Und damit würde ich genau heute starten.
Ich lieh mir drei Bücher aus. Verstummt von Karin Slaughter, das Lina während Mathe gelesen hatte. Sie hatte sehr von dem Buch geschwärmt und mich damit neugierig gemacht. Außerdem hatte ich noch ein Auge auf zwei Thriller von Sebastian Fitzek geworfen. Von dem hatte ich bislang auch nur Gutes gehört. Ich war gespannt und freute mich auf meine wohlverdiente Freizeit.
Beschwingt ging ich nach Hause und legte die Bücher im Schlafzimmer auf den Nachttisch. Meist las ich abends im Bett. Da war es am gemütlichsten.
Es klingelte an der Tür. Ich öffnete und erblickte Jan. Er machte einen bedrückten Gesichtsausdruck und schaute mich verlegen an. Seinen Schlüssel hielt er unbenutzt in der Hand. Er schien sehr unsicher zu sein. Geradezu eingeschüchtert.
»Hey.«
»Hey.«
»Abi-Arbeiten gut überstanden?« Ich nickte. Jan lächelte ganz schwach und griff dann schüchtern nach meiner Hand. »Ich hoffe, du bist nicht mehr böse.«
»Ach was ... Komm rein.« Ich umarmte ihn und gab ihm einen dicken Schmatzer mitten auf den Mund. Jan grinste und erwiderte den Kuss hungrig. Zum Glück fiel ihm nicht auf, wie ich mich plötzlich verspannte und für einen kurzen Moment nach Luft schnappte.
Ein fremdes Parfum.
Ich war mir sicher. Ich roch ein fremdes Parfum an ihm. Eindeutig ein Frauenduft. Verdammt.
Nora, reiß dich zusammen. Du vertraust ihm und wolltest nicht schon wieder ein Drama vom Zaun brechen. Das hat nichts zu bedeuten. Das kann alles sein. Ein Raumspray auf der Büro-Toilette, ein neuer Duftbaum im Auto oder er hatte sich einfach heute Morgen bei der Flasche geirrt und nach Biancas Duftwässerchen gegriffen. Es könnte alles Mögliche sein. Also versau dir nicht diesem kostbaren Abend.
Es funktionierte fast perfekt. Das komische, unangenehme Gefühl und die im Untergrund brodelnde Wut konnte ich wunderbar unterdrücken. Alles würde schon gut werden.
Ich schien erstaunlich geübt darin zu sein, mich selbst an der Nase herumführen.
Wir saßen gemeinsam auf dem Sofa und schauten einen Actionstreifen. Irgendein Film mit Bruce Willis. Aber wie das eben bei Filmen mit ihm so war: kannte man einen, kannte man alle. Ich war schon nach knapp 30 Minuten fast eingenickt und lehnte mit geschlossenen Augen an Jans Schulter. Er hatte den Arm um mich gelegt und streichelte mir übers Haar.
»Morgen ist doch deine Abi-Party, oder?
»Mmmh«, bestätigte ich mit einem leisen Brummen.
»Du schenkst Getränke aus?«
»Jap. Aber ich bin direkt zur ersten Schicht eingeteilt. Danach kann ich also selbst feiern. Sag mal ...« Ich drehte meinem Kopf zu ihm und zog die Augenbrauen hoch. »Du kommst doch, oder?«
»Klaro!« Er küsste mich auf die Stirn und strich einige Haarsträhnen hinter mein rechtes Ohr. »Ich denke, ich arbeite bis 19 Uhr. Danach mach ich mich noch hübsch für dich und fahre dann direkt rüber. Ich will ja nicht, dass du dich für mich schämen musst.« Er lachte und schaute mich herausfordernd an.
»Dann streng dich aber mal an, du.« Sein Gesicht verzog sich geschockt und seine Augen weiteten sich.
»Na warte!« Mit einem drohenden Knurren stürzte er sich auf mich und kitzelte mich so lange durch, bis ich um Gnade winselte.
Abiparty
»Party!« Pablo schrie mir ins Ohr und zog mich hastig hinter die Theke. »Du siehst scharf aus, so verkaufen wir bestimmt eine Menge Cocktails. Shake it, Baby!«
Ich zog die Augenbrauen hoch und winkte ab. Pablo musste schon einiges getrunken haben. Ich sah aus wie immer. Jeans und Top. Wenn ich mir meine Klassenkameradinnen so anschaute, konnte ich kein bisschen dagegen anstinken. Moni aus meinem Biokurs hatte eigentlich, na ja, nichts an. Sie trug irgendwie einen Gürtel um den Hintern und noch einen weiteren quer über die Brüste. Mehr war es wirklich nicht. Aber verdammt, sie konnte es tragen.
Ich schaute mich hinter der Theke um und wurde sofort von zwei Mädels angeschrien, die sich bemühten, mir ihre Bestellung trotz der lauten Musik verständlich mitzuteilen.
»Zwei Tequila Sunrise!«, brüllten die beiden synchron.
Ich nickte und schaute auf den Zettel, der vor mir auf der Theke angebracht war. Eine sehr ausführliche Anleitung.
Tequila Sunrise: 6 cl Tequila, 10cl Orangensaft, 1 cl Zitronensaft und 2 cl Grenadine. 4 Euro. Daneben war ein Bild von einem fruchtig und lecker aussehenden Cocktail zu sehen. So konnte wirklich jedes Kindergartenkind Cocktails mischen. Auch wenn es das natürlich nicht sollte.
Ich machte mich an die Arbeit und war begeistert von dem Ergebnis. Ich stellte die beiden Getränke auf den Tresen, nahm 8 Euro entgegen und legte die Münzen in die Kasse. Das lief ja wie geschmiert.
Drei Stunden lang mixte ich Cocktails wie ein Weltmeister und hatte wirklich Spaß dabei. Unentdeckte Talente zeigten sich hier. Vielleicht sollte ich doch über eine Karriere in der Gastronomie nachdenken? Eventuell wäre das ja eine Möglichkeit, sich etwas dazu zu verdienen. Wenn ich mich nun nach meinem Abschluss für ein Studium entscheiden würde, müsste ich mir eh über einen kleinen Nebenjob Gedanken machen.
Immer, wenn wir zwischendurch hinter der Theke mal Zeit hatten, tranken wir auch selbst etwas. Jeden Cocktail, den wir anboten, hatte ich bereits probiert. Man musste ja wissen, was man so verkaufte.
Pablo kam mit zwei hohen Gläsern in meine Richtung getorkelt. Anhand der blauen Farbe erkannte ich zwei Swimming Pool. Die hatte ich heute bestimmt schon mindestens 20 Mal gemixt. Er reichte mir eines der Gläser und wir nahmen beide einen großen Schluck mit Hilfe unserer pinken Strohhalme. Er verzog danach angewidert das Gesicht.
»Bäh, ist der süß!«
»Das hättest du dir aber bei den Zutaten schon denken können«, lachte ich. Immerhin bestand ein Swimming Pool zu einem großen Teil aus Kokossirup und Sahne. Mir schmeckte er dafür sehr. Aber wahrscheinlich war nach fünf Cocktails eh alles egal. Ich hatte einen ordentlichen Schwips und war mehr als froh darüber, nun endlich abgelöst zu wurde. Zum Glück war meine Schicht zu Ende. Ich war so langsam nicht mehr in der Verfassung, die Cocktailliste zu lesen und Wechselgeld korrekt herauszugeben.
Pablo und ich verließen mit unseren blauen Cocktails den Arbeitsbereich - wir standen den anderen ja eh nur im Weg - und mischten uns stattdessen unters Volk. Seit wann lief mir Pablo eigentlich ständig hinterher? In den letzten Wochen häufte es sich. Aber ich empfand es nicht als unangenehm. Zwar war er manchmal etwas aufdringlich und seine Boxerei regte mich ziemlich auf, aber er war nett und lustig. Ich hatte nicht viele Freunde und wusste ihn daher sehr zu schätzen. Wir lästerten über einige Leute, die sich auf der Tanzfläche seltsam bewegten. Im Grunde war er es, der lästerte, mir immer wieder auf die Schulter tippte oder dagegen boxte , um danach, wenn er sich meiner Aufmerksamkeit sicher war, auf irgendwelche zappelnden Menschen zu zeigen. Zum Glück war heute auch einer dieser Partyfotografen anwesend. Die peinlichsten Auftritte wurden von ihm garantiert glorreich festgehalten. Da würden sich morgen einige beim Betrachten der Bilder bestimmt in Grund und Boden schämen. Aber die meisten meiner Klassenkameraden waren auch wirklich zum Brüllen. Sturzbetrunken und ohne jegliches Schamgefühl verrenkten sie sich auf der Tanzfläche - egal ob zu Techno, Rock oder Helene Fischer. Ich lachte viel, war mit meinen Gedanken aber nicht zu 100 Prozent auf der Party oder bei meinem Gesprächspartner.
Wo blieb Jan?
Ich kramte in einer Hosentasche nach meinem Handy und erkannte zwei Anrufe in Abwesenheit und eine SMS von Jan.
»Wird später.«
Mehr nicht. Mein genervtes Schnauben konnte ich nicht unterdrücken. Ich tippte ein paar Mal auf meinem Handy rum und sah, dass auch die Anrufe von Jan stammten.
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