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„Das Vögelhäuschen“ von Morgan Boyd
herausgegeben von: Club der Sinne®, Hinstorffstr. 110, 19412 Brüel, Dezember 2020
zitiert: Boyd, Morgan: „Das Vögelhäuschen“ von Morgan Boyd, 1. Auflage 2020
© 2020
Club der Sinne®
Inh. Katrin Graßmann
Hinstorffstr. 110
19412 Brüel
www.Club-der-Sinne.de
kontakt@club-der-sinne.de
Stand: 01. Dezember 2020
Gestaltung und Satz: Club der Sinne®, 19412 Brüel
Coverfoto: © Boas73/shutterstock.com
Covergestaltung: Club der Sinne®
ISBN 978-3-96980-004-1
Dieses eBook ist urheberrechtlich geschützt.
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Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden und volljährig.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Erfundene Personen können darauf verzichten, aber im realen Leben gilt: Safer Sex!
Morgan Boyd
Das Vögelhäuschen
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„Ende Oktober, Junge. Die Saison ist lange vorbei“, knurrte der bärtige Hüne den schmächtigen Blondschopf an, der auf der Veranda des abgelegenen Gehöfts aufgetaucht war. „In einem halben Jahr kannst du wiederkommen, dann vermieten wir die Hütten am See wieder.“
„Ich suche keine Hütte, nur den Weg nach Süden. Hat irgendwie nicht geklappt, ich habe mich total verfahren.“
„Richtig erkannt.“ Der Bärtige grinste schadenfroh. „Hier geht es nur mit dem Boot weiter.“
„Hinter Svappavaara war auf der E10 eine Baustelle, auf der Umleitung nahm das Verhängnis seinen Lauf. Das Navi ist ebenso kaputt wie die Heizung, ich habe komplett die Orientierung verloren“, erklärte der vor Kälte schlotternde Blonde und zeigte auf seinen moosgrünen Toyota Landcruiser. „Im Jeep ist jetzt fast kein Sprit mehr.“
„Ersatzkanister?“
„Ich habe zwei davon. Allerdings habe ich vergessen, sie nachzufüllen.“ Der Blonde sah sich verstört um. „Ich würde ja campen, aber die Zeltplane ist an zwei Stellen eingerissen. Ich wollte es reparieren, aber das verfluchte Klebeband will einfach nicht halten.“
„Sehe ich aus, als ob mich Pleiten-Pech-und-Pannen-Stories von irgendwelchen Touristen interessieren?“
„Na- Natürlich nicht“, stotterte der junge Mann, der den Wollschal fester um den Hals zurrte. „Es ist nur so … der Verkehrsfunk hat vor einem schweren Sturm gewarnt.“
„Mi-Mi-Mi-Mi“, äffte der Vollbärtige den Hilfesuchenden nach, während sich die Haustür einen Spalt öffnete.
„Rune, wie oft noch?“, rief eine resolute Frauenstimme. „Das Abendessen wird kalt.“
„Gleich!“, brüllte der Bärtige zurück. „Ich muss nur noch dem Tollpatsch hier ‘nen Schluck Benzin verkaufen, damit er es wenigstens bis Skaulo schafft.“
Die Tür öffnete sich schwungvoll, eine Brünette baute sich breitbeinig im Türrahmen auf. Über der rechten Schläfe wurde ihre kesse Kurzhaarfrisur von zwei blauen Strähnen geziert, am linken Ohrläppchen baumelte ein Papagei in gleicher Farbe. Die auffallend langen Beine steckten in Jeans. Sie waren eng, verwaschen, an einem Oberschenkel und beiden Knien zeigten sich ausgefranste Risse. Über der Hose trug die Frau ein blau-rot kariertes Flanellhemd. Obwohl es weit geschnitten war, konnte es die enorme Oberweite der Hausherrin nicht verbergen.
Mit ihren grünen Katzenaugen musterte sie den Jungen mehrmals von oben nach unten, stemmte die Fäuste in die Taille und sagte schließlich mit süffisantem Unterton: „Sieh mal einer an: Je später der Abend, desto schöner die Gäste.“
„Was redest du, Agnesa?“ Ihr Mann strich sich über den rostroten Bart. „Wir haben seit Wochen zu, also gibt es auch keine Gäste mehr.“
„Willst du den armen Kerl wirklich weiterschicken? Riechst du nicht, dass Schnee in der Luft liegt? Außerdem ist es schon spät, für eine Nacht kann er doch im Haus logieren.“
„Ähm, ich will wirklich nicht stören“, hüstelte der Junge, als der Hüne abermals genervt die Augen verdrehte. „Mit Benzin wäre mir schon geholf- …“
„Papperlapapp!“, fiel sie ihm ins Wort. „Meine Fischpfanne reicht nicht nur für die Köldviks. Wenn du uns verrätst, wie du heißt, bist du eingeladen.“
„Sören. Sören Beltgren“, krächzte der Gefragte. „Ich bin Fotograf. Vor einem Monat erhielt ich von einem Reisemagazin den Auftrag, eine Naturreportage über Lapplands Tundra zu machen. Habe zwölfhundert Bilder mit meiner Nikon geschossen – und das ist bereits die engere Wahl – jetzt bin ich auf dem Rückweg nach Kopenhagen.“
„Auch das noch: ein Däne“, stöhnte Rune abfällig. „Woher kannst du so gut schwedisch?“
Während die Männer der Vollbusigen ins Haus folgten, verstieg sich der Fotograf in einer langatmigen Erklärung. Der Bärtige nahm die Wollmütze ab und strich sich über die hohe Stirn.
„Mir scheint, du redest gern, Sören-Jungchen“, schnauzte er den Jungen im Korridor an.
„Nur wenn ich auf- aufgeregt bin. Es ist nämlich so, dass …“
„Klappe!“, würgte Rune den erneut einsetzenden Redeschwall des unliebsamen Gastes ab. „Du zahlst nur zweihundert Kronen, also den halben Preis, aber dafür haben wir einen Deal: Du textest meine Holde zu. Den ganzen Abend, okay?“
„Ähm, ich verstehe nicht …“
„Was gibt es da nicht zu verstehen? Du unterhältst sie, damit ich mir nach dem Essen endlich mal wieder in Ruhe ein paar Bierchen gönnen kann. Ich höre dabei meine Metallica-CDs und alles ist gut.“
„Nun, der Vorschlag mutet schon ein wenig kurios an, doch in Anbetracht der Umstände …“
„Was habt ihr zu tuscheln?“, rief es aus der Küche. „Kommt zu Tisch!“
„Gerne“, flötete Sören. „Es riecht fantastisch!“
Rune stellte sich dem Fotografen in den Weg. Seine rechte Pranke umklammerte Sörens Oberarm wie ein Schraubstock. „Deal?“
Die leise gezischte Frage war dem Dänen wie ein Befehl entgegen geschleudert worden. Sören zog es vor, seine Antwort auf emsiges Nicken zu reduzieren.
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