Er verstummte. Seine Kehle war wie zugeschnürt und seine Augen feucht. Er rieb sie trocken, während er über die richtigen Worte nachdachte.
»Ich hätte ihr geholfen«, sagte er schließlich und runzelte die Stirn. »Ich hätte Unterhalt bezahlt. Ich weiß, aus unserer Beziehung ist nichts geworden, aber ich schwöre, dass ich alles für sie getan hätte, wenn ich gewusst hätte, dass…«
Mrs. Bowman hob die Hand.
»Das weiß sie, mein Liebling«, sagte seine Mom und drückte seine Hand. »Du hättest Amy nicht im Stich gelassen.«
»Ich erlebe hier fast täglich Menschen, die als Eltern nicht geeignet sind, Mrs. Coal«, sagte Mrs. Bowman. »Ihr Sohn ist eine erfrischende Abwechslung. Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Coal. Von mir haben Sie keine Probleme zu erwarten. Aber die Lebensumstände von Ms. Dillard haben sich maßgeblich verändert und das hat Auswirkungen auf die kleine Imogen.«
Swift biss sich auf die Lippen und warf einen Blick auf die Tür, die von Mrs. Bowmans Büro in das kleine Nebenzimmer führte. Sie hatte gesagt, dass Imogen dort auf ihn wartete und von einer ihrer Mitarbeiterinnen beaufsichtigt wurde. Durch die Milchglasscheibe der Tür waren leise fröhliche Stimmen zu hören.
Swift kam sich vor, als wäre er in einem fremden Körper aufgewacht. Er war vor der Arbeit zum Joggen gewesen – wie üblich –, hatte geduscht, sich einen Proteindrink genehmigt und sein Mittagessen in eine Plastikbox gepackt. Als er gerade zur Tür ging und die Wohnung verlassen wollte, hatte das Telefon geklingelt.
Und jetzt war er hier.
Er fuhr mit dem Finger über die Tischkante und studierte die Maserung des Holzes, um Mrs. Bowmans nüchternem Blick auszuweichen. »Aber es geht Amy doch gut, oder? Sie kommt wieder in Ordnung?«
Mrs. Bowman seufzte. »Betrunken Auto zu fahren ist ein schwerwiegendes Delikt. Das Gericht hat sie zu dreißig Tagen Entzug verurteilt. Meiner professionellen Einschätzung nach ist sie allerdings nicht in der Lage, das Sorgerecht für Imogen angemessen auszuüben. Wenn Sie sich also nicht in der Lage sehen, die Verantwortung für das Kind zu übernehmen, und da Ms. Dillard keine nahen Verwandten hat, die sich um Imogen kümmern könnten, müssten wir die Kleine in ein Heim oder eine Pflegefamilie…«
»Nein!«, rief Swift so laut, dass er beinahe über sich selbst erschrak.
Er lehnte sich wieder in seinem Stuhl zurück und rang um Fassung. »Nein«, wiederholte er, dieses Mal leiser. Dann überlegte er kurz. »Ich gebe zu, es war ein höllischer Schock. Aber es ist alles in Ordnung. Ich werde mich daran gewöhnen. Ich will auf keinen Fall, dass sich Imogen unerwünscht fühlt. Ich… ich dachte nur, wenn ich eines Tages Vater werde, hätte ich wenigstens neun Monate Zeit, um mich darauf vorzubereiten. Jedenfalls länger als drei Stunden.«
Mrs. Bowman nickte seufzend. »Das kann ich gut verstehen. Brauchen Sie noch etwas mehr Zeit, bevor Sie die Kleine sehen wollen, Mr. Coal?«
Swift drehte sich zu seiner Mom um. Sie sah seinen Blick auf sich gerichtet, strahlte ihn an und nickte begeistert. »Alles okay, mein Mäuschen«, sagte sie gezwungen fröhlich. So hatte sie ihn nicht mehr genannt, seit er auf die Oberschule gewechselt war. »Du schaffst das schon. Ist doch ein Klacks für dich.«
Swift wusste, dass ihr sehr wohl klar war, dass es alles andere als ein Klacks war, ein Kind großzuziehen. Aber ihre Zuversicht nahm ihm die Angst. Teilweise.
Er würde für dieses kleine Wesen verantwortlich sein! Ein kleiner Mensch, der zur Hälfte aus seinen Genen bestand! Es war das Gewaltigste, was ihm in seinen zweiunddreißig Jahren passiert war, daran bestand kein Zweifel. Was, wenn er es vermasselte? In seinem Job konnte nichts Schwerwiegendes passieren – ein doppelt gebuchter Termin oder jemand verletzte sich an einem der Geräte. Solche Dinge konnten mit einem Telefonanruf oder einem Eisbeutel wieder geregelt werden.
Aber die Verantwortung für ein Kind würde ein Leben lang anhalten. Sie endete nicht automatisch, wenn es achtzehn wurde. Er sah es an seinen Eltern – er würde nie aufhören, sich um die Kleine zu sorgen und das Beste für sie zu wollen. Und selbst wenn Amy ihre Sucht besiegte und das Sorgerecht zurückbekam, würde Swift es mit ihr teilen wollen. Kinder brauchten einen Vater, wenn es irgendwie möglich war. Er würde Imogen nicht im Stich lassen. Niemals. Egal, wie sehr er sich davor fürchtete, so unverhofft Vater zu werden.
Also fing er am besten gleich damit an. Er atmete schnaufend aus und setzte sein bestes Lächeln auf.
»Richtig. Ein Klacks. Das arme Ding hat wahrscheinlich einige harte Tage hinter sich. Wir wollen sie nicht länger im Ungewissen lassen.«
Er nickte Mrs. Bowman zu, die ihn einen Moment nachdenklich musterte. Es war ihre Aufgabe, an erster Stelle in Imogens Interesse zu entscheiden, daher nahm Swift es ihr nicht übel, dass sie sich etwas Zeit ließ. Er selbst war ein praktisch denkender Mensch. Er stürzte sich meistens direkt in eine neue Aufgabe und lernte, sie zu bewältigen. Und Vater zu sein, konnte man erst lernen, wenn man Vater war.
Mrs. Bowman stimmte ihm offensichtlich zu. Sie nickte lächelnd und fuhr sich mit einer Hand glättend über ihren Schal und die Bluse. Dann stand sie auf, ging durchs Büro zu der Verbindungstür und klopfte leise. »Miss Dillard? Möchten Sie uns Gesellschaft leisten?«
Von der anderen Seite war ein Rascheln zu hören. Einige Sekunden später öffnete eine junge Frau die Tür und ein kleines Mädchen steckte den Kopf ins Zimmer.
Swift stockte der Atem. Ohne es zu wollen, fasste er sich an die Brust. Das war sie. Seine Tochter.
Sie blinzelte mit großen Augen und kam dann mit zögernden Schritten ins Zimmer. Ihre hellblonden Haare waren zu einem strubbeligen Zopf geflochten, der ihr bis zur Taille reichte. Sie hatte fast dieselbe Haarfarbe wie Swift. Er spürte einen Stich in der Brust.
Wow. Das war wirklich sein kleines Mädchen.
Sie schaute sich im Zimmer um und schob die Brille hoch, die ihr auf der Nase saß. Es war eine rosa Brille, über und über mit glitzernden Steinen besetzt. »Hallo«, sagte das Mädchen zu Mrs. Bowman und spielte mit den Fingern. »Jemand hat meinen Namen gesagt.«
Mrs. Bowman lächelte ihr freundlich zu und zeigte auf Swift, während ihre Kollegin in das Nebenzimmer zurückging, die Tür aber nicht ganz hinter sich schloss. Imogen sah von Mrs. Bowman zu Swift und seiner Mom, die beide noch auf ihren Stühlen saßen. Swift, der ein sehr großer Mann war, saß mucksmäuschenstill, weil er sie mit seiner Erscheinung nicht verängstigen wollte.
»Ja, Imogen. Das ist dein Daddy. Möchtest du ihn begrüßen?«
Daddy. Heiliges Kanonenrohr. Swift rang um Fassung und schluckte verkrampft, weil er schon wieder einen Kloß in der Kehle hatte. Er war gleichzeitig aufgeregt und verunsichert. Wie mochte sich erst Imogen fühlen?
»Hi, Imogen.« Er winkte und kam sich dabei unsagbar dämlich vor.
Hoffentlich fiel ihr Urteil nicht allzu hart aus.
Unglücklicherweise schien das aber der Fall zu sein, denn sie verzog das Gesicht und schob sich wieder die Brille hoch. »Ich habe keinen Daddy«, verkündete sie und wandte sich wieder an Mrs. Bowman. »Mommy sagt, manche Kinder haben keine Daddys und das ist okay so. Emmet und Nicola haben auch keine Daddys und Juan hat keinen Daddy und keine Mommy, weil er bei seiner Abuela lebt.«
Swifts Magen zog sich zusammen. Er wusste, es war nicht seine Schuld, aber aus irgendeinem Grund schien Amy nicht gewollt zu haben, dass er am Leben seiner Tochter teilnahm. Und doch war er jetzt hier und es half nicht, die Zeit mit sinnlosen Schuldgefühlen zu vergeuden. Sie mussten nach vorne schauen und tun, was für Imogen das Beste war.
»Du hast recht«, sagte Mrs. Bowman ernst. »Manche Kinder haben keinen Daddy. Aber du hast einen. Es war nur eine Überraschung! Dein Daddy hat heute von dir gehört und ist den ganzen weiten Weg zu uns gefahren, weil er sich freut, dich kennenzulernen.«
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