Das ist der Plan. Erstens wegen des nicht verleugenbaren … nicht leugbaren … wegen des nicht zu verleugnenden … Also wegen des Witz-Faktors, des zweifelsfrei vorhandenen. Zweitens mangels Alternativen. Alle anderen sind auf Wegcation. (Vacation – WEGcation – check? My English is really the yellow from the egg!)
Ich stopfe Wasserflasche, Schirmkappe, Sonnenbrille, den winzigen Rest Taschengeld und das Ferienbuch in meinen Rucksack. Schreibe Mama eine kurze Nachricht, schwinge mich aufs Rad und sause los.
Bis zur Kreuzung.
Dort drehe ich um und bringe das Rad zurück in die Garage.
Ich bin auf Staycation. Kein Mensch macht Sightseeing mit Fahrrad, hier, in einer hügeligen Mini-Stadt mit Kopfsteinpflaster.
I’m a tourist, baby, so why don’t you kill me
Wohin führt der erste Weg jeder anständigen Touristin? – Richtig: Zum Gratis-Klo im nächsten Fastfood-Schuppen. Fastfood haben wir keines und die 50 Cent für die öffentliche Toilette spar ich mir lieber (Rechenbeispiel: 2 Mal nicht aufs Klo gegangen = 1 Kugel Pistazie beim Esistsommerundplötzlichstehichhierherum-Eiswagerl). Also fange ich bei Station Numero zwei jeder anständigen Touristin an: Der Touristeninformation. Die haben wir zwar auch nicht, aber wozu gibt’s denn das Bürger-Service-Center im Gemeindeamt? – Eben.
Ich hole meine Sonnenbrille aus dem Rucksack und schiebe sie mir in die Frisur. Touristinnen haben immer Sonnenbrillen auf. Quasi ungeschriebenes Gesetz des Sommerurlaubs.
Im Gemeindeamt ist es angenehm kühl. Gleich über der trockengelben Stechpalme beim Eingang hängt ein riesiger Schaukasten. Fahrpläne für Bus, Zug und Müllabfuhr, Grünschnitt-Ablieferungszeiten, Öffnungszeiten des Altstoffsammelzentrums … Nichts von Interesse für eine Touristin, die gerade all ihre Sorgen für eine Woche in ihr verlassenes Schlafzimmer gesperrt hat.
Schräg gegenüber ist das Glasfenster für den Parteienverkehr. Zwei Schreibtische sind zu sehen. Einer hinten an der Wand, wo die mittelalterliche Sekretärin des Bürgermeisters mit lackierten Fingernägeln in die Tastatur hämmert. Als ich sehe, wer am zweiten Schreibtisch sitzt, eingedeckt mit Ordnern, Trennblättern und Klarsichtfolien, würde ich am liebsten den Rückwärtsgang einlegen, bevor mich irgendjemand außer der Überwachungskamera an der Decke entdeckt hat. Aber da hebt Theresa schon den Kopf. WIE VIEL Glück kann EIN Mensch haben? Da will man Urlaub spielen – und wer spielt Touristen-Info? Aus-gerech-net die stilbewussteste Dame der Schule (um das Wort „Obertussi“ elegant zu umschiffen).
„Hi!“, zwitschert Theresa. „Wie kann ich dir helfen?“
Das frage ich mich auch.
„Ist das dein Ferialjob?“ – Ein lahmer Versuch, Zeit zu gewinnen. „Korrekt“, strahlt Theresa. „Und was führt dich hierher?“
Okay. Ich brauche eine neue Strategie. ‚Ich bin auf Urlaub hier und möchte mich gerne über Ihre Angebote informieren‘ scheint mir ir-gend-wie nicht mehr der richtige Einstieg zu sein, angesichts der Personallage hier.
„Ich wollte mich gerne informieren“, zäume ich das Pferd vorsichtig von hinten auf. „Haben wir Angebote für Touristen?“
„Aber selbstverständlich“, nickt Theresa.
Aha. Der muss man aber auch wirklich alles aus der Nase ziehen. Wahrscheinlich kriegt sie pro Satz im Ich-helfe-einer-Kundin-Dialog bezahlt.
„Gibt es dazu vielleicht auch Unterlagen, die man jemandem geben könnte, der hierher auf Urlaub fahren möchte?“
„Natürlich“, lächelt Theresa.
Meine Fresse.
„Dann würde ich diese Unterlagen liebend gerne mitnehmen, wenn es dir keine zu großen Umstände macht.“ Hinter meinem liebenswürdigsten Zahnpastalächeln knirschen die Zähne, dass es meinem Zahnarzt im Herzen wehtun würde.
„Das dürfte dir schwerfallen“, grinst Theresa schadenfroh. „Dann müsstest du nämlich die gesamte Vitrine dort in deinen Rucksack packen.“
Ich drehe mich um und schaue in die Richtung, in die ihr perfekt manikürter falscher Fingernagel zeigt. Tatsächlich. Gleich neben dem Schalter hängt eine weitere Vitrine. Gemeindewappen, Übersicht der Wanderwege, Fotos lachender Kinder und kauender Kühe. „Touristeninformation“ steht in großen grünen Buchstaben darüber.
„Vielen Dank“, murmle ich und drehe mich schnell um, während ich schon spüre, wie mir die Farbe ins Gesicht schießt.
„Jederzeit gerne“, sagt Theresa liebenswürdig. „Dafür sind wir schließlich da.“
HERZLICH WILLKOMMEN!
Lassen Sie die Seele baumeln in einer der schönsten
Gemeinden der Region.
UNSERE ATTRAKTIONEN
Heimatmuseum (Mi 10.00 – 12.30 Uhr)
Kirchturm-Besteigung (Mi u. Fr 9.00 – 12.00 Uhr)
FÜR NATURLIEBHABER
Nutzen Sie unser großzügiges Netz an Waldwegen und
entspannen Sie am nahe gelegenen Baggersee.
Aha. Ich meine: A-HAAA. Und ich hab mich immer gefragt, warum bei uns nie Touristen sind. Aber: Zeit zum Trübsalblasen ist immer noch genug, wenn das Baby da ist und ich abgeschrieben bin. Jetzt wird erst mal Urlaub gemacht. Offensichtlich gibt es keinen besseren Tag dafür als Mittwoch Vormittag … Lucky me! Auf geht’s.
Fünfzehn Uhr zwölf – und ich bin fertig. Mit dem GESAMTEN Programm. Ich gehe ein zweites Mal NICHT aufs Klo und kaufe mir stattdessen eine Kugel Pistazieneis. Diese kleine grüne Insel der Glückseligkeit finde ich in Wirklichkeit die wahre Attraktion hier im Ort. Aber mich fragt ja niemand.
Noch einmal ein Blick auf meine Karte: Tatsächlich. Das war alles, was diese Stadt an Staycation zu bieten hat. Bleibt nur noch der See. Den hebe ich mir aber für morgen auf. Dort muss ich dann irgendein Plätzchen finden, wo ich sonst nie bin. Sonst ist es ja wieder wie immer. Ganz hinten bei den großen Kastanien zum Beispiel, bei den dunkelbraunen Raucher-Pensionisten, die sich von April bis September rund um ihre Kühltaschen scharen. (Memo von Nono an Nono: Vor dem Handtuchausbreiten unbedingt die Windrichtung prüfen, um eine Mitraucherlunge zu vermeiden.)
Ganz schön kompliziert, so eine Staycation, wenn man in der Provinz wohnt und es kein Kino gibt und man kein Auto hat (und man per Gesetz noch nicht einmal ein Auto ausborgen darf).
Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Ur-laubs-zeit … Ich bin im Paradies!
Wen ich mit auf eine einsame Insel nehmen würde? – DICH, meine herzallerliebste Nono. Das steht ganz außer Frage.
Mit wem ich am liebsten meine aufblasbare Schwimminsel hier in Floridas Fluten teilen würde? – Mit dem namenlosen Rettungsschwimmer am Turm direkt neben mir! Ein knuspriges Cornetto, direkt zum Anbeißen. Werde mich morgen in Seenot begeben.
Hdgdl! Verli
Auf in den urlaub!
Plusseite: 5 Wochen schweden. 5 wochen campingbus.
Minusseite: 5 wochen eltern. 5 wochen nudeln.
5 wochen no wlan – bis denne!
Alle fahren weg – ich hab Langeweile.
Keiner hat mehr Bock auf Chillen, Baden, Grillen.
So ist das hier am Land tagein, tagaus.
Statt U-Bahn: Mopeds und Vergaser, es geht
Peng! Peng! Peng! Peng!
(Gönn dir: Beat von „Kids“, Materia. Lyrics: Staycation-Wonder-Woman)
Ich muss den letzten Teil meines Staycation-Programms so richtig auskosten, Moment für Moment, so wie man den letzten Urlaubstag genießt, in dem Wissen, dass das nächste Mal Salz-auf-der-Haut mindestens elf Monate in der Zukunft liegt. (Außer man ist in der OBERstufe und fährt zur Meeresbiologischen Woche und nach Irland und … YEAH!)
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