Börne... war Heines Gespenst, seine bête noire. Bereit, das glänzende Talent jenes von Geist sprühenden Publizisten anzuerkennen, war es ihm doch unerträglich, daß man sie stets als Dioskuren zusammen nannte. „Was habe ich mit Börne zu schaffen,“ rief er ebenso häufig als unmutig aus, „ich bin ein Dichter! “ Und es lag hierin ebensoviel Wahrheit als Selbstbewußtsein...
[Hiller kehrte Ende Oktober 1832 nach Deutschland zurück, vgl. Heines Brief an ihn vom 24. Oktober; erst 1836 kam er wieder nach Paris.]
242. Ferdinand Hiller 193
1831/32
[Hiller an Karpeles:] Theoretisch oder gar praktisch verstand Heine gar nichts von Musik – er erzählte mir einstmals lachend, daß er durch lange Jahre geglaubt, der Generalbaß sei der – Kontrebaß – vonwegen seiner stattlichen Größe. Auch schrieb er mir ein Heft Lieder zusammen (mit dem Titel: Närrische Worte von H. H. – noch närrischere Musik von F. H.) – sie waren zum größeren Teil gänzlich unkomponierbar. Und doch hörte er, erriet er mit seinem aus Phantasie und Scharfsinn gekneteten Geiste viel mehr als viele sogenannte musikalische Leute aus der Musik heraus. Es gehört dergleichen, meiner Meinung nach, zu dem vielen Unbegreiflichen, was genialen Naturen eigen ist. Daß er von Musik tief ergriffen gewesen wäre, hatte ich nie zu bemerken Gelegenheit. – Mit seinem „Ergriffensein“ war es überhaupt nicht weit her; in seinen Gesprächen gestalteten sich seine Eindrücke zu geistreichen, meistens satirischen Worten... Aber an Musikern von Talent oder Bedeutung nahm er lebhaftes Interesse. Was er über dieselben geschrieben, ging aber aus sehr verschiedenen Stimmungen und Absichten hervor.
[Noch in seinen „Besuchen im Jenseits“ („Erinnerungsblätter“ 1884, S. 175) fragt Hiller den Dichter: „Hat denn Musik Sie wirklich je interessiert?“ und läßt Heine antworten: „Nur in ihren Repräsentanten.“]
24. Oktober 1831
[Börne an Jeannette Wohl:] ... Heine war bei mir und hat mir aufgetragen, Sie zu grüßen. Er fragte mich, wie oft ich Ihnen schreibe, und als er hörte, wöchentlich zweimal, war er sehr darüber erstaunt.
*Sehr liebenswürdig ist er, wenn er sich über Michel Beer lustig macht. Er ist dann ein Springbrunnen von Witz und Laune. Das läßt sich freilich nicht gut nacherzählen. Die Art, wie diese beiden Dichter miteinander umgehen, soll einzig sein; ich selbst habe sie noch selten beisammen gefunden. Heine fragt z. B. den Beer: „Warum schreiben Sie, Sie haben es ja nicht nötig?“, worüber sich B. erschrecklich ärgert. Hinter seinem Rücken sagt H., wenn ich einmal der Familie Beer meine Rechnung mache für alle die Witze, die sie mich schon gekostet haben, oder, wenn ich mich einmal mit den Beers entzweie, werde ich ein reicher Mann. Der Beer fühlt es nun in seinen Nerven, daß der Heine früher oder später einmal öffentlich über ihn herfallen wird, und geht daher bei aller Vertraulichkeit doch so ängstlich mit ihm um, wie das Hündchen mit dem Löwen*. – Höchst bedauernswürdig ist der Heine, aber nicht bloß zu beklagen, sondern auch anzuklagen, wegen seiner Gesundheit, die er durch Ausschweifungen zerrüttet und täglich mehr verdirbt. Er hat sich durch sein liederliches Leben solche Übel zugezogen, welche die Nerven und den Kopf endlich ganz zerstören, so daß dieser so geistreiche Mensch noch einmal dumm, ja wahnsinnig werden kann, wenn er nicht so glücklich ist, früher das Leben zu verlieren. Er ist so erschöpft , und das ist der Ausdruck, womit er gewöhnlich selbst klagt, daß er abends 9 Uhr zu nichts mehr, nicht zur leichtesten Unterhaltung mehr zu brauchen ist und sich zu Bette legen muß. Er leidet beständig am Kopfe. Als er mir heute sein Übel klagte, mochte ich ihm freilich die gefährlichen Folgen desselben, die er nicht kennt, nicht aufdecken, aber ich gab ihm mit dem wärmsten Eifer die besten Verhaltungsmaßregeln, wie er seine Lebensart einzurichten und sich zu heilen habe. Es ist aber nicht daran zu denken, daß er sie befolgt; denn sein Charakter ist zu morsch, er hat nicht die geringste Willenskraft mehr...
[Nach einem Brief Heines an Hiller vom 23. Oktober trafen sich beide am 24. bei Börne; Dr. Donndorf scheint mit dabeigewesen zu sein.]
25. Oktober 1831
[Börne an Jeannette Wohl, 27. Oktober:] Vorgestern war die Trauung von Dr. S. [Sichel*]. Ich und Heine waren Zeugen und mußten die Protokolle des Zivilstandes und des Kirchenbuches unterschreiben. Als der Sekretär Heine fragte, wie sein Name geschrieben werde, antwortete er: „Mit einem Hache“, statt zu sagen mit einem Asch (H). Darüber wurde er von S. [Sichel] und H. ausgelacht, was ihn in die größte Verlegenheit setzte, denn so gern und oft er spottet, so wenig kann er doch selbst Raillerie ertragen. – Bei dieser Heiratsgelegenheit, wo ich drei Stunden mit Heine beisammen war, konnte ich ihn recht gut beobachten und kennen lernen. Nie ist mir eine feigere Seele vorgekommen, die sich mit solcher Geduld von ihrem Körper tyrannisieren läßt... Sollte einmal in Deutschland eine politische Revolution eintreten, so würde Heine eine zwar kurze, aber für ihn und die Welt höchst verderbliche Rolle spielen. Er wäre, wie alle schwachen Menschen, der blutigsten Grausamkeiten fähig. Er ist von der größten Feigheit, und er hat mir offen gestanden, daß er in Italien mit Florenz seine Reise beschlossen, weil er sich gefürchtet, nach Rom zu gehen; denn er habe Feinde dort, die ihn gewiß hätten ermorden lassen (wahrscheinlich Graf Platen). Christentum, Religion überhaupt, ist ihm nicht bloß ein Greuel, es ist ihm ein Ekel . Und als er unter solchen Gesprächen mich auf der Straße verließ und ich ihm eine Weile nachsah, kam er mir vor wie ein welkes Blatt, das der Wind umhertreibt, bis es endlich, durch den Schmutz der Erde schwer geworden, auf dem Boden liegen bleibt und selbst zu Mist wird.
[Heines falsche Aussprache des französischen H hält Strodtmann (II 231) für absichtlichen Scherz: avec une ‘hache = mit einem Beil. Dieses Beisammensein mit Börne „bei der Heirat eines gemeinsamen Freundes, der uns beide als Zeugen gewählt“, erwähnt auch Heine im vierten Teil seines Börnebuches.]
30. Oktober 1831
[Börne an Jeannette Wohl, 2. November:] Sonntag habe ich mit Heine bei Valentin* zu Mittag gegessen. Wir trafen uns zufällig vor dem Hause und traten zugleich ein. Als wir ins Zimmer kamen, fragte ich Madame Valentin*: „Ist denn der Boden stark genug, kann er zwei große Männer wie wir zugleich tragen?“ Es war das erstemal, daß ich mit Heine in Gesellschaft war. Mit mir sprach er wenig, ja, er blieb immer von mir entfernt und suchte sich einen eigenen Mittelpunkt. Abends, da mehrere Leute zur gewöhnlichen Sonntagsgesellschaft kamen, bemerkte ich, daß Heine mit keinem der Bedeutenderen, Gebildeteren sprach, sondern sich gerade dem Jüngsten in der Gesellschaft, fast noch ein Knabe, zur Seite setzte und sich mit ihm unterhielt. Er war gerade bei besserer Laune als gewöhnlich, ich kann ihn also nicht einmal mit seiner Hypochondrie entschuldigen.
Seit kurzem ist eine Schauspielerin vom dritten Range mit ihrem Manne, einem Theaterdichter, hier. Bei diesen Leuten ist Heine zu allen Zeiten des Tags. Und das sind nicht etwa genialisch-joviale-lebenslustige Menschen, sondern ganz solid-bürgerliche, aber auch sehr gewöhnliche Menschen... Man merkt es dem Heine deutlich an, wie er immer gern was besonders Auffallendes sagen möchte und lieber schweigt, als etwas Gewöhnliches spricht. Besonders ärgert mich an ihm seine Sucht, immer Lachen zu erregen. Lachen ist eine der untersten Seelenbewegungen, und ein Mann von Geist sollte auf höhere Wirkungen ausgehen. Er hat mir neulich gesagt, daß er spiele, und ich habe ihm ganz freundschaftlich den Text darüber gelesen. Was ich gegen das Spiel vorgebracht, schien ihm alles neu zu sein. Überhaupt mag er sich um die Moral nie viel bekümmert haben. Der arme Heine wird chemisch von mir zersetzt, und er hat gar keine Ahnung davon, daß ich im geheim beständig Experimente mit ihm mache.
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