„Sire! Sehen Sie allem entgegen, da es doch kommen soll. Geh in Frieden!“
Was hieß das? Der König verlor die Geduld bei den Ausfällen und den Rätseln des Alten; verließ das Zimmer und betrat die Straße seiner Stadt Noyon: da wälzte sich Volk, ein dichter Haufen. Erst beim Erscheinen des Königs lichtete er sich, und aus seinem Innern entließ das Gewühl keinen anderen als Herrn d’Estrées, Gouverneur der Stadt, aber seit dem großen Aufstieg seiner Tochter auch Gouverneur der Provinz. Nur schwer gelangte er hervor, noch mehrere Hände griffen nach ihm.
„Herr Gouverneur, wer erlaubt sich, Sie anzurühren?“ fragte der König stark, und da seine Wache vorging, begann das Volk zu flüchten. Herrn d’Estrées waren die Kleider aufgerissen, sonderbare Sachen hingen heraus: Kindermützchen, ganz kleine Schuhe, eine Uhr aus Blech, ein hölzerner Apfelschimmel, glänzend lackiert.
„Ich habe ihn gekauft“, sagte Herr d’Estrées.
„Mein Mützchen hat er nicht gekauft“, behauptete eine Ladenbesitzerin. Ein Handwerker schloß sich an. „Meine Säuglingsschuhe auch nicht.“ Ein anderer bat freundlich, aber nicht ohne Spott, ihm seine Spielsachen gefälligst zu bezahlen. Der König betrachtete in peinlicher Erwartung seinen Gouverneur, der unverständlich kollerte, aber besonders seine rot überlaufene Glatze verriet ihn. Sein Hut lag zertreten am Boden, unversehens zog ein gut gekleideter Bürger etwas daraus hervor — sieh da, ein Ring: keine Nachahmung, ein echter Stein. „Aus dem Kasten, den Herr d’Estrées sich von mir vorlegen ließ“, erklärte der Kaufmann.
„Nichts fehlt von den Sachen“, sagte der König. „Ich hatte mit dem Herrn Gouverneur gewettet, daß er sie so still und heimlich nicht würde kaufen können. Hab verloren und bezahl euch.“
Sprach es und ging mit großen Schritten ab.
Hiernach verließ er schnell und ohne Abschied die Stadt: d’Armagnac hielt immer die Reisesäcke fertig, die Pferde waren gesattelt. Henri dachte zwischen sich und die Familie d’Estrées einigen Abstand zu bringen, Krieg zu führen und unbeschwert, zu reiten. Aus Sehnsucht indessen nach Gabriele, und auch weil er sich ihrer zu schämen hatte, setzte er in den Laufgräben vor Rouen sein Leben aus. Die Königin von England verübelte es ihm empfindlich, wie er durch Briefe seines Gesandten Mornay erfuhr. Mehrere katholische Edelleute warnten ihn inzwischen, daß sie nicht länger zusehen könnten, bis er sich bekehrte. Mayenne gab ihnen eine letzte Frist, um zu der Mehrheit überzugehen. Sie hatten noch die genaue Zeit, bis die Ständeversammlung zusammentrat. Es stand aber fest: nur einen katholischen König wählte diese. Inmitten aller seiner Bedrängnisse sieht Henri eine Sänfte die Straße von Dieppe herniederschaukeln. Er weiß sogleich, wen sie ihm bringt, sein Herz schnellt hoch, aber es ist nicht Freude und heftiges Verlangen, wie das erstemal, daß die Sänfte ankam in Tal Josaphat. Dazwischen liegt viel.
Er ging in sein Haus und erwartete sie dort. Gabriele, still und allein, betrat das Zimmer. „Sire! Sie demütigen mich“, sagte sie — ohne Klage oder Vorwurf, in all ihrer gelassenen Schönheit, und diese quälte ihn wie etwas Verlorenes. An dem Vollkommenen entdeckte er Züge, die darüber noch hinausgingen: dies, während beide schwiegen, aus Furcht vor dem Gespräch, das sie führen sollten. Ein Anflug von Doppelkinn, sah Henri. Eine geringe Falte, sichtbar nur in einem gewissen Licht, aber wie über alle Maßen herrlich! „Ich bin bereit, Madame, Sie zufriedenzustellen“, hörte er sich sagen, so förmlich wie zu einer Fremden. Sie behielt dennoch ihre würdige Vertraulichkeit.
„Wie konnten Sie die Sache nur so falsch anfassen“, sagte sie mit Kopfschütteln. „Sie mußten meinen Vater und mich selbst in Schutz nehmen gegen die Leute von Noyon, die uns nicht mehr achten wollen.“
„Man kann es von ihnen nicht verlangen“, sagte er hart — winkte aber gleichzeitig nach einem Sessel, in den sie sich setzen sollte. Sie tat es und betrachtete ihn um so strenger. „Sie selbst haben alle Schuld. Warum bestraften Sie nicht auf der Stelle das dreiste Volk, das Herrn d’Estrées hei Ihnen verklagte.“
„Weil sie recht hatten. Die Einkäufe hingen meinem Gouverneur aus allen Schlitzen seiner Kleidung. Mir war zumute, als hätte ich es selbst getan.“
„Wie kindisch! Es ist eine kleine unbedeutende Schwäche von ihm, in letzter Zeit mag sie zugenommen haben. Wir waren daran gewöhnt; aus bloßer Vergeßlichkeit versäumte ich, Sie vorzubereiten. Wie oft schon war meine Tante de Sourdis zu den Kaufleuten gefahren und hatte den Irrtum aufgeklärt. Übrigens pflegt es sich um wertlose Gegenstände zu handeln.“
„Der Ring ist nicht wertlos“, stellte er fest und betrachtete mit Verblüffung ihre wunderbare Hand, wie sie auf der Lehne ruhte, wie der Stein daran glänzte. Der Ring, sie trug ihn!
„Ich staune“, äußerte er, obwohl eher Bewunderung aus seinem Ton sprach. „Aber, Madame, erklären Sie mir, was mein Gouverneur mit Spielsachen für Kinder macht.“
Sie sah ihn an, und ihr Blick verwandelte sich. Vorher hell und freimütig infolge des Zornes über empfangene Beleidigungen, trübte er sich jetzt von einer Zärtlichkeit. Oh! die hatte sie nicht absichtlich herbeigerufen.
„Gabriele!“ rief Henri halblaut; die schon erhobenen Arme sanken ihm wieder herab. „Wozu das Spielzeug?“ flüsterte er.
„Es liegt nun bereit für das Kind, das ich bekommen soll“, sagte sie — senkte die Stirn, bewegte die geöffneten Hände leise nach ihm hin. Demütig und ihres Rechtes gewiß, erwartete sie, geküßt und bedankt zu werden.
Bei ihrem nächsten Zusammensein verlangte sie mehr: der König sollte Herrn d’Estrées zum Großmeister der Artillerie ernennen. Er schulde ihrem Vater eine Genugtuung, darauf beharrte sie. Warum gerade diese? Sie erklärte es nicht. Henri versuchte den Fall leicht zu nehmen. „Was versteht Herr d’Estrées von dem Gebrauch des Pulvers. Den grauen Turm hat er nicht gesprengt.“
Sondern Baron Rosny hatte ihn gesprengt, als der König die Stadt Dreux belagerte. Rosny, der ein großer Rechner war, beherrschte auch die Kunst der Minen und Geschütze. „Die Mine des Herrn de Rosny“ war vor Dreux ein geläufiger Ausdruck des Spottes für die umständlichen Arbeiten eines ehrgeizigen Pedanten, sechs Tage und sechs Nächte, bis die dicken Mauern des grauen Turmes mit vierhundert Pfund Pulver ungefüllt waren. Das Hoflager mitsamt den Damen versammelte sich bei dieser Sprengung und erging sich in Witzen, als zuerst nur viel Rauch und ein dumpfer Knall kam, dann aber sieben und eine halbe Minute gar nichts. Die gelehrte Anmaßung des Hauptmanns schien bestraft — und dennoch, auf einmal spaltete sich der Turm von oben bis unten, einen Krach ergab es ohnegleichen, und er fiel ein. Niemand hatte es vorher geglaubt, auch die Belagerten nicht. Standen auf dem Turm und verunglückten in Massen. Einige Überlebende bekamen von dem König je einen Taler. Rosny, der Gouverneur hätte werden wollen, sah sich wieder einmal verdrängt, erstens, weil er „von der Religion“ war. Sein Gegner, der dicke Schurke d’O, konnte überdies dem König einen Teil der öffentlichen Gelder versprechen, soviel er selbst davon nicht stahl. Wie wäre er nicht Gouverneur geworden.
Aber die Großmeisterei der Artillerie, sie wenigstens blieb offen, und Henri war entschlossen, sie seinem verdienten Rosny zu geben. Er wollte ihn damit belohnen, wenn der Brave aus der Stadt und Festung Rouen zurückkehrte, wohin sein König ihn entsendet hatte mit dem Auftrag, den Preis der Übergabe auszuhandeln.
„Schöne Liebe!“ sagte Henri zu Gabriele d’Estrées. „Geliebte Herrin!“ bat er. „Erlassen Sie mir diesen Wunsch. Wählen Sie für Herrn d’Estrées, was Ihnen sonst in den Sinn kommt, nur die Großmeisterei nicht.“
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