Schließlich entscheide ich mich für meine dunkle Jeans, ein weißes Tanktop, das ich normalerweise zum Schlafen trage, und meine schwarzen Ankle Boots mit dem süßen Absatz. Ich nehme alles mit ins Badezimmer, wo ich mich meiner schwarzen Bluse, meines cremefarbenen Gürtels, meiner schwarzen Hose und der schwarzen Ballerinas entledige. Nur die Perlenkette behalte ich noch um, ehe ich in mein neues Outfit schlüpfe. Dann kehre ich zurück ins Wohnzimmer, werfe meine Klamotten auf die Couch und gehe zur Wohnungstür.
»Fühlst du dich jetzt nicht viel mehr wie dein altes Selbst?«, erkundigt sich Jamie und zieht an meinem Pferdeschwanz, bis sich meine Strähnen um mein Gesicht ergießen. Ich blitze ihn aufgebracht an. »Jetzt schau nicht so. Und hier, du kannst diese Jacke tragen.« Er hält mir einen stylischen Ledermantel entgegen.
»Ich nehme meine eigene Jacke«, grummle ich, weil ich mir sicher bin, dass der Mantel einem seiner vielen One-Night-Stands gehört.
»Das schöne Stück ist für dich.« Jamie umfasst meine Schulter und sieht mich an. »Ich habe es dir als Abschiedsgeschenk gekauft.«
»Als Abschiedsgeschenk?« Ein Lächeln zuckt um meine Mundwinkel.
»Jap, bald habe ich meine Wohnung wieder für mich, und du kannst dich endgültig von Troy verabschieden.«
Ich spüre Tränen in mir aufsteigen und schlucke heftig gegen die aufwühlenden Empfindungen an.
»Ich vermisse meine Schwester – die, die jeden Tag eine Lederjacke getragen hat, mit zu Konzerten gekommen ist und Bier getrunken hat, während sie jeden Song mitsang.« Er lächelt mich liebevoll an und hält mir die Jacke hin.
Ich nehme den Mantel von ihm entgegen, streife ihn über und merke tatsächlich einen Anflug eines altbekannten Gefühls. Allerdings habe ich seit meinem Einzug bei Jamie bereits Stück für Stück zu mir selbst zurückgefunden.
»Du bist echt der Wahnsinn«, murmle ich und schlinge meine Arme um seine Mitte.
»Was soll ich sagen? Ich bin einfach ein Unikat.« Er grinst und drückt mich an sich, was mir ein Lächeln entlockt.
Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe ihm in die Augen. »Danke, dass du für mich da bist. Nicht nur jetzt, sondern immer«, flüstere ich, was dazu führt, dass er mich noch fester an sich drückt.
»Ich werde dir immer den Rücken stärken.« Jamie lässt mich los und zieht die Wohnungstür auf. »Und jetzt lass uns gehen ... bevor du doch noch zu spät kommst.«
»Ja.« Seufzend, aber mit einem kleinen Funken Aufregung im Bauch, trete ich aus dem Apartment. Mit dem heutigen Tag werde ich ein Stück meines eigenständigen Lebens wiedererlangen.
Auf dem Weg zu Jamies Escalade höre ich mein Handy in meiner Handtasche piepen. Nachdem ich es gefunden habe, öffne ich meine Nachrichten, in der Erwartung, Neuigkeiten von Kathy zu lesen. Der Frau, die mich vor zwei Wochen als Sendungsmoderatorin bei IMG, einer der größten Home-Shopping-Firmen in den USA, eingestellt hat. Stattdessen finde ich eine Nachricht von Troy vor, in der er mich bittet, ihn anzurufen.
»Wer hat dir geschrieben?«
Betreten sehe ich zu Jamie hinüber, dessen Blick auf mein Handy geheftet ist. »Troy. Er will, dass ich ihn anrufe«, erkläre ich, während sich das Handy in meiner Hand plötzlich wie ein Stein anfühlt.
»Vergiss ihn. Du musst endlich deine Nummer ändern.«
»Ich werde meine Nummer nicht ändern«, erwidere ich mit einem Seufzen, hoffend, dass er das Thema damit gut sein lässt. Ich möchte mit Troy nicht reden. Nachdem ich allerdings vier Jahre meines Lebens mit ihm verbracht habe, habe ich nun irgendwie das Gefühl, ihm etwas schuldig zu sein. Wie unglaublich dämlich, wenn man bedenkt, was er getan hat.
Wenn mir früher jemand prophezeit hätte, dass Troy mich betrügen würde, hätte ich gelacht und denjenigen für verrückt erklärt. Ich lebte in der Überzeugung, er würde mich lieben und wäre der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen würde. Doch er war auf der Suche nach etwas anderem.
»Muss ich dir die Bilder ein weiteres Mal zeigen?«, reißt mich Jamie aus meinen Gedanken, während die Stadt auf unserer Fahrt an uns vorüberzieht.
»Nein.« Ich muss sie nicht noch einmal sehen; der Anblick hat sich nachdrücklich in mein Gehirn gebrannt. Ich weiß noch immer nicht, wer mir die Fotos von Troy und seiner Kollegin geschickt hat, aber ich bin demjenigen dankbar, weil ich auf diese Weise herausgefunden habe, wer Troy wirklich ist.
Als ich an einem Tag vor rund vier Monaten nach Hause kam und wie immer die Post durchsah, steckte zwischen meinen Brautmagazinen ein schlichter Umschlag, auf dem mit schwarzem Stift mein Name geschrieben stand. Keine Adresse oder irgendeine andere Information, sondern einfach nur mein Name. Ich ließ den Umschlag einige Stunden auf der Anrichte liegen, ehe ich ihn öffnete. Ich hatte keine Ahnung, dass sein Inhalt mein Leben verändern würde.
Jemand hatte mehrere Fotos von Troy und einer Arbeitskollegin an verschiedenen Orten geschossen. Auf manchen waren sie in der Öffentlichkeit zu sehen, aber die meisten Bilder waren unscharf, so als wären sie nachts gemacht worden, und zeigten die beiden in leidenschaftlicher Ekstase ineinander verschlungen.
Nachdem ich die Fotos gesehen hatte, rief ich Jamie an und erklärte ihm, was mir jemand zugespielt hatte. Auch wenn er mein kleiner Bruder ist, hat er sich nie so verhalten. Er tauchte eine Stunde später mit einem Stapel voller Umzugskartons und seinen Bandmitgliedern im Schlepptau auf. Sie packten alles ein, was mir gehörte, brachten meine beiden Koffer zu Jamies Wohnung und verstauten meine übrigen Sachen in einem ihrer Lagerräume. Als Troy am nächsten Tag nach Hause kam, war ich bereits weg; allerdings hatte ich die Fotos zusammen mit meinem Verlobungsring für ihn auf der Anrichte zurückgelassen.
»Wir sind da«, sagt Jamie und tätschelt mein Knie, woraufhin ich mich zum Fenster drehe und meinen Blick nach oben wandern lasse ... und immer weiter nach oben. Das riesige Gebäude mit den glänzenden schwarzen Fenstern wirkt vor dem Hintergrund der dunklen, wolkenverhangenen Stadt von Seattle fast bedrohlich.
Ich öffne die Beifahrertür und trete ins Freie, wohlwissend, dass ich mir diese Wohnung dort drinnen nicht leisten könnte, wenn sie nicht Teil meines Jobpakets wäre.
»Hier wirst du also leben?«, fragt Jamie, als uns der Portier die Tür zu dem Gebäude aufhält.
»Ja, verrückt, oder?« Ich sehe mich um. Die Lobby ist mit ihren glatten, eleganten Linien und den modernen Möbeln wunderschön. Sie wirkt wie ein Teil eines Filmsets. »Dem CEO von IMG gehört diese Immobilie, wo die meisten seiner Angestellten untergebracht sind. Er besitzt auch noch ein weiteres Gebäude den Block runter, in dem sich die Büros und die Filmsets befinden.«
»Ich bin stolz auf dich. Du hast dich jahrelang abgerackert, um das hier zu erreichen.« Er umfasst meinen Oberarm, um mich beiseitezuziehen, als jemand an uns vorbeiläuft.
»Danke«, erwidere ich leise und sehe mich noch einmal ein wenig überwältigt in der Lobby um.
»Krieg nicht diesen Gesichtsausdruck. Das hier ist weder der Ort noch die Zeit, um in Tränen auszubrechen«, warnt er und ich versuche, mir ein Lächeln zu verbeißen. Jamie kann überhaupt nicht damit umgehen, wenn ich weine. Was ich zugegebenermaßen schon das ein oder andere Mal für mich genutzt habe, um ihn dazu zu bringen, sich meiner Meinung anzuschließen.
»Ich werde nicht flennen.« Als ich das Schild des Vermietungsbüros entdecke, packe ich seinen Arm und ziehe ihn zu mir. Die automatischen Türen öffnen sich und wir bleiben vor einem Empfangstresen stehen, hinter dem eine ältere Frau sitzt, die gerade telefoniert. Lächelnd hebt sie einen Finger, um mir zu signalisieren, dass sie gleich für uns Zeit hat. Ich erwidere ihre freundliche Geste.
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