»Und?«, fragt er.
»Du hast den richtigen Ton getroffen«, sage ich. »Und ich finde, es ist dir gut gelungen, dir den Anschein eines mitfühlenden Perversen zu geben.«
»Es stört dich also nicht, wenn ich ab und zu was beisteuere?«
»Überhaupt nicht. Je mehr du schreibst, umso weniger Arbeit habe ich.«
»He«, sagt er mit einem schüchternen, dümmlichen Grinsen, »wäre es nicht witzig, wenn ich darüber schreibe, dass ich kein Schriftsteller sein will?«
»Hol mir mal schnell ein Korsett«, sage ich. »Könnte sein, dass ich mir eine Rippe angeknackst habe.«
Heute Morgen hängt dichter Nebel über den Bergen, und ganz feine Tropfen rieseln ständig herab. So ein Nieselregen, der überall durchdringt, ohne dass man es merkt. Ich trete vom Fenster zurück, die Lichter sind ausgeschaltet, ich trinke meinen Kaffee und schaue zu, wie Billy etwas liest, das er geschrieben hat. Ab und zu schaut er auf und sieht hinüber zum Haus.
Gegen halb neun geht er, läuft linkisch um das Bambusbeet auf der anderen Seite des Karpfentümpels herum, mit hochgezogenen Schultern wegen des Regens.
Die Art, wie er geht, bringt mich auf den Gedanken, dass er die acht Zentimeter, die er angeblich zugelegt hat, dicken Innensohlen in seinen Schuhen verdankt.
Nicht mal eine Tasse Kaffee hat er bekommen. Jetzt war ich dran.
In umgekehrter Reihenfolge funktioniert die Kommandohierarchie im Krankenhaus ungefähr so:
Kakerlaken
Aushilfskräfte
Vorgesetzte der Aushilfskräfte
Krankenschwestern
Stationsschwestern
Oberschwestern
Assistenzärzte
Berater
Spezialisten
Wirtschaftsprüfer
Verwaltungsrat
Gott
Alle diese wundersamen Kreaturen müssen ihre Notdurft verrichten. Früher oder später sind die Rohre verstopft. Dann warten alle darauf, dass eine der Aushilfen kommt und den Augiasstall ausmistet. Anschließend beginnt alles von vorn.
Ich nenne diesen Prozess »Dienstag«.
Alle haben was gegen Montage, aber Montage laufen immer gut.
Dienstage sind übel.
Dienstag ist der Mr Hyde des Montags. Er lungert im Schatten herum und zwirbelt sich seinen ausladenden Schnurrbart. Die Dienstage locken Freitag den 13. auf den Parkplatz und zünden ihm die Füße an, nur um zuzuschauen, wie er tanzt. Wenn der Dienstag ein Kontinent wäre, dann wäre er Afrika südlich der Sahara: verleugnet, zerstört und höllisch fies.
Dienstage stehen permanent vor einer Rebellion. Ich kann das spüren. Dienstage wollen Samstagabende sein, und die wenigen süßen Ausnahmen im Jahr genügen ihnen nicht. Wenn euch also irgendwann alles um die Ohren fliegt, dann sagt nicht, ihr seid nicht gewarnt worden.
Wir haben die Dienstage zu sehr an die Kandare genommen, ihnen keine freie Zeit gelassen. Wir haben uns keine Gedanken über die Arbeitsbedingungen der Dienstage gemacht. Der Dienstag ist wie der blindwütige Samson, dessen Haar unbemerkt, aber stetig wächst.
Ich habe euch gewarnt.
Der Gewerkschaftsvertreter ist am Telefon, also muss heute wohl Dienstag sein.
»Du hast schon wieder eine offizielle Verwarnung bekommen, Karlsson«, sagt er. »Wenn ein Mitglied sich auf der Arbeit daneben benimmt, wirft das ein schlechtes Licht auf die Gewerkschaft. Das solltest du beherzigen, denn wir sitzen alle im selben Boot. Wenn jeder seinen Beitrag leistet, ist es für alle einfacher. Du weißt doch, dass die Arbeitsverträge der Reinigungskräfte nächsten Monat neu verhandelt werden.«
»Solltet ihr nicht auf meiner Seite stehen?«, frage ich. »Man hat mich in den Arsch gefickt, metaphorisch gesprochen. Wie kann denn in diesem Zusammenhang jeder seinen Beitrag leisten, wenn jemandem im metaphorischen Sinn der Arsch aufgerissen wird?«
»Regeln sind nun mal Regeln«, sagt er.
»Es gibt aber auch schlechte Gesetze. Das Gesetz ist ein Scheißdreck, und es muss auch als Scheißdreck betrachtet werden.«
Aber es ist Dienstag, und er hört nicht zu. »Noch ein Vergehen und du bist suspendiert«, sagt er.
»Noch eins und ich bin gefeuert. Wie soll ich denn suspendiert werden, wenn ich schon gefeuert bin?«
»Dies ist eine disziplinarische Verwarnung. Du bekommst eine offizielle Benachrichtigung innerhalb von drei Arbeitstagen.«
»Kann ich nicht warten, bis die offizielle Benachrichtigung eingetroffen ist, bevor ich mich als diszipliniert betrachte? Ich hab Probleme mit imaginären Maßnahmen von Autoritäten. Ich bin Atheist, schick mir eine Heuschreckenplage.«
Aber es ist Dienstag. Er hört nicht zu.
»Wieder diese obszöne Ausdrucksweise«, sagt er.
»Wie du meinst.«
»Außerdem ist vielleicht zu viel von Dienstagen die Rede. Aber das soll nur eine Anregung sein. Du bist der Schriftsteller.«
»Nein, vielleicht hast du recht. Ich geh noch mal drüber.«
»Okay. Was kommt jetzt?«
»Ein weiterer Ausschnitt aus deinem Roman über Cassie.«
»Ich dachte, das werfen wir alles weg.«
»Die letzte Passage haben wir weggeworfen, ja. Aber danach ist mir klar geworden, dass diese Ausschnitte eigentlich Liebesbriefe von Karlsson an Cassie sind.«
»Echt?«
»Was willst du jetzt also tun?«
Er zuckt mit den Schultern. »Wir können’s ja mal probieren.«
Sermo Vulgus : Roman (Auszug)
Als junger Mann in Wien wurde Hitler von einer Jüdin abgewiesen. Eine Kugel zerfetzte seinen Ärmel, als er über das Niemandsland stürmte.
Cassie, fünfzehn Zentimeter hätten das Leben der Sechs Millionen retten können.
Cassie, sie behaupten, Hitler hätte sich einst in der Gesellschaft von Juden wohlgefühlt.
Wie können sie dann so unbekümmert von Schicksal, Vorsehung und prokreativem Sex sprechen?
Verdamme die Zukunft, Cassie, dämme sie ein. Mach’s mir mit der Hand, dem Mund, mit dem Arsch. Gib mir deine Achselhöhlen, du Dirne. Lass uns die Körper von Jungfrauen aufreißen, auf dass ihre Wunden sich weiten und uns ficken wie toll, bis Gott aus seinem Himmel fällt. Ergehen wir uns in Schleim, Blut, Mösensaft und Sperma; spar dir deine Tränen für den Essig auf, den wir den durstigen Märtyrern reichen.
»Das soll ein Liebesbrief sein?«, fragt er.
»Es ist ein Liebesbrief von Karlsson.«
»Mit Frauen kennt er sich wohl nicht so gut aus?«
Debs zieht die Patiotür auf und steckt den Kopf heraus.
»He, Hemingway«, ruft sie. »Deine Tochter hat volle Windeln. Hopp-hopp.«
Ich winke ihr zu. »Ich muss los«, sage ich zu Billy. »Familientag. Wir fahren raus nach Drumcliffe zum Mittagessen. Es wird Zeit, dass Rosie dem Grab von Yeats einen Besuch abstattet.«
Er nimmt die Sonnenbrille ab und zwinkert mir mit seinem einen Auge zu. »Wirf ein kaltes Auge auf ihn«, sagt er. Schwer zu sagen, ob er sein strahlend Blaues meint oder die Dörrpflaume.
Ich halte den Auszug aus Sermo Vulgus hoch. »Was willst du jetzt damit machen?«
»Als Liebesbrief finde ich es nicht so gut«, sagt er.
»Ich kann es wegwerfen, wenn du willst.«
»Vielleicht können wir es ja an einer anderen Stelle einbauen. Wo es nichts mit Cassie zu tun hat.«
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