Olaf Müller
Rurschatten
Kriminalroman
Das Grauen fließt mit Feuerwerk auf der Annakirmes in Düren. Eine mysteriöse Nachricht lockt den 88-jährigen Alexander Rütters in die Geisterbahn – doch die Fahrt endet tödlich. Die Aachener Kommissare Fett und Schmelzer nehmen die Ermittlungen auf. Der Papierfabrikant Rütters lebte in einer Seniorenresidenz, wo es zu Unregelmäßigkeiten kam. Andere Spuren führen zum Camp Vogelsang, zu einem Beinahe-GAU der Kernforschungsanlage Jülich und zu dubiosen Immobiliengeschäften um ein Wasserkraftwerk am Rursee. Oder wurde Rütters doch noch von seiner Kriegsvergangenheit eingeholt? Die geheimnisvolle Marie Utzerath weiß mehr. Sie ist die uneheliche Tochter einer flämischen Widerstandskämpferin, die im Krieg als Zwangsarbeiterin bei Rütters arbeitete. Und plötzlich kommt auch noch der belgische Geheimdienst ins Spiel. Die Kommissare Fett und Schmelzer können nur durch die Zusammenarbeit mit den Kollegen Didier und Kalumba in Lüttich den grenzüberschreitenden Fall entwirren. Die vier Ermittler stoßen auf Staatsgeheimnisse, nähern sich dem Mörder – und den Schatten der Vergangenheit.
Olaf Müller wurde 1959 in Düren geboren. Er ist gelernter Buchhändler und studierte Germanistik sowie Komparatistik an der RWTH in Aachen. Seit 2007 leitet er den Kulturbetrieb der Stadt Aachen. Sprachreisen führten ihn oft nach Frankreich, Italien, Spanien sowie Polen und Austauschprojekte in Aachens Partnerstädte Arlington (USA) und Kostroma (Russland). Müller hält auch Vorträge u.a. zum Thema Heimat und Identität. Als Segelflieger kennt er die Eifel aus der Luft. Mit Rad und Wanderschuhen unterwegs, trifft der Autor die Menschen und entdeckt die Region mit ihren Licht- und Schattenseiten.
An die Fliegerin Liesel Bach, geboren in Bonn, eine der erfolgreichsten Kunstfliegerinnen zwischen 1930 und 1970, wird in diesem Roman erinnert. Nachfahren konnten nicht ausfindig gemacht werden.
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Alle Rechte vorbehalten
5. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © fotofreakdgy / Fotolia.com
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-5830-9
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für meinen Sohn Tadeusz, den ersten Zuhörer …
»Zacki, zacki, zacki, zacki! Neue Fahrt, neues Glück! Kommen Sie ran hier. Das macht Freude, das macht Spaß. Sie auch, junger Mann mit Basecap. Ran hier! Das geht ab. Heute auch ohne Viagra. Alsoooooooo! Jetzt geht’s loooooos hier! Ou-ou-ou-ou-ou-ou-ou. Schöne Maus im Morgenmantel – alles rodscha in Kambodscha? Let’s go, baby!«
Die Anheizer auf der Jaguarbahn und dem »Goldenen Looping« gaben an diesem Abend Vollgas.
Das Feuerwerk raste seinem Höhepunkt zu. Immer am Freitagabend der Annakirmes explodieren die Raketen und erleuchten den Himmel über Düren: Annaoktav, Annakirmes, Rummel. Eine Million Besucher. Und am Freitag kommen alle. Alle aus Düren, Kreuzau, Langerwehe, Heimbach, Merzenich und Nörvenich, Jakobwüllesheim und Jülich, aus Schlich und Weisweiler und manche auch aus Aachen und Köln.
Düren – Wirtschaftsgeografen, sogenannte Citymanager, alle, die irgendwas mit Marketing, Handel, Wandel zu tun haben, würden diese Stadt als ein Mittelzentrum bezeichnen, in der Mitte gelegen eben. In ihrem Englisch für Newcomer nennen sie es »In-between«. Düren liegt in der Mitte des Weges von Köln nach Aachen und umgekehrt. Diese Dürener Kirmes hat eine ziemlich große Geschichte, die etwas mit dem Diebstahl des Anna-Reliquiars im Jahre 1500 zu tun hat. In Mainz entwendet, gelangte die Reliquie nach Düren. Und zu Ehren des Annahauptes wurden ab 1510 jährliche Wallfahrten durchgeführt. Daraus ging die Kirmes hervor. Wer bei dieser Kirmes an Schießbude, Bierzelt und Kinderkarussell denkt, der liegt falsch. Manchmal dreht sich ein fünffach Looping, die Boxbude mit dem legendären Ostzonenmeister kam bis zum Fall der Mauer regelmäßig. »Steile Wand«, Geisterbahnen und »Hau-den-Lukas« tauchen immer auf.
Düren: Die Stadt wurde im November 1944 total ausradiert. Neben der Annakirmes ist Düren heute bekannt für ein ansehnliches Kunstmuseum, den Brandbomben knapp entkommen, ein Papiermuseum fürs Papier, das Erzeugnis, dem Düren den Wohlstand früherer Zeiten verdankt, einige bekannte Fußballspieler (Karl-Heinz Schnellinger und Schumacher Toni). Früher konnte man in Düren sogar in den D-Zug Paris-Moskau einsteigen. Heute halten nur noch Regionalzüge und die Bimmelbahn nach Heimbach und Linnich. Dies sind, kurz gesagt, die Besonderheiten. Vielleicht noch der Badesee. Düren, das Tor zur Eifel: Nur hat niemand dafür einen Schlüssel, und Hotels gibt es auch nur eins. Düren also ist bekannt durch die Annakirmes, das größte Volksfest dieser In-between-Region.
Im Polizeipräsidium in Aachen schob Kriminalhauptkommissar Michael Fett die Spätschicht der Mordkommission. Keine besonderen Vorkommnisse. Im Westen nichts Neues, dachte er beim Sortieren der Akten. Kein Spiel von »Alemannia«. Keine Rockerkriege, höchstens Beziehungstaten. Könnte ruhig werden. Könnte.
Aachen ist seit zehn Jahren für die Kriminalfälle in der Region zuständig. Tote Gyrosverkäufer, Mord unter Eheleuten, schlimm die Fälle mit Kindern. Daran konnte er sich nie gewöhnen.
In dem Dunst aus Autoscooter-Musik, heute war Oldie-Abend mit »See my Baby Jive«, knallendem »Hau-den-Lukas« und dem Hardcoresound der »Steilen Wand«, trabte das Dreierteam der Polizei Düren über den Annakirmesplatz. 22.15 Uhr. Freitag, 1. August 2008. Traben, na ja. Sie schoben sich freundlich durch die Menge. Für die Songs waren sie zu jung. Die Spritzer von Currywurst, Bier und Backfisch auf den neongelben Jacken kaum zu übersehen. »So ein Tag, so wunderschön wie heute« – grölende Jungmänner bei der »Schwarzwald-Christel«, Backfischmädchen an der Jaguarbahn. Sommerhitze, Alkohol, Fettgebäck, gebrannte Mandeln, Reibekuchen und Bratwurst, verschwitzte Gesichter und schrilles Schreien, dazwischen Sabine Höllerath, Kommissarin, Wolfgang Niebergall, Anwärter und Thomas Weidenpesch, Hauptkommissar. Sie waren von der Menge an diesem warmen Freitag Anfang August 2008 überrascht und schauten in schweißüberströmte Gesichter. Kindern tropfte Eis auf das Shirt, karierte Hemden, knappe Höschen, Tattoos oben, unten, kauende Münder, das Kreischen der Fahrgäste auf der Wildwasserbahn – alle warteten auf das Feuerwerk.
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