Alina Schwermer
Wie fangeführte Klubs
den Fußball verändern wollen.
Neun Geschichten
von Deutschland bis Israel
VERLAG DIE WERKSTATT
Die Autorin
Alina Schwermer, Jahrgang 1991, hat Journalistik studiert und ist heute verantwortlich für den Berlin-Sport der Taz . Außerdem schreibt sie manchmal für die Jungle World . Sie ist Kölnerin und adoptierte Berlinerin.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Copyright © 2018 Verlag Die Werkstatt GmbH
Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.deAlle Rechte vorbehalten. Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH, Göttingen
ISBN 978-3-7307-0408-0
Alina Schwermer
Wir sind der VereinWie fangeführte Klubs den Fußball verändern wollen. Neun Geschichten von Deutschland bis Israel
Inhalt
Einleitung Wir holen uns unseren Fußballklub zurück
Kapitel 1 – AFC Wimbledon Aufbruch im Mutterland
Kapitel 2 – Fortuna Köln Die totale Demokratie
Kapitel 3 – AFC Telford United Gegen die Glasdecke
Kapitel 4 – Austria Salzburg Biedermänner und Brandstifter
Kapitel 5 – CAP Ciudad de Murcia Eine neue Avantgarde
Kapitel 6 – HFC Falke Eine neue Liebe und ein neues Leben
Kapitel 7 – FC Schalke 04 Insel der Unruhe
Kapitel 8 – NK Zagreb 041 Rechts im Osten
Kapitel 9 – Beitar Nordia Die Grenzen des Idealismus
Ausblick „Vielleicht scheitern wir, aber wir haben alles versucht“
Literatur und Links
Widmung
Für Markus, der überall, wo er hinkommt, Sonnenschein in die Welt bringt und meine große Liebe ist, obwohl er sich nicht ausreden lässt, BVB-Fan zu sein. Für Olchi, mit der ich Fußballer gemalt, bei Daniel Schwaab gesungen und das Trikot in Rummenigges Suppe getaucht habe und die immer mein Blutsbruder ist. Für Isa, den kleinen Tiger, die nie Olli Kahn wurde, aber viel mehr und auf die ich stolz bin. Für Mama und Papa, die bei Minusgraden mit uns nach München ins Stadion gefahren sind, geduldig Tausende Panini-Bildchen gekauft haben und ohne die es das Buch nicht gäbe.
Für alle Mädchen, die denken, sie könnten nicht Fußball spielen.
Einleitung
Wir holen uns unseren Fußballklub zurück
Im Juli 2017 richteten Medien weltweit einen kurzen Moment ihre Aufmerksamkeit auf einen englischen Achtligisten namens Lewes FC. Der von seinen Fans geführte Verein aus dem Süden Englands hatte gerade bekanntgegeben, gleiche Bezahlung und gleiche Trainingsbedingungen für sein Männer- und Frauenteam einzuführen. Lewes FC wurde damit offiziell der erste semi-professionelle Verein der Welt, der diese Gleichberechtigung wagte.
Die Fans eines bis dato unbekannten Achtligisten schafften es, eine internationale Debatte auszulösen. Wenige Monate später gab der norwegische Fußballverband bekannt, dass seine Frauen-Nationalelf ab 2018 gleiche Prämien kassieren wird wie das Männerteam. Das Beispiel Lewes FC dürfte eine Rolle gespielt haben. Etwa zur gleichen Zeit gab es am anderen Ende des Kontinents ein Gerichtsurteil, das nationale Aufmerksamkeit erhielt: In Israel sind Fußballvereine der ersten beiden Ligen seit 2017 gerichtlich dazu verpflichtet, ihr Wirtschaften transparent zu machen und jährlich einen umfassenden Finanzbericht ihrer Einnahmen und Ausgaben zu veröffentlichen. Darauf gedrängt hatte vor Gericht die Organisation Israfans, die unter anderem fangeführte israelische Klubs vertritt. Weil viele israelische Vereine die schon länger bestehende Vorschrift ignoriert oder nur halbherzig befolgt hatten, waren die Fanaktivisten vor Gericht gezogen. Und bekamen Recht.
Die beiden Beispiele sind kleine Nachrichten im Vergleich zum neuesten Neymar-Transfer, aber sie zeigen, wie Fanvereine den Fußball beeinflussen, oft unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. Und ohne, dass die meisten ihre Geschichte kennen. Obwohl sie in Zukunft wichtig werden könnten.
Gehaltsinflation
Von Fans geführte Fußballvereine, im Deutschen oft Fanvereine genannt, sind ein fußballhistorisch neues Phänomen. Sie lassen sich wahrscheinlich nicht verstehen ohne die Entwicklung von Fußball und Fankultur in den letzten 25 Jahren. Fanvereine sind ein Krisenprodukt, und ihr Aufbruch beginnt in den 2000ern. Die massive Veränderung des Fußballs wird oft in Schlagworten beschrieben. Wir kennen sie alle: Von Glitzerwelt ist die Rede, von kickenden Millionären, Retortenklubs, Verlust von Tradition, Multifunktions-Arenen oder Eventfans.
Das große Stichwort lautet Kommerzialisierung. Es ist ein ständig genutzter, aber im Grunde irreführender Begriff, weil er etwas sehr vereinfacht und rein negativ zeichnet, was eigentlich sehr komplex ist und Sport und Zuschauer auch profitieren lässt. Wenn Kommerzialisierung der Vorgang ist, bei dem ideelle Dinge zunehmend von Wirtschaftsinteressen dominiert werden, hieße das ja, dass der Fußball ursprünglich etwas rein Ideelles war. Das war er aber so gut wie nie.
Kommerziell ist der Fußball spätestens seit Einführung des Profitums Anfang des letzten Jahrhunderts. Ein ökonomischer und politischer Spielball war er schon lange vorher, schon für die ersten englischen Unternehmer, die Werksvereine gründeten, um die Arbeiterklasse gefügig zu machen.
Unschuldig war der moderne Fußball nie. Die Ungleichheit, die jetzt viele beklagen, erleiden ganze Kontinente schon lange; Afrika und Südamerika etwa, die seit Jahrzehnten Spielerlieferanten für den reichen europäischen Markt sind. Richtiger wäre: Der Fußball erlebt eine Gehaltsinflation. Oder auch: Der (westeuropäische) Fußball erlebt einen Investitionsboom und vermehrte Ungleichheit innerhalb seines eigenen Systems. Und einen massiven Wandel seiner Kultur hin zum Entertainment. Die Vermarktung, die so alt ist wie die Fußballbildchen in den Zigarettenpackungen der 1920er Jahre, bringt durchaus Vorzüge: Gerade die Popularität des Fußballs hat Vereine lange vor dem Einfluss von einzelnen Investoren geschützt. Der Volkssport Nummer eins konnte hohe Summen durch Eintrittsgelder und Anhängerschaft generieren; gerade der von Wirtschaftsinteressen durchdrungene Fußball war paradoxerweise viel unabhängiger von einzelnen Großsponsoren als die meisten Randsportarten. Die großen Geldflüsse haben es möglich gemacht, dass Spieler aus Arbeiterfamilien die Chance hatten, sich dem Fußball zu widmen, sie haben die meisten technischen und taktischen Entwicklungen ermöglicht, und der große Boom der 1990er rettete den Fußball aus der tiefen Krise der 1980er Jahre.
Viele Anhänger von Randsportarten schauen bis heute mit einem gewissen Befremden auf den Kommerzhass der Fußballfans, ein Erste-Welt-Problem, wenn andere Sportarten um jeden Cent ringen müssen. Im Fußball aber hat der rapide Investitionsboom einen Kulturschock ausgelöst. Es herrscht eine diffuse Krisenstimmung in den Fankurven bei gleichzeitig anhaltend wachsenden Geldströmen und den bekannten positiven und negativen Konsequenzen. Und das schafft die ideologische Erzählung für viele fangeführte Vereine.
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