Napoleons Erfolg bestand darin, um das an einem historischen Beispiel zu veranschaulichen, dass er im höchsten strategischen und politischen Bewusstsein, das von der Französischen Revolution herrührte, begriffen hatte, dass die feudalen Systeme partikulare Gewaltverhältnisse aufrechterhielten und perpetuierten, die nicht mehr das Ganze der Gesellschaft ausdrückten. Deshalb konnte er diese Gewaltverhältnisse selbst noch als Hebel benutzen, um sie zu zerstören. Seine ganze Bündnispolitik war auf diese Zerstörung gerichtet, und selbst seine militärischen Siege verdanken sich seinem geschichtlichen Bewusstsein von der Überholtheit etwa des Systems der geschlossenen Schlachtordnung, die Friedrich der II. entwickelt hatte. Denn diese Schlachtordnung bestand vor allem darin, Disziplin aufrechtzuerhalten, damit die Soldaten nicht wegliefen. Die Technologie, über die Napoleon verfügte, war genau die partikulare Gewalt, um diese Systeme und Heere zu zerstören.
Nun vollzieht sich in dieser Gewaltfrage eine Transposition, die sich gleichermaßen fast wörtlich bei Kant und Hegel findet und die eben für die deutsche Situation kennzeichnend ist. Die Materialität der Revolution, die schon Kant in Zweifel zog, wurde auf Geschichtszeichen, auf Symbole, auf Fanale und so weiter reduziert, ihres materiellen Charakters entkleidet. Das heißt, sie wurde in die Komplexität von Subjekten transponiert, aufgenommen, subjektiviert, und da, frei von Materialität, in aller Kompliziertheit entwickelt. Das bedeutet, der deutsche Idealismus ist sicherlich auch ein Abwehrprodukt dieser Revolution, also eine Verarbeitung von bedrohlicher Realität.
Immer hat die Herrschaft im Reiche des Begriffs etwas von der realen Herrschaft an sich oder ist ein Kompensationsprodukt realer Herrschaft. Die Entfaltung dieser begrifflichen Systeme ist auch ein Produkt der Reduktion des Realitätsgehaltes. Aber gerade deshalb konnte diese Philosophie eine Dimension und Tiefe erreichen, die politisch in dem Sinne nicht angreifbar und anfechtbar war wie andere Systeme, die nur im Bereich des Gedankens sich entfalteten, und somit Methoden entwickeln, die weit über diese Systeme hinausgingen. Das heißt, die Widersprüchlichkeit innerhalb des deutschen Idealismus erzeugt zwei Dinge: auf der einen Seite eine Entmaterialisierung der politischen und ökonomischen Bewegungen und bürgerlichen Revolutionen, insbesondere der Französischen Revolution, auf der anderen Seite die Freisetzung des spekulativen Gedankens, der sich aus der Spekulation heraus dieser Realität bemächtigt und sie mit dem Begriff noch einmal durchgeht und zwar relativ unabhängig von unmittelbarer politischer Repression.
Wir wissen heute durch die Arbeiten von Karl-Heinz Ilting (1925–1984), der Kollegnachschriften der Hegel’schen Rechtsphilosophie aufgedeckt hat, dass Hegels Vorlesungen von seiner veröffentlichten Rechtsphilosophie abwichen. Er sprach sehr viel offener, als er sich in der Druckfassung äußerte, die nach den Karlsbader Beschlüssen, nach dem Einläuten dieser ungeheuer reaktionären Periode verfasst wurden. Aber gleichwohl ändert das nichts Grundsätzliches an der These, dass die Revolution bereits auf einen ruhigen Boden der geistigen Entwicklung in Deutschland hinübergerettet war. In der »Phänomenologie des Geistes« heißt es:
Die absolute Freiheit hat also den Gegensatz des allgemeinen und einzelnen Willens mit sich selbst ausgeglichen; der sich entfremdete Geist, auf die Spitze seines Gegensatzes getrieben, in welchem das reine Wollen und das rein Wollende noch unterschieden sind, setzt ihn zur durchsichtigen Form herab, und findet darin sich selbst. – Wie das Reich der wirklichen Welt in das Reich des Glaubens und der Einsicht übergeht, so geht die absolute Freiheit [das ist die Freiheit, wie sie sich in der Französischen Revolution darstellt als Wirklichkeit zerstörende Abstraktion, Anm. Negt] aus ihrer sich selbst zerstörenden Wirklichkeit in ein anderes Land des selbstbewußten Geistes über [das ist Deutschland im Gegensatz zu Frankreich, Anm. Negt], worin sie in dieser Unwirklichkeit [die Materialität ist abgezogen und erscheint in der Unwirklichkeit von Moralität, Anm. Negt] als das Wahre gilt, an dessen Gedanken er sich labt, insofern er Gedanke ist und bleibt, und dieses in das Selbstbewußtsein eingeschlossene Sein als das vollkommne und vollständige Wesen weiß. Es ist die neue Gestalt des moralischen Geistes entstanden. 113
Wenn Sie so wollen, kehrt die Revolution zu Kant zurück. Der eigentliche Übergang besteht für Hegel aber darin, wie der Geist von der Französischen Revolution wegkommt. Wenn er bei Kant ist, dann ist er auf derselben Ebene wie die Hegel’sche Philosophie. Wenn die geschichtliche Substanz in die Moralität Kants gerettet ist, dann ist der Gedanke gesichert in seinem ruhigen Reich. Die Kritik bezieht sich ja auch auf die abstrakte Moralität, die in dieser Revolution steckt.
Wir können hier die Interpretation von Kant einbeziehen: Sofern die Revolution Gedanke und Geschichtszeichen ist, Zeichen der Natur, ist die Revolution bei sich, ist sie nichts völlig anderes mehr. Diese Transposition in die Denkweise und in das Geschichtszeichen ist die Rückkehr des Geistes aus einer entfremdeten Realität in sich selbst. Diese neue Gestalt bleibt aber nicht der moralische Geist, und das ist der Schritt, den Hegel weit über Kant hinaus vollzieht. Sondern dieser moralische Geist ist die absolute Freiheit seiner selbst. Das ist die Grundlage der neuen Welt, der bürgerlichen Welt, aber in der Kantischen Form abstrahiert von der Realität. Das heißt, Moralität und Realität waren bei Kant absolut nicht aufeinander beziehbar, hatten keine Vermittlungsmomente in sich. Diese Vermittlungsmomente zeigt Hegel hier nun auf, wenn er sagt: Es ist schon die Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit, nicht die Wahrheit, die sich innerhalb des Begriffs und in der Realität entfaltet.
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