Wollt ihr wissen, wo sie liegt? Sie liegt hinter den sieben Bergen, über die Schneewittchen geklettert ist. Die sieben Zwerge sind meine Nachbarn und helfen mir mein Gärtchen zu bauen. Sie liegt mitten in dem Wald, in dem Hänsel und Gretel sich verirrt haben; aber die Knusperhexe ist, Gott sei Dank, tot. Sie ist in ihrem Backofen verbrannt, und der Wind hat die Asche verweht. Die Klause ist fest und stark gebaut, aus dicken Baumstämmen, und alle Ritzen sind mit Moos ausgestopft. Daneben fließt das klare Jungbrünnlein vom Felsen. Jedes Mal, wenn man daraus trinkt, wird man einen Tag jünger. Auch eine Laube ist da von Jelängerjelieber; sie blüht beinahe das ganze Jahr, und da sitze ich an heißen Sommertagen. Für den Winter liegt ein hoher Stapel Holz hinter der Klause, das heizt mir die Kälte weg. Es ist nicht gestohlen, der Förster Specht hat es mir geschenkt. Vorräte habe ich genug. Meister Hamster und Frau Eichhörnchen sind meine Lieferanten, und sie geben es billig. Musikanten habe ich einen ganzen Chor; sie spielen die allerneuesten Stücke umsonst, und wenn ich will, kann ich auch dazu tanzen. Aber das wäre eher etwas für euch, mir geht der Atem aus, wenn ich springe. Mir steht es besser an, aus meinem großen Buche zu beten. Dann läute ich vorher mit meinem Glöcklein, dass die Leute weit draußen auf dem Felde die Mütze abnehmen und sich von fern erbauen an dem frommen Waldbruder.
Und schön ist es hier, wunderbar schön! Ihr glaubt es gar nicht. Die alten Bäume haben Stämme wie Kirchsäulen, und ihre Wipfel wiegen sich im blauen Himmel und brausen wie eine mächtige Orgel. Die Sonnenstrahlen hüpfen durch die Zweige nieder bis zu den stillen Waldblumen und streicheln ihnen über das fromme Gesicht. Das Moos brennt wie grünes Feuer. Und es ist so still, dass man die Käferchen krabbeln hört im Laub. Wenn man ganz angestrengt lauscht, hört man die dicke Hummel husten. Sie ist gestern in den Bach gefallen und wäre ertrunken, wenn ich ihr nicht herausgeholfen hätte. Jetzt hat sie einen leichten Schnupfen. Sie will mir auch zum Danke ein Eichelnäpfchen voll Honig schenken. Ihr dürft einmal daran lecken, wenn ihr mich besucht. Zuweilen weht auch ein leises, tiefes Atmen herüber, dann geht der liebe Gott durch den Wald.
Ja, es ist wunderschön, aber etwas fehlt mir noch. Es ist zu einsam. Ich muss ein bisschen Leben um mich haben. Am liebsten habe ich Kinder. Lustige, kleine Trabanten, mit denen ich ein wenig plaudern kann. Wollt ihr mich nicht zuweilen auf ein Stündchen besuchen kommen in meiner Waldklause? Wenn ihr bange seid vor meinem langen Barte, dann schneide ich ihn wieder ab. Aber er tut euch nichts. Es ist kurzweilig hier, und ich weiß viele Geschichten, schöne Märchen, die man kaum glauben kann, und Gedichte, die sich ganz geschickt reimen, und Rätsel, die man aufknacken muss wie Nüsse, und lustige Spiele. Auch ein paar gute Lehren gebe ich euch dazu, aber nicht zu viel. Was meint ihr nun, wollt ihr zu dem alten Waldbruder kommen, dann und wann auf ein Stündchen?
Ihr denkt wohl, der Weg sei zu weit und schwer zu finden. Keine Sorge, die Sache ist ganz einfach. Ich habe mir ein Luftschiff gekauft, das soll euch abholen und zurückbringen – wuppdich, seid ihr hier, und wuppdich, seid ihr wieder zu Hause. Es ist ein feines Luftschiff, rosenrot angestrichen; darum habe ich es »Morgenrot« getauft. Herauspurzeln wird keins, denn die Bänke sind stark mit Pech bestrichen. Es ist aber Glückspech und lässt zur rechten Zeit los, macht euch keine Flecken. Frau Holle hat mir dies Pech geschenkt, das ist eine gute alte Tante von mir. Hunger braucht ihr bei mir nicht zu leiden. Ich habe mir ein Tischleindeckdich bestellt. Der Schreiner sagt, morgen wäre es fertig; es ist aber teuer gewesen.
Dass mir nur die Knaben keinen Unfug machen und mein Füchslein in den Schwanz kneifen oder gar meinem Häslein das Fell über die Ohren ziehen! Sonst kommt der Knüppel-aus-dem-Sack, der lauert immer hinter meiner Klausentür. Die Mädchen werden schon artig sein, dürfen aber nicht allzu viel plappern. Sonst wird meine Nachbarin, Frau Einsamkeit, verdrießlich. Singen und springen dürft ihr, so viel ihr wollt. Dabei werdet ihr gute Gesellschaft haben. Frau Nachtigall hat viele neue Lieder eingeübt und die Eichhörnchen allerlei Reigentänze. Sogar das Schnecklein hat verlauten lassen, es wolle mittanzen. Ich fürchte aber, dass es etwas langsam geht, denn es will sein Häuslein nicht zu Hause lassen.
Also, liebe Kinder, kommt zum Waldbruder!
In der
Waldklause
Erlebnisse des Waldbruders im ersten Jahre
Winter 
Drei Gedichte
Willkommen!
Das Märchen
Mein Patenkindchen
Fastnacht
Die Entdeckung
Verdruss
In den langen Stiefeln schwer
Stapft der König Winter her ,
Weiß der Pelz und rot die Nase .
Blanke Brücken baut er flink ,
Und auf seinen Hauch und Wink
Blumen blüh’n am Fensterglase ,
Deckt die Welt zur guten Ruh
Weich mit weißen Decken zu .
Doch in meinem Kohl der Hase
Hoppelt sachte hin und her ,
Weiß, ich habe kein Gewehr –
Lass ihn! Hunger macht Beschwer .
Herr Winter ist ein guter Mann ,
Der gar gewaltig schneien kann ,
Da muss man schön zu Hause bleiben
Und sich daheim die Zeit vertreiben .
Im Winter gibt es Eis und Schnee ,
das tut mir aber gar nicht weh .
Ich mach‘ ein Feuerlein und hause
Vergnügt in meiner warmen Klause .
Seid ihr alle da, Buben und Mädchen, groß und klein? Das freut mich, und nun sollt ihr mir herzlich willkommen sein in meiner Klause.
Ihr schaut euch um und denkt, wo ist denn der grüne Wald? Es ist ja alles kahl, und der Wind pfeift scharf durch die Baumstämme. Ja, liebe Kinder, es ist Wintertag, auch in meinem Walde. Aber das macht nichts; es ist hier auch im Winter lustig. Nur herein in meine Klause, da drinnen brennt ein warmes Feuer. Nur herein, so viele ihr seid, ihr habt Platz genug! Mein Haus wird nie voll, so kunstvoll hat der Baumeister es gebaut. Es findet sich immer noch ein behagliches Eckchen, wo man unterschlüpfen kann.
So, nun will ich noch einen Armvoll Tannenzapfen aufs Feuer werfen. Das prasselt so lustig, und die Funken sprühen dann wie goldene Garben in die Höhe. Ihr müsst nicht erschrecken, wenn es zuweilen dahinten in der Ecke unheimlich knappt. Das tut Frau Eule mit ihrem dicken Schnabel. Der hohle Baum, in dem sie wohnte, ist neulich bei dem großen Sturm umgefallen. Sie war sehr betrübt, da sie obdachlos war, und hatte vergebens bei Frau Eichhörnchen angeklopft. Die hat ihr mit dem buschigen Schweif um die Ohren gefegt und gesagt, sie solle sich zum Kuckuck scheren. Herr Kuckuck ist aber verreist und kommt erst nächsten Sommer wieder. Da habe ich der Muhme Eule Quartier gegeben in meiner Klause, und zum Dank fängt sie mir die überflüssigen Mäuse weg, die mir mein bisschen Speck auffressen wollen. Nur meinen drei weißen Mäuslein darf sie nichts tun. Die wohnen dort in dem alten verschlissenen Holzschuh und sollen euch gleich eine kleine, feine Komödie vorspielen. Sie spielen am besten das Stück von der geduldigen Genoveva und können dabei so rührend piepen, dass sogar Frau Eule anfängt zu schluchzen. Gestern hat sie geweint, dass die Tränen nur so ins Feuer zischten. Sie hätte es beinahe ausgelöscht.
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