FLAVIO STEIMANN
ROMAN
Der Autor dankt der
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Edition Nautilus
Verlag Lutz Schulenburg
Schützenstraße 49 a
D- 22761 Hamburg
www.edition-nautilus.deAlle Rechte vorbehalten © Edition Nautilus 2014 Originalveröffentlichung Erstausgabe August 2014 Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg www.majabechert.de1. Auflage Print ISBN: 978-3-89401-797-2 E-Book ePub ISBN: 978-3-86438-163-8
Es war noch vor Tag, als Gauch die steilen Kehren des Karrwegs von der Station Maria Zell hinauf zur Gand unter die Füße nahm.
Man hatte ihn avisiert, dass die dortigen Bauersleute tot im Holz lägen, erschlagen mit einem Beil.
Gauch hatte schlecht geschlafen, eine Angst nagelte ihn aufs Bett, kaum dass er lag.
Eigentlich bloß ganz beiläufig war ihm in einer der letzten Nächte der Gedanke an ein taubes Bein gekommen – aber gerade diese Beiläufigkeit begann, sich unversehens in ein schwarzes Segel zu verwandeln, das alsbald hinter ihm stand, wohin er sich auch wandte. Er hatte sich seither beinahe stündlich untersucht und tatsächlich eine bläuliche Trutenhaut vorgefunden, die ihm bisher nie aufgefallen war; und nun mochte er die böse Vermutung verscheuchen, wie er wollte, sie abtun als bloße Einbildung – sie blieb in seinem Hirn und ließ ihm keine Ruhe.
Der Berg machte ihm zu schaffen.
Gauch hielt an und spuckte eine Borste, die ihn lange schon geplagt hatte, über die gestülpte Zunge.
Dann schaute er auf den See.
Es hatte zu hellen begonnen, dünner Aprilschnee war über Nacht gefallen und hatte die Flanken der Hügel in die Felle von Forellenschimmeln verwandelt; wieder lag dieser Nebel über der Ebene, der wohl die Farben beließ und das Licht, aber mit seiner Dämpfung ein Bewusstsein von Gefälschtheit schuf und dabei das Wasser nicht nass, sondern gläsern und unbewegt erscheinen ließ.
Gauch schob den Hut in den Nacken – der Schweiß zeichnete einen kühlen Strich hinter sein Ohr.
Im See stand ein Kahn. Gauch zögerte. Er fragte sich, was er tat.
Er war zeitlebens zu gehorsam gewesen – und mit dieser Angst vor einem faulenden Stumpf war ihm nun wieder bewusst geworden, dass er jeden Gedanken verscheuchte, der über das bloße Jetzt hinauswies. Je mehr Zweifel an seiner bisher eisernen Gesundheit an ihm nagten, desto weniger wagte er sich zu fragen, von welcher Hoffnung er eigentlich lebte und wozu. Er hatte lebenslänglich mitgespielt in einer notorischen Unentschiedenheit – ein Staatsdiener, den das Leben langweilte im Grunde, auch wenn er sich und andere wenig davon merken ließ.
Im Acker, der oberhalb des doppelten Wetterkreuzes in die letzte Wegschlinge eingebettet war, hing – an ein Leiterstück genagelt – eine vom Sturm zerfetzte Krähe. Gauch ging an dem toten Vogel vorbei in einer Furche durch den Winterweizen. Vom Weidschopf auf der Höhe blickte er wieder zu Tal.
Der Gandhof lag nun zu seinen Füßen in einer leichten Mulde auf der Sonnenseite des ausgreifenden Hügels. Es war ein breites Holzhaus mit den hier üblichen Klebdächern, das etwas abseits von Stall und Scheune geborgen unter einer mächtigen Linde stand. Gleichmäßig verstreut fanden sich weitere Gehöfte, deren Ziegeldächer trotz ihrer Größe nicht über die Kuppen ragten, sondern wie ruhende Tiere sich unauffällig in die Senken duckten.
Die Gegend schien friedlich. In alten Zeiten war eine Mutter vom Kirchgang nicht mehr nach Hause gekommen, vor Jahrzehnten hatte man eine schwangere Magd mit einer Garbenschnur erdrosselt. Sonst war nichts vorgefallen.
Und nun die zwei Toten.
Die Bluttat war am Ostermontag abends kurz vor der Dämmerung entdeckt worden, als entfernte Verwandte den taubstummen Hofknecht, den Bruder der Bäuerin, von einem Besuch zurückbrachten und ein herrenloses Rückepferd – noch im Schleppgeschirr – verstört vor den Ställen fanden.
Im Dorf hatte man den Gandbauern indessen schon am früheren Abend vermisst, dabei aber noch nicht an das Schlimmste gedacht, weil es schon hin und wieder vorgekommen war, dass er die Fuhre bei kühlem Wetter erst mit der Morgenmilch machte. Die beiden Bauersleute waren ihrer Raffgier wegen ohnehin schlecht gelitten gewesen, und so hatten auch die Nachbarn sich lieber um ihre eigenen Dinge gekümmert, statt in der Dunkelheit und ungewohnten Kälte unnütze Nachforschungen anzustellen.
Gauch krempelte seine nassen Hosenbeine hoch, dann schritt er weiter durch den Matsch.
Ein harziger Rauch, der aus der Waldung durch die Stämme über die Wiese schlich, wies ihm den Weg zum Schlag.
Als Gauch auf die Lichtung trat, war es ein seltsames Bild.
Der Bezirkslandjäger hatte rings um den Holzplatz Wäscheleinen von Baum zu Baum gezogen und mit Stalllaternen behängt, die trotz des Taglichts noch immer blakten. Er selber saß bleich und aufgeregt auf einem Stumpf und hielt unter der Pelerine Pistole und Feldstecher gemäß Dienstvorschrift in den klammen Fingern bereit.
Die beiden Toten lagen unter schweren Pferdedecken, im Laub grinste wie ein Gebiss ein brauner Kamm, die Mordwaffe, einen blutigen Spalthammer, hatte der junge Korporal mit einer geschälten Birkenrute, an die schwarzer Flor geknüpft war, markiert.
Gauch stieg auf einen liegenden Stamm und hielt sich, bis er das Gleichgewicht gefunden hatte, an einem herunterhängenden Aste fest. Dann balancierte er bis zum Ende.
Brauchbare Spuren waren nicht mehr zu sichern. Das erschreckte Pferd hatte mit seinen Hufen alles aufgewühlt, im Brei aus Sägemehl, Matsch und Geäst lag das Werkzeug halb unter Hölzern, halb im Gedorn, der Essenskorb, der noch an einer eingerammten Sapine hing, war ausgeleert, nasses Brot zerbrockte neben dem Rindenschäler, eine Flasche, die zum Warmhalten in eine wollene Wadenbinde eingewickelt war, steckte im Kraut. Gauch stieg vom Stamm, hob sie auf und öffnete den Bügel. Eine Fahne von Schnaps stieg aus dem kalten Kaffee.
Der Gandbauer sei das Opfer eines Raubmordes geworden, das könne man deutlich daran erkennen, dass man ihm die silberne Uhr von der Weste gerissen habe, zudem sei die Truhe in der Schlafkammer der Eheleute aufgebrochen und alles Wertvolle gestohlen worden. Man verdächtige die Fecker, die beim Zeller Moos am See lagerten und alles mitlaufen ließen, was nicht angebunden sei. Ein gottverdammtes Pack.
Gauch ließ den Polizisten reden. Dann warf er Reisig auf die Glut. Er schaute zu, wie das Feuer erst fast erstickte, dann aber mit einem hinterhältigen Ton das ölige Grün anbeizte, auffauchend hindurchschlug, mit einem heißen Schwall seine Gesichtshaut spannte, die Nadeln zu schwefligen Stäbchen versengte und nichts übrig ließ als aschengraues Gerippe, das im leisen Wind weiter zerglühte.
Gauch dachte an sein Bein. Dann schickte er den Mann zum Posten und umkreiste langsam den Ort der Tat.
Hinter den Holzbeigen hatte sich in den Karrenspuren grünes Wasser zu Tümpeln gesammelt. Gauch vergewisserte sich, dass er allein war, kauerte dann nieder und betrachtete sein Gesicht, das jetzt zwischen gezackten Wipfeln im grauen Himmel stand.
Wenn er mit dem Absatz stampfte, verwellte sich das Bild. Aus seinem Kopf wuchs ein Schnabel, er wurde ein Vogel mit langem Hals.
Gauch überließ sich dem kindlichen Spiel – dachte an Wärme und an Flaum und an helle Haut, über die lautlos feine Glieder einer goldenen Kette rieselten.
Albin Gauch liebte das Wasser, er liebte die Strudel an den Pfeilern und Wehren, er erlag seinem Rausch, gab sich ihm hin – das wuchtige Rollen mochte er, dieses Taubwerden, das Vergessen – wenn er sich verlor, hineintauchte, allmählich tumb wurde von den Vrillen, die sich formten und aus dem Drall heraus verschaumten, im selben Guss helles Glas wurden und träges Wasser wieder, das nichts verriet, nur weiterzog. Leise, fast ohne einen Laut.
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