Mallory zuckte nur mit den Schultern und reizte den verletzten Gesichtsausdruck ganz aus. Bryn schien dagegen immun zu sein, aber Keira ärgerte so etwas. Sie fand eigentlich, dass sie eine ganz gute Beziehung zu ihrer Mutter hatte. Sie telefonierten oft, sie besuchte sie regelmäßig. Und Mallory war keine einsame alte Frau, die den ganzen Tag allein zu Hause hockte. Sie war Rentnerin, aber sie hatte eine Menge Freunde und Hobbys, mit denen sie sich die Zeit vertrieb.
„Wie schmeckt dir die Lasagne?“, fragte Mallory Cristiano. „Ich nehme an, gegen die von deiner Mutter kommt sie wohl nicht an, oder?“
Bryn lachte über den betrübten Ton ihrer Mutter. Keira war nicht in der Stimmung, um sie jetzt zu beschwichtigen. Sie antwortete, noch bevor Cristiano überhaupt eine Chance dazu hatte und sich zu einer höflichen Lüge gezwungen sah.
„Natürlich nicht“, sagte sie. „Unser Essen ist total anders. Alles ist importiert. In Italien ist immer alles frisch und nahrhaft.“ Sie stocherte mit ihrer Gabel in der gummiartigen Pasta. „Selbst die Tomaten schmecken anders in Italien.“
„Aber amerikanisches Essen schmeckt auch“, fügte Cristiano diplomatisch hinzu. „Keira und ich hatten heute Morgen Bagels zum Frühstück. Das war aufregend.“
Bryn zeigte deutlich, dass sie seine Bemerkung über den Bagel niedlich fand. Keira konnte es nicht ertragen, dass sie ihn behandelte wie einen niedlichen Hundemischling.
„Und wie lange wirst du in New York bleiben?“, fragte Mallory.
'Toll', dachte Keira. 'Schon wieder diese Frage.'
„Das weiß ich noch nicht“, erwiderte Cristiano. „Ich habe es allerdings nicht eilig.“
Auf Mallorys Stirn bildete sich eine steile Falte. „Nein? Hast du denn keinen Job in Italien, der auf dich wartet?“
Cristiano schüttelte gelassen den Kopf. „Ich arbeite nur hin und wieder, meistens im Sommer. Als Führer für Touristen. Als Kellner. So was eben.“
Keira entging nicht, dass die Falte auf der Stirn ihrer Mutter sich noch vertiefte.
„Gelegenheitsjobs?“, wiederholte sie. Ihr Ton verriet deutlich ihr Missfallen.
„Drüben ist alles eben etwas anders“, erklärte Keira. „Die Kultur ist eine andere. Man giert nicht ständig nach Beförderungen wie hier.“
„Aber er ist kein Kind mehr“, sagte Mallory mit Nachdruck. „Sollte er da nicht wissen, was er mit seinem Leben anfangen will?“
„Mom!“, rief Keira.
Cristiano lachte nur. Er fand das offenbar lustig. „Eines Tages finde ich schon meinen Weg, Mallory. Ich habe es nur eben nicht eilig damit.“
Er blickte hinunter auf seine Lasagne. Unbemerkt warf Mallory Keira einen vielsagenden Blick zu. Wenn sie schon dachte, dass Keira sich verdammt viel Zeit damit ließ, sich niederzulassen und Kinder in die Welt zu setzen, was musste sie dann erst von Cristiano denken, der nicht mal an eine Karriere dachte?
Als sie aufgegessen hatten, brachte die Mutter die Nachspeise. Eiscreme. Keira hatte in Italien so viel Eis mit Cristiano gegessen, dass es jetzt das Letzte war, was sie wollte, vor allem, wenn es das billige amerikanische Zeug war, das ihre Mutter gekauft hatte. Aber Cristiano blieb weiterhin höflich und machte gute Miene zum bösen Spiel.
„Quetscht ihr euch alle drei derzeit in Bryns Wohnung?“, fragte Mallory.
„Ich habe ihnen das Bett überlassen“, sagte Bryn. Sie wirkte tatsächlich stolz darauf, mal etwas Selbstloses getan zu haben.
„Warum wohnt ihr nicht hier?“, schlug Mallory vor. „Keira hat hier immer noch ein Zimmer.“
„Hast du?“, fragte Cristiano. Er schien verwundert, dass sie die Couch ihrer Schwester einem eigenen Zimmer vorgezogen hatte.
Keira schüttelte den Kopf. „Das ist keine gute Idee“, sagte sie ihm leise. „Der Weg in die Stadt jeden Tag wäre zu lang.“
„Was sagt sie?“, fragte Mallory laut. „Lass mich raten. Der lange Weg. Es ist immer die lange Pendelstrecke. Als sie bei Zach ausgezogen ist, ist sie direkt zu Bryn gezogen. Als ob ich gar nicht existierte. Und wenn ich frage, warum, dann ist es der lange Weg.“
„Mom, es dauert über eine Stunde von hier zu meiner Arbeit“, sagte Keira zum gefühlt tausendsten Mal.
„Eine Stunde ist normal“, warf Bryn ein. „Du hattest vorher einfach Glück mit dem Apartment. Und Zach hat den Großteil der Miete gezahlt.“
„Bryn!“, fuhr Keira ihre Schwester an. Dann verschränkte sie schmollend die Arme vor der Brust.
„Die Wohnung gehört seinem Cousin. Wir hatten beide weniger Kosten.“
Cristiano blickte verwirrt von einer zur anderen Schwester. „Wer ist Zach?“
„Niemand“, erwiderte Keira. Sie warf ihrer Mutter und Bryn flehende Blicke zu, sie mochten doch bitte einmal den Mund halten.
Mallory lächelte Cristiano an. „Du würdest lieber hier bleiben für eine kleine Weile, nicht wahr? Ich kann dir morgen die Gegend zeigen.“
Keiras Augen weiteten sich. „Auf keinen Fall, Mom. Cristiano hat mit seiner Zeit sicher was anderes vor.“ Der Gedanke, er würde sich den ganzen Tag in der Gesellschaft ihrer Mutter aufhalten, behagte ihr ganz und gar nicht.
„Was denn zum Beispiel?“, fragte Bryn lachend. „Irgendjemand muss ihm doch ein bisschen was zeigen, ihn unterhalten. Du weißt, ich könnte das jederzeit tun.“ Sie schlug ihre langen Beine übereinander.
„Nein!“, fuhr Keira auf. Sie traute beiden nicht über den Weg, wenn es um Cristiano ging.
„Um ehrlich zu sein, würde ich lieber allein die Stadt erkunden“, erklärte Cristiano schließlich, als man ihn endlich einmal zu Wort kommen ließ. „Das mache ich gern, wenn ich in eine fremde Stadt komme. Ist das okay, Mallory?“
„Aber natürlich“, kicherte sie. Dann fügte sie mit einem Grinsen an niemand direkt gerichtet hinzu: „Er ist so höflich.“
„Aber ich würde gern dein Angebot annehmen und hier wohnen“, fügte er hinzu. „Keira hat mein Zuhause kennengelernt und ich würde nun gern ihr altes Zuhause sehen.“
Keira vergrub ihren Kopf in den Händen. Das war das Letzte, was sie wollte. Andererseits hatten sie bei Bryn nicht die geringste Privatsphäre. Die Wohnung war viel zu klein für drei Personen. Mal abgesehen von dem Lärm und der Unordnung. Hier würden sie ein wenig Zeit für sich haben, wenn Mallory früh zu Bett ging.
„Na gut“, meinte Keira schließlich. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt hier übernachtet hatte. Dank Cristiano würde es nach vielen Jahren wieder dazu kommen. „Wir bleiben.“
„Großartig!“, rief Mallory und schenkte jedem noch einmal billigen rosa Wein nach.
*
Keira, Cristiano und Bryn nahmen gemeinsam ein Taxi zurück, um ihre Sachen zu holen. Cristiano stopfte seine wenigen Dinge in seine Tasche, Keira packte Kulturartikel, Unterwäsche, Make-up, Parfüm und Kleidung für die Arbeit ein, inklusive hochhackiger Schuhe. Die hatte sie während ihrer Zeit in Italien überhaupt nicht getragen.
Als sie gingen, war Keira froh, endlich mal wieder nur zu zweit zu sein.
„Tut mir leid wegen heute“, sagte sie, als sie neben ihm im Taxi saß.
„Leid? Weswegen?“
„Wegen meiner Familie. Sie sind alle verrückt.“
Er lachte. „Ich mag sie ehrlich gesagt.“
Keira grübelte, ob er Bryn wirklich nur mochte, verdrängte den Gedanken aber schnell wieder.
„Und du kommst morgen wirklich allein klar? Ich könnte einen meiner Freunde fragen, ob sie Zeit haben, dir etwas zu zeigen.“
Sie dachte an Shelby, die frisch verlobt war. Aber die musste mit Sicherheit arbeiten. Maxine hätte vielleicht Zeit, war aber Single. Keira traute ihrer Beziehung noch nicht so sehr, um die Zügel locker zu lassen.
„Ich bin sicher“, sagte Cristiano mit Nachdruck. „Ich sagte doch, ich erkunde gern alles allein. Das ist immerhin mein Job, nicht wahr?“
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