»Du siehst angegriffen aus«, begann Fräulein Schank und strich sich ihr Bandeau glatt. »Nicht wahr, Mutter, die Rosa sieht angegriffen aus?«
»Ja – ja«, erwiderte die Alte, »das ist die Streber.«
»Rosa Herz, Mutter – Herz –« verbesserte Fräulein Schank, die wieder ihre scharfe Art fand.
»Gute Tochter«, entgegnete die Alte und verzog höhnisch die Unterlippe, »ich weiß ja, dass der Streber weglief. Als ob ich das nicht wüsste!«
Fräulein Schank zuckte die Achseln, sie wollte ihre Mutter lieber gar nicht beachten.
»Um auf unser Geschäft zu kommen«, wandte sie sich an Rosa, »so habe ich eine Stelle für dich. Sie ist aber weit von hier – in Moskau, und du müsstest gleich abreisen.«
»Ja – Fräulein Schank, ich danke Ihnen sehr.«
»Und der Streber schreibt gar nicht mehr?« warf die Alte ein und neigte ihr schiefes, höhnisches Gesicht auf die Schulter.
»Die Bedingungen sind gut«, fuhr Fräulein Schank fort. »500 Rubel Gehalt und das Reisegeld. Zwei Kinder sind da. Ein vornehmes, reiches Haus. Ich glaube, es dürfte dir konvenieren?«
»Gewiss! Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
»Wird denn der Kerl bis nach Russland gelaufen sein?« rief die alte Schank dazwischen.
»Ich hoffe«, schloss Fräulein Schank mit klagender Stimme, »du wirst dich dort einleben.« Tränen traten ihr in die Augen, und sie umarmte Rosa. »Gott behüte dich! Ich habe getan, was ich konnte.«
Als Rosa der alten Schank die Hand küssen wollte, hielt diese sie fest. »Adieu, liebe Streber, machen Sie sich nichts daraus, dass er Ihnen durchgegangen ist. Die Rosalie ließ auch so einer sitzen. Wir warten auf den Kerl heute noch. Wie heißt er doch – Rosalie? – Deiner? Du musst das wissen.«
»Mutter!« fuhr Fräulein Schank gereizt auf, »Rosa Herz ist’s – Rosa Herz.«
»Ach Gute! Ich weiß wohl, was ich sage. Ich kenne eure schmutzigen Geschichten ganz genau, nur der Name ist mir entfallen. Du hast aber deine Heimlichkeiten; das kenn ich schon!«
Somit war es entschieden, Rosa reiste ab. Weinend packte Agnes die Koffer. Um den Zug zu erreichen, musste Rosa um neun Uhr abends die Stadt verlassen. Der Postwagen hielt vor der Türe, und der Hausknecht band die Koffer auf. Agnes nahm Rosa noch einmal in die Arme und flüsterte ihr gute Lehren ins Ohr: »– und dann, Kind, nimm dich in acht. Die Russen sind gottlose Leute, und du weißt, wie hübsch du bist. Warte, bis einer dich recht lieb hat und bis du ihn auch liebhaben kannst, dann heirate ihn. Aber warte; glaube mir, Kind, das ist besser.«
»Ja, Agnes, das ist besser.«
Der Gedanke, sie könnte noch einmal jemand recht liebhaben, machte dieses liebesdurstige Frauenherz für einen Augenblick ganz warm, und Rosa lächelte.
Als sie aber im Wagen saß und durch die Stadt fuhr, weinte sie doch. Sie beugte sich vor, um noch einen Blick auf das Stück Leben zu werfen, mit dem sie nun vollends abschloss.
Über dem Rathaus hing der Mond. Der Marktplatz war so hell beschienen, dass man die Pflastersteine hätte zählen können. An den Häusern entlang trippelte eine zierliche Gestalt mit einem breitrandigen gelben Strohhut. Sie machte einige Schritte und schaute sich um, ging weiter und schaute sich wieder um. War das nicht Marianne Schulz? Ja! Und ihr auf dem Fuß folgte breitschultrig und behäbig Herweg Kollhardt.
ENDE
Wellen
Vous êtes tous les deux ténébreux et discrets:
Homme, nul n’a sondé le fond de tes abîmes,
O mer, nul ne connaît tes richesses intimes,
Tant vous êtes jaloux de garder vos secrets.
Baudelaire
Die Generalin von Palikow und Fräulein Malwine Bork, ihre langjährige Gesellschafterin und Freundin, kamen in das Wohnzimmer. Sie wollten sich ein wenig erholen. Die Generalin setzte sich auf das Sofa, das frisch mit einem blanken, schwarz und roten Kattun bezogen war. Sie war sehr erhitzt und löste die Haubenbänder unterm Kinn. Das lila Sommerkleid knisterte leicht, die weißen Haarkuchen an den Schläfen waren verschoben und sie atmete stark. Sie schwieg eine Weile und schaute mit den ein wenig hervorstehenden grellblauen Augen kritisch im Zimmer umher. Das Zimmer war weiß getüncht, wenig schwere Möbel standen an den Wänden umher und über die Bretter des Fußbodens war Sand gestreut, der in der Abendsonne glitzerte. Es roch hier nach Kalk und Seemoos.
»Hart«, sagte die Generalin und legte ihre Hand auf das Sofa.
Fräulein Bork neigte den Kopf mit dem leicht ergrauten Haar auf die linke Schulter, blickte schief durch die Gläser ihres Kneifers auf die Generalin, und das bräunliche Gesicht, das aussah wie das Gesicht eines klugen älteren Herrn, lächelte ein nachdenkliches, verzeihendes Lächeln. »Das Sofa«, sagte sie, »natürlich, aber man kann es nicht anders verlangen. Für die Verhältnisse ist es doch sehr gut.«
»Liebe Malwine«, meinte die Generalin, »Sie haben die Angewohnheit, alles gegen mich zu verteidigen. Ich greife das Sofa gar nicht an, ich sage nur, es ist hart, das wird man doch noch dürfen.«
Fräulein Bork erwiderte darauf nichts, sie lächelte ihr verzeihendes Lächeln und schaute schief durch ihren Kneifer jetzt zum Fenster hinaus auf den kleinen Garten, der davor lag. Salat und Kohl wuchsen dort recht kümmerlich, Sonnenblumen standen da mit großen schwarzen Herzen und über alledem lag ein leichter blonder Staubschleier. Dahinter der Strand grell orange in der Abendsonne, endlich das Meer undeutlich von all dem unruhigen Glanze, der auf ihm schwamm, von den zwei regelmäßigen weißen Strichen der Brandungswellen umsäumt. Und ein Rauschen kam herüber eintönig, wie von einem schläfrigen Taktstock geleitet.
Die Generalin hatte den Bullenkrug für den Sommer gemietet, um hier an der See ihre Familie um sich zu versammeln. Vor drei Tagen war sie mit Fräulein Bork, Frau Klinke, der Mamsell, 1und Ernestine, dem kleinen Dienstmädchen, hier angelangt, um alles einzurichten. Es erforderte Arbeit und Nachdenken genug, für alle diese Menschen Platz zu schaffen und nicht nur Platz, »denn«, pflegte die Generalin zu sagen, »ich kenne meine Kinder, bei allem, was ich gebe, sind sie kritisch wie ein Theaterpublikum.« Heute nun war die Tochter der Generalin, die Baronin von Buttlär, mit den Kindern, den beiden eben erwachsenen Mädchen Lolo und Nini und dem fünfzehnjährigen Wedig, angelangt. Der Baron Buttlär sollte nachkommen, sobald die Heuernte beendet war, und Lolos Bräutigam Hilmar von dem Hamm, Leutnant bei den Braunschweiger Husaren, wurde auch erwartet.
»Werden sie auch heute Abend alle satt werden?« begann die Generalin wieder. »Die Reise macht hungrig.« – »Ich denke«, erwiderte Fräulein Bork, »da sind die Fische, die Kartoffeln, die Erdbeeren, und Wedig hat sein Beefsteak.«
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