„Wird es in London die ganze Zeit so sein, Cecilia? Ich bin nicht sicher, ob ich diese Demütigung ertragen kann. Alle werden mich mit ihr vergleichen und dabei werde ich nicht gut abschneiden. Im Gegenteil, alle werden mich für eine alte Jungfer halten.“
Miranda zwickte sich in den Finger, um die Tränen zurückzudrängen.
„Eine Dame zeigt in der Öffentlichkeit nie ihre Gefühle.“
Die Erinnerungen an die häufigen Ermahnungen ihrer Mutter erschienen ihr so real, als stünde diese neben ihr. Sie vernahm diese Worte sogar in Mutters Stimme.
„Du bist ganz gewiss keine alte Jungfer. Es ist erst deine vierte Saison. Und es gibt mehr vermögende Frauen, die lieber warten. Nur die Verzweifelten tun so, als müsse man unbedingt in der ersten Saison einen Mann finden.“
Miranda schwieg. Was Cecilia sagte, stimmte. Miranda hatte mehr Angst davor, dass vor allem ihre feste Entschlossenheit, einen Mann zu finden, dem es um sie ging und nicht nur um die Beziehungen ihrer Familie, sie um eine glückliche Ehe bringen würde. Was sollte sie tun, wenn ihre Schwester vor ihr die große Liebe fand?
„Außerdem“, sprach Cecilia weiter, „bist du doch keine alte Jungfer, wenn du Heiratsanträge ablehnst. Im vergangenen Jahr hast du zwei bekommen, nicht wahr?“
„Ja“, murmelte Miranda, die an diese beleidigenden Anträge gar nicht denken wollte. Sie hatten nur ihre Entschlossenheit gefestigt, sich mit nicht weniger als der bedingungslosen Liebe eines Mannes zufrieden zu geben. Sie war mittlerweile nicht mehr überrascht darüber, dass viele Männer nur deshalb heiraten wollten, um sich politische oder materielle Vorteile zu verschaffen. In ihrer ersten Saison hatte sie sich jedoch aufgrund ihrer Unerfahrenheit in den Grafen von Ashcombe verliebt, nur um dann herausfinden zu müssen, dass es ihm lediglich darum ging, mit der Mitgift auch einen Teil von Griffiths Grundbesitz zu bekommen.
„Jetzt Schluss damit!“ Cecilia hakte sich bei Miranda unter. „Du fängst an, mürrisch auszusehen. Komm, lass uns doch einmal schauen, welch interessanten Klatsch sich die Damen da drüben erzählen, die wirklich zu den alten Jungfern zählen. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung verfügen sie immer über die neuesten Informationen.“
Die Gruppe der unverheirateten Damen stand weit von der Tanzfläche entfernt. Nachdem sie sich ein neues Glas Limonade genommen hatten, um den Anschein zu erwecken, sie würden eine Tanzpause einlegen, schlenderten Miranda und Cecilia in ihre Richtung. Sie blieben mit dem Rücken zu der Gruppe stehen, um den Frauen unauffällig zu lauschen.
„Habt ihr schon gehört? Mr Barrister ist gestern aus London zurückgekehrt. Er erzählt, dass Lady Marguerite schon wieder versucht, ihren Neffen für tot erklären zu lassen!“
Miranda wandte sich unauffällig um und warf einen Blick auf die Frau, die gerade an ihrer Erfrischung nippte und den Rest des Saals offenbar völlig vergessen hatte.
Eine andere Frau öffnete ihren Fächer und wedelte sich Luft zu. „Das wird ihr nie gelingen! Solange sie keine Beweise hat, kann sie den Herzog nicht für tot erklären.“
Miranda schaute Cecilia mit großen Augen an. Das war wirklich eine interessante Neuigkeit. Es kam nicht alle Tage vor, dass eine Frau versuchte, ein Herzogtum für ihren Sohn zu ergattern. Sie drehte leicht den Kopf, um die Frauen trotz der Musik besser zu verstehen.
„Und wenn er tatsächlich tot ist? Wie lange werden sie warten?“
„Sein Verwalter sagt, dass er regelmäßig Briefe von ihm bekommt, in denen er Anweisungen gibt, wie er sein Vermögen und seine Geschäfte verwalten soll.“
„Die könnte ja jeder schreiben. Ich habe gehört –“
„Hätten Sie Lust, mit mir zu tanzen?“
Miranda zuckte angesichts dieser abrupten Störung so zusammen, dass ein wenig Limonade auf ihren Handschuh schwappte. Sie hob den Blick. Mr Barrister, von dem die Frauen gerade gesprochen hatten, stand höchstpersönlich vor ihr und hielt ihr die Hand hin, um sie auf die Tanzfläche zu geleiten.
„Ja, sehr gern.“ Miranda reichte der kichernden Cecilia ihr Glas und bemühte sich, ein wenig mehr zu lächeln. „Mit dem größten Vergnügen.“
Sie zwang sich, in seine hellblauen Augen zu schauen, während sie sich zwischen den anderen Tanzpaaren bewegten. Viele junge Frauen schrieben sehr schlechte Gedichte über Mr Barristers strahlend blaue Augen. Miranda fand sie jedoch bei Weitem nicht so reizvoll wie graue Augen, die an einen stürmischen Himmel erinnerten.
Sie stolperte und wäre beinahe gegen die Frau gestoßen, die neben ihr tanzte. Woher war dieser Gedanke denn so plötzlich gekommen? Während sie mit Mr Barrister tanzte, sollte sie eigentlich nicht an die Augen eines anderen Mannes denken. Vor allem sollte sie aber nicht an einen Kammerdiener denken!
Die nächste Stunde verging glücklicherweise ohne besondere Vorkommnisse, aber Miranda atmete trotzdem erleichtert auf, als ihre Mutter ihr mitteilte, dass sie jetzt nach Hause fahren würden.
„Wenn wir ein wenig früher gehen, machen wir den Leuten bewusst, dass Georgina noch sehr jung ist.“ Mutter wickelte ihr Tuch um ihre Schultern und verließ den Ballsaal. „Ich selbst brauche auch meinen Schlaf. Vor mir liegt morgen eine lange Heimfahrt.“
„Wann kommst du wieder?“
„Ich werde erst wiederkommen, um euch zu helfen, für London zu packen. Ende Februar, nehme ich an. Wenn wir von unserer Reise an die Küste zurückkehren, werden wir erst einmal Lord Blackstones Tochter eine Weile besuchen.“ Ihre hellblauen Augen wurden feucht. „Sie will, dass die Kinder ,Großmutter‘ zu mir sagen.“
„Warum auch nicht? Du wirst sie lieben, als seien es deine eigenen Enkel. Und Lord Blackstone wird unsere Kinder genauso lieben wie die seiner eigenen Töchter.“
Mutter schnaubte leise. Augenblicklich war sie nicht länger emotional, sondern die strenge Mutter, die Miranda nur allzu vertraut war. „Vorausgesetzt, einer von euch heiratet irgendwann einmal und bekommt Kinder.“
Miranda verkniff sich ein Stöhnen.
„Eine kluge Dame guter Herkunft hat die Verantwortung, ihre Gaben an die nächste Generation weiterzugeben. Einige behaupten zwar, der Verstand sei auf den Vater zurückzuführen, aber ich versichere dir, dass das nicht der Fall ist.“
Mirandas Stöhnen verwandelte sich in ein Grinsen. Mutter benutzte ihre Ermahnungen, wie sich eine Dame zu verhalten habe, sogar, um ihre Tochter zum Heiraten zu ermutigen. Sie konnte es offenbar nicht erwarten, ihre Kinder unter die Haube zu bringen.
Griffith und Georgina gesellten sich zu ihnen und sorgten so dafür, dass Miranda sich keine passende Antwort überlegen musste.
„Was für ein herrlicher Abend!“ Georgina lehnte sich mit einem tiefen, zufriedenen Seufzer zurück. „Ich denke, erwachsen zu sein gefällt mir. Habt ihr gesehen, wie viele Bewunderer ich hatte?“
Mutter drückte sanft Georginas Hand.
„Du scheinst einen vorzüglichen Abend gehabt zu haben.“ Miranda war stolz darauf, dass ihr ein Lächeln gelang. Es fühlte sich fast echt an.
Georginas Miene wurde ernst. „Natürlich würde ich nur wenige von ihnen in Erwägung ziehen. Wir sind hier ja nur auf dem Land. In London wird es zweifellos Herren geben, die eine bessere gesellschaftliche Stellung innehaben.“ Sie schaute Miranda mit ihren grünen Augen, die für eine Achtzehnjährige zu erwachsen dreinblickten, vorwurfsvoll an. „Miranda, du hättest mir erzählen können, wie wunderbar es ist, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen.“
Wenn jemand Miranda vorgeworfen hätte, ihre Schwester angeknurrt zu haben, hätte sie das rundweg abgestritten. Doch niemand sagte etwas. Miranda konnte sich also damit trösten, dass die anderen nichts gehört hatten, falls sie ihrem Ärger tatsächlich mit einem abschätzigen Laut Luft gemacht haben sollte.
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