Ich lehnte mich im Untersuchungsstuhl zurück. Nicht, weil sie mich niederdrückten, sondern weil es mir zu egal war, um noch zu widersprechen. Tatsache war nun mal Tatsache. Ich konnte es spüren, zusammen mit der seltsamen Apathie, die den Platz dessen einnahm, was mir nun fehlte. Ein essentieller Teil von mir.
Der Hive hatte mein Biest geraubt.
Das, was mich zu dem machte, wer und was ich war. Ein Kampflord, ein Biest unter Männern, furchterregend auf dem Schlachtfeld. Mächtig genug, um jedes Hindernis zu bewältigen, eine Frau zu behüten, um des Titels Kampflord würdig zu sein. Und nun empfand ich rein gar nichts, obwohl ich doch Rage empfinden sollte. Ich hätte mich verwandeln sollen. Wachsen. Zum Biest werden. Die Krankenstation in Trümmer legen.
Aber nein. Ich war taub. Kalt. Tot. Das war meine neue Existenz. Als ich Rachel ansah, sah ich keine wunderschöne Frau. Nicht mehr. Es war, als hätten sie mir mit dem Biest alles genommen, was mich lebendig fühlen ließ. Ich konnte nun auf die sanften Rundungen ihrer Brüste blicken, die zarte Haut auf ihrem Gesicht, und...nichts empfinden. Nicht einmal Neid auf die beiden Prillon-Krieger, die ihr den kupferfarbenen Kragen um den Hals gelegt und sie zu ihrem Eigentum gemacht hatten.
Der Arzt wandte sich von uns ab, und seine dunkelgrüne Uniform spannte sich um seine breiten Schultern. Er war ebenfalls Prillon-Krieger, gefährtenlos und alleine, so wie die meisten Bewohner der Kolonie. Ein paar Bräute waren inzwischen auf der Kolonie eingetroffen, und über die letzten paar Monate hinweg hatte ich zugesehen, wie in Rachels und Kristins Bauch ein Kind herangewachsen war. Hatte das Glück und die Zufriedenheit auf den Gesichtern meiner Kampfbrüder gesehen.
Mit der Ankunft der Bräute hatte ich gedacht, dass vielleicht auch mein Leben anders werden könnte. Da ich nicht länger ein Krieger unter den Sternen sein konnte, konnte ich doch ein Gefährte sein. Aber ich irrte mich. Der Hive hatte mir nun auch noch diese Hoffnung genommen.
Der Arzt wandte sich an Maxim, und ihre Blicke trafen sich. Ein kurzes Nicken des Gouverneurs war meine einzige Warnung, bevor dicke, schwere, Schellen aus dem Tisch hervortraten und mich an Ort und Stelle festmachten. Nicht nur um die Fuß- und Handgelenke, sondern sie legten sich auch um meine Taille und meine Schenkel. Und die ganze Zeit über hielten Maxim und Ryston mich weiter fest. Sie gingen kein Risiko ein. Wäre mein Biest zur Stelle gewesen, um in Aufruhr zu versetzen, hätte mich selbst das nicht aufgehalten. Aber in diesem Fall waren die beiden Prillon-Krieger mehr als stark genug, um mich in Schach zu halten.
„Was zur Hölle machen Sie da, Doktor?“ Ich blickte zu Rachel, die sich auf die Lippe biss und besorgt dreinschaute. „Was zur Hölle stellen Sie mit mir an? Reden Sie mit mir, sofort.“
Rachel trat einen Schritt näher heran und stand am Fuß des Untersuchungsstuhls. Sie blickte mir in die Augen, während die Krieger dies vermieden. Das würde ich ihnen später weder vergessen, noch verzeihen.
„Hör zu, Rezz, es gibt nur noch eine Sache, die wir noch nicht versucht haben. Eine Sache, von der wir denken, dass sie funktionieren könnte, dein Biest zurückzuholen und dich zu heilen.“
Ich blinzelte langsam. Nicht auch nur ein Funke Hoffnung erwachte durch ihre Worte zum Leben. Ich war jenseits der Hoffnung. Wir spielten dieses Spielchen schon seit Wochen. Injektionen. Tests. Gespräche mit der Koalitionsflotte und ihrem Geheimdienst. Sogar Unterhaltungen mit Ärzten auf Atlan. Noch niemand hatte dies je erlebt. Ich war der erste Fall, und der einzige. Ich starrte auf die Gefährtin von Maxim und Ryston, auf ihren flehenden Blick, und spürte ein kaltes Bangen meine Wirbelsäule entlang kriechen. „Was machst du mit mir?“
Rachel legte mir eine Hand aufs Bein, aber Maxims wütendes Fauchen ließ sie sofort wieder zurückschrecken. Bevor mir der Hive die Seele geraubt hatte, hätte ich die Geste zu schätzen gewusst, wäre sogar amüsiert gewesen über Maxims Beschützerinstinkt. Nun empfand ich gar nichts. Ohne das Biest in mir fühlte ich mich leer. Hohl.
Der Arzt drückte auf ein paar Knöpfe, änderte ein paar Einstellungen an seinem Schaltpult an der gegenüberliegenden Wand. Ich wusste nicht, was zum Teufel er vorhatte. Ich war kein Arzt. Ich war ein Kampflord. Ich jagte Hive. Ich tötete Hive. Ich beschützte. Ich geriet in Zorn. Das waren meine Aufgaben. Das war es, was ich kannte. Als er sich also wieder zu Rachel gesellte, mit einem leichten Schweißfilm auf der Stirn, wusste ich: was immer er mir zu sagen hatte, war nicht gut. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich sogar angenommen, dass der Doktor Angst davor hatte, wie ich reagieren würde.
Der Doktor nickte diesmal Ryston zu, und ehe ich mich versah, hatte Ryston etwas an meinem Kopf angebracht. Etwas, das ich nicht wollte.
Ich blickte dem Arzt in die Augen. Er hielt meinem Blick stand, weigerte sich, sich abzuwenden oder zurückzuweichen. „Tests für das Interstellare Bräute-Programm. Es ist das einzige, was wir noch nicht versucht haben, Rezz.“
Rachel trat vor, machte nach einem kurzen Blick zu Maxim jedoch schnell wieder einen Schritt zurück. Der Blick, den sie ihm zuwarf, war ihre Entschuldigung dafür, vergessen zu haben, dass er es nicht wollte, wenn sie mich berührte. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Ich war defekt. Keine Frau sollte mich anfassen wollen. Genau das machte dies zu einer so lächerlichen Idee. Rachel räusperte sich und verschränkte die Arme. Versuchte, hartnäckig dreinzublicken. „Dein Biest ist stark, Rezz. Du musst es nur wieder aufwecken. Es wiederbeleben. Dein Biest wird wieder zum Leben erwachen, wenn deine Gefährtin eintrifft. Es wird kommen. Es wird für sie kommen. Er wird durchbrechen, was immer der Hive mit dir angestellt hat.“
Sie schien ihre Worte zu glauben, aber sie hatte keine Beweise. Keinen Grund, das zu sagen, außer, mir ein gutes Gefühl zu geben. Diese Art von Zuversicht war schmerzhaft. Ich verspürte Scham, aber zumindest fühlte ich irgendetwas. Ich schloss die Augen, um meine Reaktion vor ihr zu verbergen.
Sie wollte, dass ich eine Gefährtin bekam.
Nein. Ich war nicht länger würdig.
Ich konnte nicht zum Biest werden. Ich konnte eine Frau nicht ordentlich in Besitz nehmen, wie ein wahrer Atlane. „Eine Frau für mich herbeizubeschwören ist nicht akzeptabel. Ihr könnt mir die Tests aufzwingen, da ihr mich in der Mangel habt.“ Ich sah mit finsterem Blick zu Ryston und Maxim hoch. „Aber ich werde die Zuordnung ablehnen.“
„Sie werden es ablehnen, Ihre Gefährtin zu akzeptieren?“, fragte der Arzt.
Ich knirschte mit den Zähnen und öffnete die Augen, damit er sehen konnte, wie die Wut sich in mir zusammenbraute, die Wut, die ich nicht ausdrücken konnte, die Wut eines Atlanen, dem alles genommen worden war, das ihn ausmachte. „Ich lehne die Zuweisung ab. Seht mich doch an. Ich bin keiner Frau würdig. Ich kann sie nicht beschützen. Ich kann sie nicht in Besitz nehmen. Es wäre falsch.“
„Sie würden lieber sterben?“, fragte er. „Denn in diesem Moment ist Ihre einzige Alternative eine Exekution. Außer, Sie wollen, dass ich Sie an den Geheimdienst überstelle und deren Wissenschaftler an Ihnen rumexperimentieren lasse. Sie können nicht zurück nach Atlan. Sie können nicht zurück in den Kampf. Und wir können Ihnen nicht gestatten, zu bleiben—“
„In diesem Zustand“, führte ich zu Ende, und meine Seele verkümmerte, wurde schwarz, als mit jedem Wort mein hoffnungsloses Gefühl wuchs. „Denken Sie, ich weiß nicht, was meine Optionen sind?“, fragte ich. „Ich bin nicht dazu geeignet, ein Gefährte zu sein. Ich bin nicht dazu geeignet, in der Flotte zu dienen. Ein Gnadenschuss wäre das Richtige für mich. Schickt mich in die Sicherheitszellen auf Atlan und bringt die Sache zu Ende.“
Читать дальше