„Jetzt sollten wir besser ins Kaufhaus gehen“, meinte Emily, „um Unterwäsche, Socken und Schlafanzüge auszusuchen.“
Zusammen verließen sie den Vintageladen, Emily vollbeladen mit Taschen, und gingen in Richtung des Kaufhauses. Auf dem Weg dorthin entdeckte Emily Vanessa mit ihrem Baby Kate in einem Kinderwagen. Vanessa putzte nun schon seit mehreren Wochen in der Pension. Emily winkte ihr von der anderen Straßenseite aus zu.
„Chantelle, das ist meine Freundin Vanessa“, sagte sie. „Sie arbeitet in der Pension, weshalb du sie morgens hin und wieder sehen wirst.“
Vanessa machte einen leicht verwirrten Eindruck. „Hi Chantelle“, sagte sie leicht gekünstelt. Dann sah sie zu Emily auf. „Ist sie deine Nichte?“
Emily grinste und schüttelte den Kopf. „Sie ist Daniels Tochter.“
„Emily ist meine neue Mama“, erwiderte Chantelle, während sie Emilys Arm an sich drückte und grinste.
Emilys Herz wurde weich. Doch als sie in Vanessas Gesicht sah, bemerkte sie einen harten Ausdruck in der Miene ihrer Freundin.
„Daniels Tochter aus Tennessee?“, fragte Vanessa.
Emily nickte, doch ihre Stimmung begann, sich zu verschlechtern. Vanessa war in den sechs langen Wochen, in denen Daniel sie alleine gelassen hatte, bei ihr gewesen, die Zeit, in der es Emily schlecht gegangen war, weil sie nicht wusste, ob sie ihre Sachen packen, zurück nach New York gehen, Amys Jobangebot und Bens Heiratsantrag annehmen und so tun sollte, als ob die ganze Zeit in Maine nur ein Traum gewesen war. Zusammen mit Serena hatte Vanessa Emily unterstützt und ihr Trost und Freundschaft angeboten, um das Wrack, das Daniel zurückgelassen hatte, aufzubauen. Sie hieß es offensichtlich nicht gut, dass Emily Daniel einfach wieder zurückgenommen und seine Tochter ohne zu zögern in ihr Leben integriert hatte.
„Chantelle, Schätzchen“, meinte Emily, „spring doch schon einmal in diesen Laden hier und kaufe dir etwas Süßes. Bitteschön.“ Sie reichte ihr ein paar Dollarscheine. „Daddy mag Erdnussbutter-Cups am liebsten.“
Sobald sie verschwunden war, wandte sich Emily wieder an Vanessa. „Ich weiß, was du denkst“, begann sie. „Du denkst, dass ich verrückt bin, Daniel so ohne weiteres wieder in mein Herz zu lassen. Du denkst, dass ich mich wie ein Fußabstreifer verhalte.“
Vanessa schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht, Emily. Ich weiß, dass du ihn liebst. Das ist offensichtlich. Ich habe nie bezweifelt, dass ihr zusammen sein würdet.“
„Was ist dann das Problem?“, wollte Emily wissen, die ein seltsames Gefühl der Kälte beschlich.
„Das Mädchen“, erwiderte Vanessa. „Glaubst du wirklich, dass es in Ordnung ist, sie ihrem Zuhause zu entreißen? Ihrer Mutter?“
Emily verschränkte die Arme. „Ihre Mutter hat ihre Fürsorge aufgegeben. Sie nimmt Drogen und hat mentale Probleme. Daniel versuchte, ihr zu helfen, von den Drogen wegzukommen und eine Therapie zu beginnen, aber das funktionierte nicht. Sie verstand, dass es Chantelle bei uns bessergehen würde. Aber ich werde Sheila nicht ignorieren und so tun, als gäbe es sie nicht. Wenn sie ein Teil von Chantelles Leben sein will, dann kann sie das auch, sobald sie keine Drogen mehr nimmt. Ich werde nicht zulassen, dass eine Drogenabhängige das Leben dieses kleinen Mädchens zerstört.“
Vanessa wirkte immer noch nicht ganz überzeugt. „Ich glaube einfach nur, dass dir nicht klar ist, auf was du dich da eingelassen hast“, fuhr sie fort. „Chantelle großzuziehen wird nicht einfach sein.“
„Das ist mir bewusst“, erwiderte Emily gereizt, denn Chantelle war bisher nichts als liebenswürdig gewesen. „Natürlich wird es gewisse Herausforderungen geben. Aber Daniel und ich sind bereit, diese zu meistern.“
„Was ist mit eigenen Kindern? Von dir und Daniel? Wirst du immer noch in der Lage sein, eine eigene Familie zu gründen, wenn du damit beschäftigt bist, dich um Chantelles Probleme zu kümmern? Und was ist mit der Pension? Ist sie der richtige Ort für ein Kind mit gewissen Schwierigkeiten?“
„Chantelle hat keine Schwierigkeiten“, feuerte Emily abwehrend zurück, denn plötzlich verspürte sie einen starken Beschützerinstinkt für das Mädchen, das sie bereits wie ihre eigene Tochter sah.“
Vanessa seufzte tief. „Das sage ich ja auch gar nicht“, meinte sie resigniert. „Ich mache mir nur Sorgen, dass du das Ganze nicht richtig durchdacht hast. Du hast ja gesehen, wie sehr Katy mein Leben beeinflusst und sie meine eigene Tochter. Ich wollte sie haben. Chantelle ist dir in den Weg gestellt worden. Sie ist in etwa ein Ultimatum von Daniel. Das hast du dir nie ausgesucht. Ich glaube einfach, dass du einen Schritt zurücktreten und einen Moment darüber nachdenken solltest, ob es wirklich das ist, was du willst.“
Sie streckte ihre Hand aus und drückte Emilys Arm. In diesem Moment kam Chantelle mit einer Einkauftüte voller Süßigkeiten und Schokoladenriegeln zurück.
„Wow“, sagte Emily, „das sind ja ganz schön viele Süßigkeiten.“
Doch ihre Stimme war nicht mehr so leicht und sorglos wie zuvor. Vanessas Worte hatten sie erschüttert. Sie hatten ihr Glück durchschnitten und einen Zweifelskorn in ihr gesät. War sie wirklich in der Lage, Chantelle richtig großzuziehen?
Als Emily und Chantelle schließlich in der Pension ankamen, war Chantelle völlig erschöpft. Sie schaffte es, beim Abendessen wach zu bleiben, das Daniel in ihrer Abwesenheit gekocht hatte, doch konnte es nicht verhindern, immer wieder zu gähnen.
„Vielleicht sollte sie heute bald ins Bett gehen?“, schlug Emily vor. „Sie war sehr früh wach. Und da morgen die Schule beginnt, würde es ihr nicht schaden, gut ausgeruht zu sein.“
Daniel stimmte zu und zusammen gingen sie hinauf in Chantelles Zimmer, brachten sie ins Bett und lasen ihr eine Geschichte vor, bis sie eingeschlafen war.
Sobald sie das Zimmer verlassen und die Tür leise hinter sich geschlossen hatten, dachte Emily über die vergangenen zwei Tage nach, die sie nun schon Eltern waren. Sie hatten ihr mehr Spaß gemacht als angenommen. Doch Vanessas Worte schwirrten immer noch in ihrem Kopf umher und ließen Zweifel in ihr aufkommen.
Daniel und Emily schlichen leise nach unten, denn sie wollten Chantelle nicht durch die quietschenden Dielen wecken.
„Ich würde unglaublich gerne mit dem Boot in den Sonnenuntergang fahren“, sagte Daniel. „Was meinst du dazu? Wie wäre es mit einem Date?“
Emily runzelte die Stirn. „Wir können Chantelle nicht einfach alleine lassen.“
Daniel begann zu lachen. „Dann ist es ja nur gut, dass Serena auf dem Weg hierher ist.“
Emilys Stirnrunzeln vertiefte sich. „Wie bitte?“
Daniel grinste nur. „Nun ja, während du nicht zuhause warst, habe ich mir die Freiheit genommen, einen Babysitter zu organisieren. Sie ist um sieben Uhr hier.“
Emilys Stirnrunzeln verwandelte sich in ein Grinsen. „Wirklich?“ Sie platzte fast vor Aufregung. Seit ihrem letzten richtigen Date mit Daniel war schon so viel Zeit vergangen und ihr war gar nicht klar gewesen, wie sehr sie sich eigentlich danach gesehnt hatte. Sie warf ihm die Arme um den Hals und drückte einen dicken Kuss auf seine Lippen.
„Ich sollte mich besser fertigmachen“, verkündete sie strahlend, während sie die Treppe hinaufeilte, um sich umzuziehen.
Serena kam um Punkt sieben Uhr in einer Wolke aus süß duftendem Parfum und künstlerischem Flair an.
„Jemand schaut zum Anbeißen aus“, sagte sie, als sie Emilys Outfit erblickte.
Emily wurde rot. Sie hatte noch nie sonderlich gut mit Komplimenten umgehen können. „Danke, dass du das hier machst“, meinte Emily. „Wir wissen es wirklich sehr zu schätzen, dass wir ausgehen können.“
„Kein Problem“, erwiderte Serena. „Ich freue mich schon darauf, mich zu entspannen und einen schnulzigen Roman zu lesen.“
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