JJ Amaworo Wilson wurde 1969 als Sohn einer nigerianischen Mutter und eines englischen Vaters in Deutschland geboren und wuchs in Großbritannien auf. Er hat u. a. in Ägypten, Kolumbien, Lesotho und Italien gelebt und lebt heute in New Mexico, USA. Damnificados ist sein erster Roman. Er wurde ausgezeichnet mit dem Hurston/Wright Legacy Award, dem Independent Publisher Book Award for Multicultural Fiction sowie dem New Mexico-Arizona Book Award for Fiction und war für weitere Preise nominiert.
Die Arbeit der Übersetzerin an dem vorliegenden Roman
wurde durch den Deutschen Übersetzerfonds gefördert.
Der Verlag dankt dem Autor für seine Unterstützung.
Editorische Notiz: Kursiv gesetzte Rede einiger Figuren kennzeichnet Passagen, die im englischen Original deutsch sind.
Die Originalausgabe des vorliegenden Buches
erschien unter dem Titel Damnificados bei PM Press Inc © 2016 by JJ Amaworo Wilson
Edition Nautilus GmbH · Schützenstraße 49 a
D-22761 Hamburg · www.edition-nautilus.de
Alle Rechte vorbehalten · · © Edition Nautilus 2019
Deutsche Erstausgabe März 2020
Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg
www.majabechert.de
ePub ISBN 978-3-96054-219-3
Für David Henry Wilson
und in Erinnerung an
Elizabeth Ayo Wilson
You’d better get a home in that rock, don’t you see.
You’d better get a home in that rock, don’t you see.
Between the earth and sky, thought I heard my savior cry,
You’d better get a home in that rock, don’t you see.
God gave Noah the rainbow sign, don’t you see.
God gave Noah the rainbow sign, don’t you see.
God gave Noah the rainbow sign, no more water but fire next time.
You’d better get a home in that rock, don’t you see.
Poor man Lazarus, poor as I, don’t you see.
Poor man Lazarus, poor as I, don’t you see.
Poor man Lazarus, poor as I, when he died he had a home on high.
You’d better get a home in that rock, don’t you see.
Rich man Dives lived so well, don’t you see.
Rich man Dives lived so well, don’t you see.
Rich man Dives lived so well, when he died he had a home in Hell.
You’d better get a home in that rock, don’t you see.
Spiritual
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Matthäus 5:5
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
Der Turm – Damnificados – Die Invasion – Zerberus – Nächtliche Feuer – Hundefleisch – Die Bestien legen sich schlafen
Der Wolkenkratzer war das drittgrößte Gebäude der Stadt und vom obersten Stock aus konnte man den vorübergleitenden Vögeln auf den Rücken schauen. Eines schwülwarmen Augustnachmittags war Rolo Torres mit einem Fallschirm aus dem fünfzigsten Stock gesprungen. Der Schirm hatte sich nicht geöffnet, und er war mit dem Gesicht zuerst auf einem Müllhaufen gelandet.
»Wenigstens müssen wir kein Loch mehr buddeln, um den Blödmann zu begraben«, hatte der Bürgermeister gesagt.
Das Gebäude hatte zehn Jahre lang leergestanden, war von Einschusslöchern entstellt, die Farbe blätterte in der Sonne ab, schälte sich herunter wie Haut. Eine Gang Graffitikünstler hatte Botschaften in Cartoon-Schrift auf die Gebäuderückseite gesprayt: libertad, torre de mierda, cojones, viva la revolución , dazu ein Fresko mit den Umrissen zur Hölle marschierender Soldaten.
Umgeben von niedrigeren Gebäuden hatte der Monolith die Aura eines Schulhoftyrannen. Er betrachtete die Welt aus sechshundert Augen und sein Schatten bewegte sich wie die Zeiger einer Uhr, löschte jeweils mehrere Minuten lang die Bodegas, Brachen und Betonbauten ringsum aus. Im Verlauf der zehn Jahre waren die Scheiben aus den Fensterrahmen gefallen oder von verirrten Vögeln und Fledermäusen zerschlagen worden, so dass die Augen des Gebäudes hohl waren. Da die Scheiben fehlten, peitschte der Wind gespenstische Pfiffe in den Rachen des Wolkenkratzers, schoss durch seine Arterien und zischte bis in seine Lungen hinab.
An manchen Wintertagen wiegte der Monolith sich wie ein Tänzer. Und wenn das passierte, schrie der Bürgermeister, der sechzig Stockwerke weit oben auf einem Balkon hockte: »Er wird umstürzen!« Und seine Frau sagte zu ihm, er möge verdammt noch mal den Mund halten, weil er doch der Bürgermeister sei und ein Vorbild sein sollte, aber er war gelb wie eine Zitrone und er wusste es und seine Frau wusste es und seine Kinder wussten es auch und als er starb, starb er winselnd wie ein verwundeter Hund und machte sich vor seinen Feinden in die Hose, zu denen zum Schluss alle zählten, sogar seine Frau.
Und eben jene Damnificados sind es, die zwanzig Jahre später in einer lauen Mitternacht aus der Dunkelheit kriechen, eine Lumpenarmee aus Bärten und Schmutz, die sich auf den Weg zum Turm macht. Sie kommen aus Agua Suja, aus Minhas, Fellahin und Bordello, aus Sanguinosa, Blutig und Oameni Morti, aus den Pappkartonstädten und Shantytowns an den Hängen, wo der Regen Rinnen aus Schlamm gräbt und die Häuser abrutschen lässt. Sie schleppen zerschlissene Körbe und Plastiktüten, rußfleckige Decken, Mäntel aus Krinoline und Kunstpelz. Eine Frau Mitte fünfzig schiebt eine Schubkarre mit einem dreibeinigen Hund. Aus einer Ecke kommt ein Krüppel namens Nacho, schleppt seinen geschundenen Körper auf bandagierten Krücken daher, mit flinkem Blick sucht er die Straße nach Ärger ab. Krach! Ärger! Ein Vier-Zentner-Chinese bricht mit dem Fuß zuerst aus einem Loch in der Wand, tritt die Mauersteine herunter. Auch ein Damnificado. Er schaut in beide Richtungen und schwingt sich einen schartigen Holzknüppel auf die Schulter.
Die Gesichter einiger Damnificados sind mit Stoff verhüllt, wie bei Aussätzigen, nur die Augen sind zu sehen, und ihre Schritte sind abgepolstert wie Pantherpfoten, weil viele keine Schuhe haben, nur Lumpen an den Füßen. Andere bewegen sich barfuß fort, gehen geduckt und verstohlen in Zweiergruppen, huschen durchs Halbdunkel, bringen sich in Sicherheit.
Langsam und leise versammeln sie sich vor dem Hochhaus. Eine Katze entdeckt sie von ihrem Wellblechdach aus, kneift die Augen zusammen und schnurrt zustimmend. Nichts regt eine Katze mehr auf als mitternächtlicher Krawall. Die ferne Musik der Sirenen schwindet immer weiter in Vergessenheit, und dann ist da kein Geräusch mehr, abgesehen vom Trappeln der Mäuse auf Stein.
Das Dröhnen eines Busses durchbricht die Stille, als dieser seinen Rumpf um eine Ecke schwingt. Eine große Rauchwolke stiebt aus dem Auspuff, dann kommt der Bus mit einem Ruck zum Stehen und zwei schmutzige, schlaksige Teenager steigen aus, blond, drahtig und einander wie aus dem Gesicht geschnitten. Beide überspringen die letzte Stufe. Zwillings-Damnificados, Männer der Vogelscheuchenarmee.
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