KATHARINA TIWALD
MACBETH MELANIA
ROMAN
Macbeth für Einsteiger
Macbeth, ein Gefolgsmann des schottischen Königs Duncan, kehrt von einer Schlacht heim, in der er sich hervorgetan hat, wie sich Gefolgsmänner so hervortun; unter anderem wurde ein Verräter, der Thane (eine Art Fürst) von Cawdor, beiseitegeräumt.
Bevor Macbeth bei Duncan vorsprechen kann, stellen sich ihm drei Hexen in den Weg und weissagen, dass er nicht nur der nächste Thane von Cawdor werde, sondern irgendwann einmal auch König von Schottland. Und siehe da: Die erste Beförderung wird gleich von Duncan vorgenommen und bei Macbeths zuhause in der Gegenwart des Chefs gefeiert. Lady Macbeth meint, dass die Karriereleiter auch schneller erklommen werden könne – schließlich hatten die Hexen im ersten Fall ja recht! –, und stiftet ihren Mann zum Mord an Duncan an.
Tatsächlich wird der Mörder Macbeth König von Schottland, unter anderem deshalb, weil er sein Verbrechen den eigentlichen Thronfolgern anhängen kann, Duncans Söhnen, die im Exil ihre Rache plotten. Unterdessen herrscht Terror in Schottland. Nicht nur mutmaßliche Feinde müssen beseitigt werden, sondern auch die Frauen und Kinder der geflohenen Getreuen.
Noch einmal tauchen die Hexen auf und sagen voraus, dass niemand Macbeth werde besiegen können … wenn nicht der Wald von Birnam sich dem Schloss nähere. Ha, denkt Macbeth und wiegt sich in Sicherheit. Wie soll sich ein Wald einem Schloss nähern?
Indem die Gegner die Bäume fällen und als Deckung benutzen. Lady Macbeth ist inzwischen durchgedreht, schrubbt imaginäre Blutflecken aus ihren Gewändern und bringt sich schließlich um. Und der Wald – der kommt näher.
Am Ende ist Malcolm, Duncans Sohn, der rechtmäßige König von Schottland. Er lädt alle Anwesenden zu seiner Krönung ein:
» So thanks to all at once and to each one ,
Whom we invite to see us crown’d at Scone.«
Gerade durchleben wir eine dunkle Periode, aber das Buch wird zurückkommen .
Hélène Cixous
Interview in der ZEIT
8. August 2019
Für meine Familien, die Herren Urbanek und Mitterlehner und für Patrik ohne C
Das Universum war ein kalter, zugiger Schuppen, und eine Mischung aus Joker und Clown herrschte über die USA.
Vorbemerkung und Disclaimer:
Obwohl es in unserer Zeit sogar vorkommt, dass Menschen Operationen an ihrem Gesicht nach der Vorlage eines gepimpten Instagrambilds machen lassen, sollte klar sein, dass in einem fiktiven Werk sogar jene Personen, die tatsächlich leben, in einen nicht-wahren, ausgedachten, aus vielleicht wirklichen Begebenheiten gewobenen, aber letztendlich eben fiktiven Kontext gesetzt werden. Ergo haben die Personen, die uns im fiktiven Werk so wirklich scheinen, so bekannt vorkommen, keine Entsprechung im wirklichen Leben, trotz Namensgleichheit. Alles klar?
I WIEN, NUR DU ALLEIN
II DIE IDEE
III CASTING IDEALER HEXEN
IV IN EINEM GARTEN, BEI EINER PARTY
V WIEN IST SCHÖN
VI WAS IHNEN ZUSTEHT
VII FLASHLIGHTS
VIII THE MURTHERERS
IX DER WILL JA NUR SPIELEN
X FLAK
XI EINE MELANGE HEBEN
XII GIGI
XIII THE SHIT HITS THE FAN
XIV EIN NEUES KAPITEL
XV KLEINE KEKSE BACKEN
XVI +
XVII SLOVENIJA
XVIII WHITE HOUSE SLIPPERS
XIX MIKES MONOLOGE
XX ZUM SCHIESSEN
XXI EINSPRUCH
XXII PREMIERE
XXIII UND DANN
IN SEINEM KÖRPER VEREINTE Michael Knutkovsky das alte Ostpreußen, aus dem die Weltgeschichte und somit mehrere irre Männer inzwischen Kaliningrad gemacht hatten, und Wiener Blut, das auch einmal einen Stammbaum gehabt hatte und in einer Vorzeit, die noch nicht besonders grau war, dem Führer nach Berlin gefolgt war. Knutkovsky hätte gerade dort, in Berlin, dem buntesten Hund Europas, selbstverständlich auch das »von« im Namen führen können, verzichtete aber darauf und ließ sich »Mike« nennen; er fand, dass das würdige Tragen von Polohemden mit Krokodilchen drauf und der ab und zu notwendige Griff zur Krawatte genügten, obwohl die Welt ja immer lockerer wurde und Mike mit ihr. Dass er wusste, wann Hemd und Krawatte angesagt waren und wann man sich erlauben konnte, offenen Kragen zu tragen, wann Polo: das war sein Adel. Und obwohl er in einer Branche arbeitete, in der die Krokodile nicht nur nett am Leibchen hingen, machte er meistens sein Wahlkreuz bei der SPD, ganz wider jegliche Küchensoziologie.
So. Und dann war ihm das passiert.
Er war (zumindest seinem Gefühl nach) aus Deutschland rausgeschmissen worden, nachdem sich eine gewisse Simone, die einen leichten Unterbiss – an Keira Knightley hatte sie ihn erinnert, aber so schön war selbst die nicht, bei genauerer Betrachtung –, nachdem sich also Praktikantin Simone – so viel Schneid hätte er sich gewünscht mit Anfang zwanzig – bei der Geschäftsleitung eines marktführenden Businessberatungskonzerns über seine, Mikes, »Übergriffe« beschwert hatte: Seitdem hingen die Worte »Unterbiss« und »Übergriff« in seinem Kopf zusammen wie in der Hölle Pech und Schwefel. Dabei hatte er diese Simone hofiert, sanft mit ihr geschäkert, ihr die Türen aufgehalten, sie zum Essen eingeladen und schließlich ins Kino, wo er sich daran erinnert hatte, dass er keine fünfzehn mehr war und Simone nicht vierzig; er hatte ihre hinter der Popcorntüte höflich verborgene Langeweile gespürt (warum schleppt man auch eine Fünfundzwanzigjährige mit Bachelor in Gender Studies und Politikwissenschaft in ein Superhelden-Abenteuer?) Es war ihm nichts anderes übrig geblieben, als die Peinlichkeit mit einem aktiveren Vorstoß in zwischenmenschliche Gefilde zu übertünchen, er wollte ja nicht als Loser dastehen, und dann hatte er den Salat gehabt. »Knutschkovsky« hatten sie ihn genannt, überall in Deutschland, wo er Fuß zu fassen versuchte. Die Branche kannte ihn, leider.
»Knutschkovsky, sei mir nicht böse, aber die Sache hat zu viel Staub aufgewirbelt. In einem Jahr vielleicht …«
Jetzt war er eben in Wien, wo deutsche Zeitungen nicht einmal online gelesen wurden; Tante Betti, eine Tochter der einzigen Person aus dem Clan, die während der Hitlerei standhaft geblieben (und aus Mauthausen zurückgekommen) war, hatte hilflos die Hände gehoben, gesagt, dass sie die jungen Frauen auch nicht mehr verstehe, und ihm einen Job bei der SPÖ vermittelt.
Als er das Universum aufsperrte, stieg ihm wie immer der Geruch in die Nase, der aus dem letzten Jahrhundert aufzusteigen schien, eine Mischung aus Altmetall, Staub und – natürlich – Kapuzinergruft. Was klar war: Das ist nun mal der Duft einer ehemaligen Eisenwarenhandlung, die das Inhaberpärchen (InhaberInnenpärchen) bei der Pensionierung mulmig in die Zukunft, ins aktuelle Jahrtausend entlassen hat. Wissend, dass der Einzelhandel keine Chance mehr hat. Dass große, alte Verkaufslokale in Erdgeschoßen dazu verdammt sind, Sportwettlokale zu werden oder zu verrotten. Nicht mit mir, hatte die Bezirksvorsteherin gesagt und einem in Österreich noch nicht abgehalfterten Communication expert aus Deutschland den Raum als zu gestaltenden Theaterraum angeboten/umgehängt; »a bissl a Förderung«, hatte sie gesagt, werde sie schon aufstellen … sie war eine Du-Freundin von Tante Betti. Immerhin war Mike Knutkovsky dezidiert zur Imagepflege der großen Mutterpartei angeheuert worden und konnte selbiges auch auf Bezirksebene tun – »Sichtbarkeit, Mike! Sichtbarkeit! Auch für die kleinen Leut!«, der Partei gehörte selbstredend die Bezirksvorsteherin an, und so griff eine gepflegte Hand in die andere. Zuhause notierte er sich derart erschöpft, dass er nicht einmal die Lust auf ein Bier hinbekam, diesen unreinen Reim in ein bis auf Doodles völlig leeres Notizbuch: Sichtbarkeit. Auch für die kleinen Leut .
Читать дальше