbe Licht schloss den Drachen, der ihnen am nächsten war ein, und schoss ihn zurück nach oben, wo er mit den anderen kollidierte.
Mycoples war aufgebracht und wild entschlossen, unter den Drachen zu wüten. Furchtlos tauchte sie in die Herde hinein, schlug und krallte, biss einen und rammte einen anderen, während sie sich ihren Weg durch die Drachen bahnte. Sie umklammerte einen, bis er schlaff unter ihr hing; dann ließ sie ihn wie einen riesigen Stein fallen. Leblos schlug er auf dem Boden auf. Der Einschlag ließ die Erde erzittern.
Thor warf einen Blick nach unten, wo er Gwen und die anderen in Deckung laufen sah, und er wusste, dass er die Drachen von der Insel weglotsen musste, fort von Gwendolyn, damit sie eine Chance hatte, zu entkommen. Er musste sie hinaus aufs Meer locken und den Kampf dort fortsetzen.
„Zum Meer!“, rief Thor.
Mycoples folgte seinem Befehl, und als sie die Richtung änderte, hörte Thor ein lautes Brüllen, und spürte die Hitze der Flammen, die einer der Drachen in seine Richtung spie. Sein Plan funktionierte – die Herde hatte sich von den Oberen Inseln abgewandt, und folgte ihnen aufs offene Meer hinaus.
In der Ferne konnte Thor Romulus Flotte sehen. Seine Schiffe färbten das Meer schwarz. Thor wurde bewusst, dass er, selbst wenn er den Kampf mit den Drachen überleben sollte, alleine dieser gigantischen Flotte gegenüberstehen würde. Was auch immer geschah, zumindest hatte er den anderen Zeit verschafft. Zumindest würde Gwendolyn fliehen können.
*
Gwendolyn stand auf dem schwelende Hof, umgeben von den Trümmern von Tirus‘ Fort. Sie hielt noch immer das Baby umklammert und starrte gen Himmel. Sie spürte Erstaunen, Erleichterung und Trauer zur gleichen Zeit. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie Thor wiedersah, die Liebe ihres Lebens. Er war mit Mycoples zurückgekehrt. Mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich stärker, als ob alles möglich war. Sie spürte etwas in sich wieder erwachen, das sie vor einer ganzen Weile verloren hatte: Ihren Willen zu leben.
Langsam senkten ihre Männer die Schilde und beobachteten, wie die Drachen in Richtung des Ozeans davonflogen. Gwendolyn sah sich um und betrachtete die Zerstörung, die sie hinterlassen hatte, riesige Trümmerberge, überall Feuer, und einige tote Drachen. Die Insel war vom Angriff der Drachen zerstört.
Gwendolyn sah die Leichen, die die Eltern des Babys gewesen sein mussten. Sie lagen direkt dort, wo Gwendolyn sie gefunden hatte. Sie blickte in die Augen des kleinen Mädchens und erkannte, dass sie alles war, was ihr auf der Welt geblieben war. Sie drückte sie fest an sich.
„Das ist unsere Gelegenheit!“, rief Kendrick. „Wir müssen hier weg!“
„Die Drachen sind abgelenkt“, fügte Godfrey hinzu. „Zumindest für den Moment. Keine Ahnung ob sie zurückkommen werden. Wir müssen uns beeilen.“
„Aber den Ring gibt es nicht mehr“, jammerte Aberthol. „Wo sollen wir hingehen?“
„Egal wohin, nur fort von hier“, antwortete Kendrick.
Gwendolyn hörte ihre Worte, doch in Gedanken war sie nicht bei ihnen. Voller Sehnsucht blickte sie gen Himmel, dort wo sie Thor zum letzten Mal gesehen hatte, bevor er aufs Meer hinaus geflogen war.
„Und was ist mit Thorgrin?“, fragte sie. „Sollen wir ihn etwa alleine zurücklassen?“
Kendrick und die anderen verzogen das Gesicht. Der Gedanke missfiel ihnen offensichtlich genauso.
„Wenn wir könnten würden wir bis zum Tod an Thorgrins Seite kämpfen“, sagte Reece. „Doch er ist da draußen, am Himmel über dem Meer, und wir sind hier. Wir haben keine Drachen oder die Kräfte eines Druiden. Wir können ihm nicht helfen. Wir müssen uns auf die konzentrieren, denen wir helfen können. Dafür gibt Thor alles. Dafür ist Thor bereit, sein Leben zu geben. Wir müssen die Chance ergreifen, die er uns gegeben hat.“
„Was von unserer Flotte übrig ist, liegt immer noch verborgen hinter den Klippen auf der anderen Seite der Insel“, fügte Srog hinzu. „Es war eine weise Entscheidung, die Schiffe zu verstecken. Wir brauchen sie jetzt. Wir und die anderen, die von unserem Volk übrig geblieben sind, müssen sofort hier weg – bevor die Drachen zurückkehren.“
Gwendolyns Gedanken rasten. Sie wollte Thor so gerne helfen, doch sie wusste, dass sie nicht warten konnte – das würde ihren Leuten nicht helfen. Die anderen hatten Recht: Thor hatte sein Leben für ihre Sicherheit riskiert. Es wäre umsonst gewesen, wenn sie nicht versuchte, diese Menschen zu retten, nun, da sie die Chance dazu hatte.
Ein andere Gedanke hing wie eine finstere Wolke über Gwendolyns Gedanken: Guwayne. Wenn sie sofort lossegelten, würde sie ihn vielleicht finden können. Und der Gedanken, ihren Sohn womöglich wiederzusehen, füllte sie mit neuem Leben.
Sie nickte und drückte das Baby fest an sich.
„Gut“, sagte sie. „Lasst uns aufbrechen und meinen Sohn finden.“
*
Das Gebrüll der Drachen hinter Thor wurde lauter. Sie kamen näher, verfolgten sie immer weiter aufs Meer hinaus. Thor spürte die Flammen hinter sich, und er wusste, dass sie, falls er nichts dagegen tun würde, bald sterben müssten.
Er schloss seine Augen. Er fürchtete sich nicht mehr davor, die Mächte in seinem Inneren anzurufen, hatte nicht mehr länger das Bedürfnis, sich auf physische Waffen zu verlassen. Als er die Augen schloss, erinnerte er sich an seine Zeit im Land der Druiden, erinnerte sich daran, wie mächtig er gewesen war, wie spielerisch leicht er seine Umgebung hatte beeinflussen können. Er rief die Macht in sich an, und wusste, dass das physische Universum um ihn herum nur eine Erweiterung seines Geistes war.
Thor zwang die Macht seines Geistes, sich eine Wand aus Eis vorzustellen, die ihn gegen das Feuer schützte. Er stellte sich vor, dass er und Mycoples von einem schützenden Schild umgeben, und sicher vor dem Feuer der Drachen waren.
Thor öffnete die Augen und stellte erstaun fest, wie kalt es geworden war, und sah eine dicke, blau glitzernde Wand aus Eis hinter sich. Er drehte sich um, und sah, wie die Feuerwalze der Drachen näher kam – und von der Wand aus Eis aufgehalten wurde. Zischend stiegen dicke Wolken aus Dampf auf. Die Drachen waren verwirrt.
Thor lenkte Mycoples herum, als die Wand schmolz, fest entschlossen, sich den Drachen entgegenzustellen. Mycoples flog furchtlos mitten unter die Drachen, die diesen Angriff offenbar nicht erwartet hatten.
Mycoples schoss vor, streckte ihre Krallen aus, griff einen der Drachen am Kiefer, schwang ihn herum und warf ihn kopfüber in die Wellen unter sich. Bevor sie sich selbst abfangen konnte, wurde sie von einem anderen Drachen angegriffen, der sich in ihrer Seite festbiss. Mycoples schrie, und Thor reagierte sofort. Er sprang von Mycoples Rücken auf die Nase des Drachen, und kletterte auf den Rücken des Drachen. Während er sich immer noch an Mycoples festhielt, buckelte er wie wild, um Thor abzuwerfen – doch dieser hielt sich mit aller Kraft auf dem feindlichen Drachen fest.
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