Eliot Weinberger
Herausgegeben von Beatrice Faßbender
Aus dem Englischen von
Beatrice Faßbender, Eike Schönfeld
und Peter Torberg
Ratschläge für Washington aus dem Alten China
Bushs Amerika
Staatsstreich ohne Blutvergießen
Wo ist der Westen?
Die Republikaner: ein Prosagedicht
Was ich hörte vom Irak
Trumps Amerika
Wen sie hätten nehmen können …
Wer alles nicht für Trump stimmen wird
Zehn typische Tage in Trumps Amerika
Ein Sommer in Amerika
Das amerikanische Virus: zwei Wochen im Mai
Ratschläge für Washington aus dem Alten China
Im zweiten Jahrhundert v. Chr. bat Liu An, der König von Huainan, die Gelehrten an seinem Hof, ein Buch zu erstellen, das alles umreiße, was ein weiser Monarch über Staatskunst, Philosophie und allgemeine Welterkenntnis wissen sollte. Das Ergebnis war das gewaltige Huainanzi, das in englischer Übersetzung neunhundert Seiten umfasst. Hier sind einige Auszüge:
Weist ein Herrscher jene ab, die dem Gemeinwohl dienen, und setzt Menschen nach Freundschaft und Parteiungen ein, dann werden solche von bizarrer Begabung und frivoler Fertigkeit unangemessen befördert, während gewissenhafte Beamte behindert werden und nicht vorankommen. Auf diese Weise werden im ganzen Staat die Sitten der Menschen in Unordnung geraten, und fähige Beamte werden sich mühen.
Ignoriert der Herrscher, was er bewahren sollte, und streitet er mit seinen Ministern und Untergebenen über die Führung der Geschäfte, dann werden jene, die öffentliche Ämter bekleiden, sich darein vertiefen, ihre Stellung zu behalten, und werden jene, die mit öffentlichen Pflichten betraut sind, ihrer Entlassung entgehen, indem sie den Launen des Herrschers Folge leisten. Dies wird fähige Minister dazu veranlassen, ihre Weisheit zu verbergen.
Ist der Herrscher häufig davon erschöpft, dass er sich niederen Pflichten widmet, wird das Wohlverhalten im ganzen Staat verfallen. Sein Wissen allein wird zum Regieren nicht ausreichen, und ihm wird fehlen, was es für den Umgang mit der Welt braucht.
Biedern sich jene, welche die Zügel der Regierung in Händen halten, ihren Vorgesetzten an und begehen Fehler, so wird es keine Möglichkeit geben, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Werden jene, die Verbrechen begehen, nicht bestraft, geraten die zahlreichen Beamten in Aufruhr und Unordnung, und Weisheit wird die Situation nicht lösen können. Grundlose Verleumdungen und nicht gerechtfertigtes Lob sprudeln hervor, und Erleuchtung wird die Situation nicht klären können.
Haben die Menschen nicht einmal ausgehöhlte Grotten oder Hütten aus Flechtwerk als Obdach, erfreut sich ein erleuchteter Herrscher nicht an hohen Terrassen und mehrgeschossigen Pavillons, verbundenen Kammern und prächtigen Räumen.
Der Herrscher sollte Schwierigkeiten erwägen, bevor sie auftreten, sich gegen Unheil wappnen, bevor es eintrifft, sich vor Verfehlungen hüten, auf Kleinigkeiten achtgeben und Gelüsten nicht freien Lauf lassen. Er sollte aufrecht sein und unbeirrbar, rein und unverdorben, bewandert sowohl in zivilen als auch in militärischen Dingen. Er sollte sich gebührlich verhalten. Bei Beförderungen und Degradierungen sollte er tun, was angemessen ist. Er sollte in der Stille leben und ausgeglichen sein.
Eines Herrschers Worte sollten nicht unbedacht gesprochen werden; seine Taten sollten nicht unbedacht ausgeführt werden. Er sollte bestimmen, was gut ist, und erst dann tätig werden.
Was dem Volk untersagt ist, darf der Herrscher selbst nicht praktizieren. Gebraucht ein Herrscher Verderbtheit zur Manipulation der Gesellschaft, wird er fraglos scheitern.
Ein Staat wird erhalten von Menschlichkeit und Rechtmäßigkeit. Mangelt es einem Staat an Rechtmäßigkeit, wird er, mag er auch groß sein, fraglos zugrunde gehen.
In einer Zeit des Niedergangs reißen die Oberen gern die Macht an sich und kennen keine Grenzen. Beamte verringern Belohnungen und erhöhen Strafen. Die Menschen mühen sich wütend ab, und Affären laugen sie aus, ohne irgendetwas zu erreichen.
Sind die Oberen unruhig und gereizt, sind die Unteren verunsichert.
In Hinblick auf das Gesetz ist der Herrscher in seinen Vorlieben und Abneigungen unbefangen. Er versucht nicht, das Hässliche zu beschönigen oder das Falsche gutzumachen.
Ist das eigene Geschick der Aufgabe dienlich, wird es nicht schwer sein, sie zu vollenden. Sind jene dienlich, welche der Herrscher einsetzt, wird das Land geordnet sein.
Ist der Herrscher lauter und aufrichtig, werden ehrliche Beamte ihre Pflichten erfüllen, und niederträchtige Menschen werden sich verborgen halten. Ist der Herrscher nicht aufrichtig, werden böse Menschen ihr Ziel erreichen, und die loyalen werden sich verstecken.
In einem gut geführten Land müssen jene, die über Politik beraten, in Einklang mit dem Gesetz sein; jene, die offizielle Tätigkeiten ausüben, müssen reglementiert werden. Vorgesetzte werten die verbürgte Leistung aus; Beamte verrichten ihre Arbeit effizient. Worte dürfen die Wirklichkeit nicht übertreffen. Taten dürfen das Gesetz nicht übertreten.
In einem ungeordneten Land werden jene, die von der Menge gelobt werden, reich entlohnt, ohne etwas geleistet zu haben. Jene, die ihren Pflichten nachkommen, werden bestraft, obwohl sie frei von Schuld sind. Der Herrscher tappt im Dunkeln und versteht nicht. Würdige unterbreiten keine Vorschläge. Beamte bilden Parteiungen; sich auf die Wirkung ihrer Worte verstehende Redner streifen umher; Leute schmücken ihre Taten aus. Jene, die als weise gelten, widmen sich Tricksereien und Betrug; hohe Beamte ergreifen die Macht. Klüngel und Lagerbildung verbreiten sich. Der Herrscher führt eifrig Projekte aus, die unnütz sind, während die Menschen verhärmt und erschöpft aussehen.
Der Herrscher nutzt die Weisheit der Welt, um Pläne zu machen. Sein persönliches Behagen entscheidet nicht über die Vergabe von Belohnungen. Sein persönlicher Groll entscheidet nicht über die Zumessung von Strafen. Darauf gründet sich seine ehrfurchtgebietende Würde, und seine Gesetze und Weisungen werden klar und präzise sein und nicht für harsch erachtet werden.
Ein Land, das als verloren gelten kann, ist nicht eines ohne Herrscher, sondern eines ohne Gesetze.
26. Februar 2018
Bushs Amerika
Staatsstreich ohne Blutvergießen
Ein Romanautor schreibt mir: »Ist Dir schon aufgefallen, dass alle nur mit sarkastischem Unterton ein ›Gutes Neues Jahr‹ wünschen?« In den Stellenanzeigen der New York Review of Books sucht ein Akademikerpaar »im Gefolge der Bundeswahlen« nach Arbeitsmöglichkeiten im Ausland. Eine Washingtoner Bankangestellte, die ich nur flüchtig kenne, fragt mich, welche Zigarettenmarke ich bevorzuge; sie hat beschlossen, wieder mit dem Rauchen anzufangen. Freunde, denen ich auf der Straße begegne, sind nicht verärgert, sie wirken eher wie betäubt: Monatelang auf der Insel CNN gestrandet, dämmert ihnen nun langsam, dass keine Rettung naht. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben gerade ihren ersten Staatsstreich erlebt.
Zwar floss kein Blut dabei, und die Panzer umstellten auch nicht das Weiße Haus, doch ist »Staatsstreich« kaum eine Übertreibung. In diesem Land, das sich selbst als Leuchtfeuer der Demokratie begreift, wurde Unrecht zu Recht erklärt, fand eine korrupte Machtergreifung statt. Lassen Sie mich kurz rekapitulieren:
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