[Schumanns Eindruck von dem Besuch bei Heine ist, wie sein Brief an Kurrer zeigt, bedeutend individueller; Rosens Angabe hat das Klischeeartige der meisten solcher Reminiszenzen.]
Sommer 1828
Keinen von allen Dichtern seiner Zeit hat Heine so innig und warm geliebt als Karl Immermann, des Parnasses „jungen Adler“, wie er ihn nannte. Immermann war vielleicht der einzige, selbst seine nächsten liebsten Verwandten nicht ausgenommen, der nie seinen Witz, seine satirische Laune empfunden hatte. Er verschluckte ein mir heimlich mitgeteiltes Witzwort, das, wäre es damals ausgesprochen und öffentlich bekanntgeworden, Immermanns schönes Werk, das „Trauerspiel in Tirol“, die Verherrlichung Andreas Hofers, total lächerlich gemacht hätte. Die ergreifende Schlußszene des Stückes stellt den Hofer dar, wie er nimmer glauben wollte, daß Tirol und seine todesmutigen, treuen Verteidiger von Österreich aufgeopfert würden, und schließlich doch zu dieser Überzeugung gelangen mußte, als man ihm das dahin lautende kaiserliche Aktenstück mitteilte und Hofer, ganz vernichtet, das Dokument erschüttert anschauend, in die Schlußworte der Tragödie ausbricht: „Des Kaisers Siegel!“ Nun ist aber allgemein bekannt, daß der damalige Kaiser Franz von Österreich die große Passion hatte, freie Augenblicke der Anfertigung von Siegellack in allen möglichen Farben zu widmen. „Max,“ sagte Heinrich zu mir, als wir das Stück gelesen hatten, „was für eine Rührung müßte Andreas Hofer oder ein anderer im Publikum hervorbringen, wenn am Ende in Verzweiflung gerufen würde: ‚Des Kaisers Siegellack‘. Um Gottes willen aber erzähle das nie weiter, ich liebe Immermann und schone ihn weit mehr als – meinen Bruder.“
[Heine verherrlichte den Dichter des „Trauerspiels in Tirol“ im 3. Band der „Reisebilder“ (Kap. 7), der Ende 1829 erschien; der Abschnitt über Immermann, den „Adler im deutschen Vaterlande“, erschien bereits am 3. Dezember 1828 im Stuttgarter „Morgenblatt“. – Max studierte anscheinend im Sommer 1828 in München; er begleitete seinen Bruder im Juli nach Tirol.]
Sommer 1828
In München besuchte ich mit meinem Bruder Heinrich sehr oft das gastliche Haus der Gräfin D. Mittwochs war in der Regel große Abendgesellschaft. Notabilitäten jeder Art fanden sich da ein, und die Gräfin hielt etwas darauf, berühmte Fremde bei sich zu sehen. Allgemeine Unterhaltung belebte eines solchen Abends die ganze Gesellschaft, und namentlich begann ein alter Herr, höherer Marineoffizier in holländischen Diensten, eine Seefahrt zu beschreiben, die viel Interesse darzubieten schien. Alle horchten aufmerksam zu. Da gebrauchte der Erzähler ganz zufällig das Wort Astrolabium (das bekannte Instrument, um Winkel nach Graden, Minuten usw. auf dem Meere zu messen), als Heine in ein solches schallendes Gelächter ausbrach, daß nicht nur der Erzähler ganz betroffen innehielt, sondern auch die ganze herumsitzende Gesellschaft mit dem größten Befremden den Dichter ansah. Die Gräfin D., die Wirtin des Hauses, bat den Erzähler fortzufahren, und als dieser das Wort Astrolabium wiederholte, begann aufs neue das Heinesche Gelächter.
Man befürchtete allgemein eine durch nichts provozierte maliziöse Bemerkung Heines; schon zeigte sich in den Mienen der Anwesenden Mitleid mit dem so plötzlich chokierten Fremden, als die Gräfin D. das Wort rasch ergriff und sagte: „Lieber Heine, haben Sie die Güte, frei heraus zu sagen, was Sie in der so ernsten Erzählung, die uns alle so interessierte, so außerordentlich lächerlich gefunden haben?“ Jetzt sammelte sich Heine, stand auf, ging zum Fremden, gab ihm die Hand und sagte: „Mein Herr, ich bin Ihnen Genugtuung schuldig, und die Achtung vor dem Hause verlangt, daß ich nicht einen Augenblick zögere. Erlauben Sie mir eine kleine Erzählung. Die jungen Damen mögen mich ruhig ansehen, die älteren dürfen die Augen niederschlagen. Als ich vor einigen Jahren in Göttingen Student war, ritt ich zuweilen und benutzte zur Bequemlichkeit eine Leibbinde, von den wissenschaftlichen Bandagisten Suspensorium genannt.
„Ich hatte eine sehr gewissenhafte Wäscherin, die jeden Gegenstand speziell mit dem Preise aufschrieb, und da las ich einst obenan: Ein leinenes Astrolabium gewaschen, sechs Pfennige.
Gott weiß, wie meine Wäscherin an diesen maritimen Ausdruck gekommen und in diese Kapitalverwechslung geraten ist. Ich habe herzlich lachen müssen, und heute, wo ich so plötzlich und unerwartet das mir so lächerliche Wort gehört, überfiel mich ein so krampfhaftes Lachen, daß ich beim besten Willen nicht imstande gewesen, dasselbe zu unterdrücken, und ich bitte demütig, wenn noch einer von den Herren oder Damen etwas zu erzählen hat, mich auf das Wort Astrolabium gefälligst vorzubereiten.“
Man kann sich denken, welche allgemeine Heiterkeit dieser Erklärung gefolgt ist. Die Gräfin D. reichte aufs liebenswürdigste ihre schöne Hand dem Dichter zum Kusse dar, indem sie sagte: „Nicht mit Unrecht hat man Sie den ungezogenen Liebling der Grazien genannt.“
Sommer 1828
Als Heine sich in München aufhielt, befand sich in der königlichen Familie des bayrischen Hofes eine Prinzessin, die es sehr liebte, berühmte Namen bei sich zu sehen. Einstmals, nach Aufhebung der königlichen Tafel, nachdem bereits bei Tische viel von dem jungen, genialen Dichter gesprochen war, und eine andere Prinzessin den Wunsch äußerte, den Verfasser des Gedichtes „Ein Fichtenbaum steht einsam“ kennenzulernen, sagte die erstere: „Diesem Wunsche kann gleich Genüge geleistet werden, ich weiß, in welchem Künstlerkreise der Dichter zu finden ist“, und sofort wurde ein königlicher Kammerdiener mit dem Befehl abgesendet, Herrn Heinrich Heine zum Kaffee ins Palais der Prinzessin zu entbieten. Der Kammerdiener richtete bei Heine seinen Auftrag pünktlich aus. „Mein lieber Freund,“ sagte der Dichter, „vermelden Sie Ihrer Königlichen Hoheit meinen tiefsten Respekt, und sagen Sie gefälligst Hochderselben: daß ich gewohnt bin, da meinen Kaffee zu genießen, wo ich auch zu Mittag gegessen habe.“
[Strodtmann (I, 707) zweifelte die Wahrheit dieser Anekdote an, da Heine keineswegs ein so „stolzer Republikaner“ gewesen sei und damals auf gute Beziehungen zum bayrischen Hof Wert gelegt habe. Das scheint mir nicht ausgemacht; die Antwort ist gut, auch keineswegs durchaus abweisend, sondern eine gute Lehre für eine eingebildete Aristokratin, die glaubte, ihrer Dinergesellschaft zum Dessert den berühmten Dichter herumreichen zu können, den in aller Form einzuladen nicht standesgemäß gewesen wäre. Auch pflegte Heine nicht erst zu überlegen, ob er sich mit einem guten oder schlechten Witz schade – im Gegenteil: das Wort mußte heraus, ohne Rücksicht auf die Folgen bei Freund oder Feind. – Von August bis November 1828 war Heine in Italien.]
November 1828
[Ranke an Varnhagen, Venedig, Dezember 1828:] Heine war hier und hat mir die schönsten Grüße aufgetragen. Eine sonderbare Begierde, jemand, von dem ihm Nachrichten fehlten, in München zu suchen (ich glaube einen Bruder), hat ihn aus seiner florentinischen Freude gerissen. Er ist Ihnen beiden ungemein ergeben. Ein Mensch, mit dem ich wohl glaubte, angenehm leben zu können: gewiß, ich wünschte mir seine Gesellschaft öfter und länger: er hat Geist, ist ohne Anspruch und hat doch eigenes Wesen. Arnim läßt er zu meiner Genugtuung Gerechtigkeit widerfahren. Mit einem Worte, ich habe mich an ihm gefreut.
[Der, von dem Heine Nachricht erwartete, war sein Vater, der am 2. Dezember 1828 starb. Die Todesnachricht erreichte ihn auf der Rückreise, in Würzburg; er eilte sogleich nach Hamburg. Dorthin waren die Eltern im Sommer 1828 übergesiedelt. Gustav hatte hier ein Speditions- und Produktengeschäft, das aber schon im Sommer 1829 liquidieren mußte.]
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