Nur Herr Blotton – möge dieser Name der ewigen Verachtung aller Verehrer des Geheimnisvollen und Erhabenen anheimfallen – wir sagen, nur Herr Blotton unterfing sich, mit der Zweifelsucht und Sophistik gemeiner Seelen einen Erklärungsversuch geltend zu machen, der eben so schimpflich wie lächerlich war. Herr Blotton hatte nämlich, erfüllt von dem niedrigen Wunsche, den Glanz des unsterblichen Namens »Pickwick« zu besudeln, in Person eine Reise nach Cobham gemacht, und erlaubte sich nun nach seiner Rückkehr in einer Rede an den Klub die sarkastische Bemerkung, daß er den Mann, von dem der Stein gekauft wurde, gesprochen und daß dieser allerdings über das Alter des Steins keine Auskunft zu geben gewußt, wohl aber das Alter der Inschrift feierlich in Abrede gestellt hätte. Diese wäre nichts mehr und nichts minder als eine Arbeit, die er selbst in müßiger Stunde ausgeführt und die bloß » Bill Stump sein Grenzzeichen « bedeuten solle, wobei sich der gute Stump mehr an den Klang der Worte, als an die strengen Regeln der Orthographie gehalten hätte.
Der Pickwick-Klub nahm, wie sich von einem so erleuchteten Institut erwarten läßt, diese Erklärung mit der gebührenden Verachtung auf, schloß den übelwollenden und anmaßenden Herrn Blotton aus dem Klubverbande aus und stiftete Herrn Pickwick eine goldene Brille zum Beweise seines Vertrauens und zur Anerkennung für seine Verdienste. Herr Pickwick ließ sich dagegen malen und das Porträt – das er, wie wir nebenbei bemerken müssen, nicht zerstört zu sehen wünschte, wenn er einige Jahre älter geworden – im Versammlungszimmer aufhängen.
Herr Blotton war zwar ausgestoßen, aber nicht besiegt. Er schrieb gleichfalls eine Broschüre, widmete sie den siebzehn gelehrten Gesellschaften, wiederholte darin die bereits gemeldeten Angaben, und ließ nicht undeutlich merken, daß er die besagten siebzehn Korporationen für nichts mehr und nichts weniger als für eben so viele »Narrenverbände« halte. Dadurch wurde natürlich die gerechte Entrüstung dieser siebzehn Gesellschaften geweckt, und es erschienen mehrere neue Flugschriften. Die fremden gelehrten Gesellschaften korrespondierten mit den einheimischen! die einheimischen übersetzten die Flugschriften der fremden ins Englische, die Fremden die Flugschriften der einheimischen in alle nur erdenklichen Sprachen, und so begann der berühmte wissenschaftliche Streit, der in aller Welt unter dem Namen »Pickwickfehde« so berühmt geworden ist.
Der nichtswürdige Versuch, Herrn Pickwicks Ruhm zu schmälern, fiel indessen auf das Haupt seines boshaften Urhebers zurück. Die siebzehn gelehrten Gesellschaften erklärten den anmaßenden Blotton für einen unwissenden Ränkespinner und schickten fleißiger als je Abhandlungen in die Welt. Und bis auf diesen Tag ist der Stein ein unlesbares Denkmal von Herrn Pickwicks Größe und ein unvergängliches Siegeszeichen über die Kleinlichkeit seiner Feinde.
Dreizehntes Kapitel. Enthält einen bedeutungsvollen Vorfall, der sowohl in Herrn Pickwicks Leben, als in dessen Geschichte Epoche macht.
Herrn Pickwicks Zimmer in der Goßwellstraße, obschon von beschränktem Räume, gewährte doch eine sehr nette, bequeme und für einen Mann von seinem Genie und Beobachtungsgeist ganz besonders geeignete Wohnung. Sein Arbeitszimmer befand sich im ersten Stock, sein Schlafzimmer im zweiten, und beide lagen nach vorn hinaus, so daß Herr Pickwick, sowohl von seinem Schreibtisch im Wohnzimmer, als von seinem Ankleidespiegel im Schlafgemach aus gute Gelegenheit hatte, die menschliche Natur in allen ihren unzähligen Phasen an einem Platze zu beobachten, der ihm fortwährend ein buntes Volksleben vor die Augen führte. Seine Hauswirtin, Frau Bardell, die trostlose Hinterbliebene eines Zolleinnehmers, war eine resolute Frau von lebhaftem Temperament und angenehmem Äußern. Dabei war sie mit einem natürlichen Kochgenie begabt, das sie durch Studium und langjährige Praxis bis zu einer außerordentlichen Höhe ausgebildet hatte. In ihrem Hause gab es weder Kinder, noch Dienstboten, noch Federvieh. Seine einzigen Insassen waren, außer Herrn Pickwick, ein großer Mann und ein kleiner Knabe, der erstere ein Untermieter, der zweite ein Sprößling der Frau Bardell. Der große Mann war immer abends Punkt zehn Uhr zu Hause und pferchte sich zu dieser Stunde regelmäßig in die Grenzen einer zwerghaften französischen Bettstelle im hintern Zimmer zusammen. Die kindischen Spiele und gymnastischen Übungen des jungen Herrn Bardell aber waren ausschließlich auf die Plätze vor den Türen der Nachbarn und die Rinnsteine vor dem Hause beschränkt. Reinlichkeit und Stille herrschten in dem Bau, darinnen Herrn Pickwicks Wille als Gesetz galt.
Jedermann, der den geschilderten häuslichen Zustand und die bewundernswürdige Selbstbeherrschung Herrn Pickwicks gekannt hätte, würde sein Benehmen an dem Morgen vor dem zur Reise nach Eatanswill bestimmten Tage höchst mysteriös und sonderbar gefunden haben. Er ging mit raschen Schritten in seinem Zimmer auf und ab, schaute alle drei Minuten einmal unruhig zum Fenster hinaus, sah fortwährend nach der Uhr, und ließ noch viele andere, bei ihm selten vorkommende Zeichen von Ungeduld wahrnehmen. Offenbar lag ihm etwas sehr Wichtiges im Sinne, doch was dieses Etwas sein möchte, vermochte selbst Frau Bardell nicht zn ergründen.
»Frau Bardell«, hob Herr Pickwick endlich an, als diese liebenswürdige Frau endlich mit ihrem ausdauernden Staubabwischen fast zu Ende gekommen war.
»Sir«, sagte Frau Bardell.
»Ihr kleiner Knabe bleibt sehr lange aus.«
»Ei, es ist aber auch ein ziemlich weiter Weg nach dem Borough, Sir«, entgegnete Frau Bardell.
»Da haben Sie freilich recht«, versetzte Herr Pickwick, versank abermals in Stillschweigen, und Frau Bardell fuhr mit dem Staubabwischen fort.
»Frau Bardell«, begann Herr Pickwick nach einigen Minuten von neuem.
»Sir«, sagte Frau Bardell, wie zuvor.
»Glauben Sie wohl, daß es bedeutend mehr kostet, zwei Personen zu unterhalten, als eine einzige?« fragte Herr Pickwick.
»Mein Gott, Herr Pickwick«, rief Frau Bardell aus, bis an den Rand ihrer Haube errötend, weil sie in den Augen ihres Mietsherrn ein heiratslustiges Blinzeln zu bemerken glaubte; »mein Gott, Herr Pickwick, was ist das für eine Frage?«
»Glauben Sie es wirklich?« fragte Herr Pickwick weiter.
»Tja, Herr Pickwick«, erwiderte Frau Bardell, mit ihrem Staubbesen seine auf dem Tische ruhenden Ellenbogen fast berührend, »das kommt ganz darauf an, ob es eine haushälterische und verständige Person ist, Sir.«
»Da haben Sie recht«, versetzte Herr Pickwick; »doch ich denke, daß die Person, die ich im Auge habe (bei diesen Worten fixierte er Frau Bardell sehr scharf) jene Eigenschaften, und noch überdies eine beträchtliche Weltkenntnis und viel Klugheit besitzt, Frau Bardell, was mir wesentliche Vorteile bringen dürfte.«
»Ach du mein Himmel, Herr Pickwick!« rief Frau Bardell aus, und errötete abermals bis an den Rand ihrer Haube.
»Ich bin wirklich davon überzeugt«, sagte Herr Pickwick, lebhafter werdend, wie es gewöhnlich bei ihm der Fall war, wenn er von einem ihn interessierenden Gegenstande sprach; »ich bin wirklich davon überzeugt, und um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Frau Bardell, ich habe bereits meinen festen Entschluß gefaßt.«
»Ach, du meine Güte, Sir!« rief Frau Bardell.
»Sie werden es allerdings auffallend finden«, fuhr der liebenswürdige Herr Pickwick fort, indem er dabei seine Hausgenossin mit freundlichem Lächeln anblickte, »daß ich Sie über diese Angelegenheit gar nicht zu Rate gezogen, und nicht eher etwas davon erwähnt habe, als in dieser Stunde, wo ich Ihren kleinen Knaben ausgeschickt – hihi, was sagen Sie?«
Frau Bardell konnte nur durch einen Blick antworten. Sie hatte Herrn Pickwick längst im stillen verehrt, und jetzt sah sie sich mit einem Male auf den Gipfel eines Glücks gehoben, das sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorgestellt hatte. Herr Pickwick stand im Begriff, ihr einen Antrag zu machen – ein überlegter Plan! –, ja, nur deshalb hatte er ihren Knaben fortgeschickt – wie herrlich war das ausgedacht, und wie klug ausgeführt!
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