Stefan Kreibohm
Es begann mit einer Lüge
Vor dem Wetter kam die Tonne
Backofenbau und Dauerfeilen
Der Wetterbeobachter
Wo stehen Wetterstationen?
Potsdam oder Der Beginn der Lehre
Schwerin, ein Radiergummi und die Tassen im Schrank
Warnemünde, Schiffsmeldungen und Polonaise
Greifswald, Jiří Korn und der Verlust von Cola
Marnitz, Herr von Däniken und der Mond
Endstation Lindenberg
Die NVA rief und ich kam, weil ich musste
Wendewirren
Jeder braucht eine FuV mit GuM
Es lebe das Babyjahr!
Eine Schublade voller Namen
Der Weg zum Wetterstudio
„Du wirst am Anfang denken, dass du es nicht kannst …“
Eine halbe Million für ein Wassertaxi
Schnee oder Klopapier
Und wie wird nun das Wetter oder das Klima?
Hier bin ich im zarten Alter von 3 Tagen zu sehen. Und erfreue mich der besten Gesundheit. Vom Wahlausgang habe ich auch als „Wahlkind“ nichts mitbekommen, aber vorsichtshalber schon mal die Faust geballt .
Es ist zweifellos so, dass die Welt auf mich gewartet hat. Nicht die ganze, aber ein Teil. Damit meine ich nicht allein die Eltern oder Großeltern, die mir stets versicherten, meine Ankunft auf diesem Planeten erwartet und sich sogar auf mich gefreut zu haben. Dies wird auch so gewesen sein, nicht zuletzt, weil für mich mit dem Tag der Geburt eine fabelhafte Kindheit in und um Parchim begann.
Gewartet hat man, wie Presseberichte belegen, aber gleichfalls in der Lokalredaktion der „Schweriner Volkszeitung“ (kurz: SVZ), seinerzeit „Organ der Bezirksleitung Schwerin der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“. Ob man dafür stundenlang vor dem Parchimer Kreißsaal herumgelungert hat, ist nicht überliefert, allerdings auch nicht sehr wahrscheinlich. Dafür hätte man eine Nachtschicht einlegen müssen, denn das erste Interview mit meiner Mutter gab es schließlich in den Morgenstunden, kurz nachdem ich das künstliche Licht der Welt erblickt hatte.
Ein gefundenes Fressen für die Weltpresse, Zeitungsartikel vom 24. März 1970
Doch was wollte die Presse von meiner Mutter? Nichts. Es ging um mich! Und es ging um den Sonntag, der nicht irgendein Sonntag war. Es war Wahltag. Die meisten, selbst die Leserinnen und Leser der SVZ, werden sich kaum daran erinnern, aber am 22. März 1970 gab es in der DDR Kommunalwahlen. Für eben diese Wahl wurde ein „Wahlkind“ gesucht – und gefunden. Da ich wahrscheinlich das einzige wehrlose junge Wesen im Parchimer Krankenhaus war, blieb es an mir hängen. Ich wurde besagtes Wahlkind.
Ein Artikel entstand, in dem die Leserschaft der SVZ erfuhr, was passiert war: Stefan Kreibohm war geboren worden! Sensationell und vor allem praktisch, denn so wurden gleich alle Verwandten informiert, schließlich hatte kaum jemand ein Telefon, worüber man die frohe Botschaft hätte vermitteln können. Eine schöne, runde Geschichte, ein Kind kommt am Tag der Wahl zur Welt, Sohn der Intelligenz (Mutter Kindergärtnerin) und der Arbeiterklasse (Vater Schlosser). Wie man lesen konnte, war auch meine Mutter von den Socken, dass ihr Kind nun „in unserem sozialistischen Staat“ aufwachsen könne.
Daran habe ich mich sogar strikt gehalten, bin gewachsen, weitgehend bananenlos und ganz und gar ohne fruchtige Zwerge und dem Besten aus der Milch. Ich habe einfach gleich die ganze Milch getrunken, also wohl auch das Schlechte darin. Selbst als Wahlkind blieb mir da keine Wahl. Vielleicht auch deshalb, weil ich gar nicht an einem Sonntag geboren wurde, sondern schon an einem Freitag. Der ganze Artikel vom 24. März 1970 war eine Ente, oder realistisch betrachtet: Mein Leben begann mit einer Lüge! Gut, meine Mutter freute sich, mich gab es wirklich, ich war noch recht frisch, aber eben nicht vom Sonntag. Egal, die Zeitung wollte die Geschichte so und bekam sie. Aus einem Freitagmorgenkind wurde ein Wahlsonntagkind.
Vor dem Wetter kam die Tonne
Böse Zungen behaupten nun, dass mir, angesichts der verlogenen Begleiterscheinungen zu meiner Geburt, nichts weiter übrig blieb, als Wetteransager zu werden.
Dabei war mein erster Berufswunsch nichts, was auch nur entfernt mit Wetter zu tun hat. Allenfalls, dass ich, hätte ich ihn ergriffen, auch Wind und Wetter ausgesetzt gewesen wäre. Ich war nämlich zunächst fest entschlossen, Müllmann zu werden. Als schätzungsweise vierjähriger Knirps erschien es mir ungeheuer beeindruckend, wie die Müllmänner jeden Montag unsere Aschtonne an den großen zischenden Lastkraftwagen hängten und der Inhalt, begleitet vom lauten Klappern des blechernen Kübels, im Bauch des Wagens verschwand. Eine staubige Arbeit. Fast jeder heizte schließlich mit Braunkohle, die orange-braune Asche musste in den Tonnen entsorgt werden und beim Entleeren entwich immer etwas in die Luft und auf die Straße.
Doch da war noch etwas, was mich damals besonders in seinen Bann zog: Der Müllmann durfte auf einem kleinen Tritt am Heck das Fahrzeuges stehen, während der Fahrt! Draußen! Gab es etwas Schöneres als so durch die Straßen zu sausen? Ich war neidisch, das wollte ich auch machen – wenn ich mal groß sein würde. Verlockend war auch die Vorstellung, dass ich dann nur einen Tag in der Woche arbeiten müsste, schließlich kam das Müllauto immer nur montags. Was für ein Leben. Jetzt lag es nur noch an mir, ich hatte einfach groß zu werden und später in der Schule schön aufzupassen.
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