Sie war so stolz auf ihr neues Pferd! Riegel war schön und von edler Rasse. Ein warmes Glücksgefühl stieg in Petra auf, als sie das Jungpferd so zufrieden mit sich und der Welt grasen sah. Nun gehörte Riegel ihr ganz allein. Die lange Suche nach dem richtigen Pferd hatte sich gelohnt.
„Du weißt wohl noch nicht, daß Fuchsa im nächsten Jahr ein Fohlen bekommt?“ fragte Petrus.
„Ein Fohlen? Nein, davon hatte ich keine Ahnung“, erwiderte Petra überrascht. „Das ist ja toll! Werdet ihr es behalten oder verkaufen?“
„Ach, wir werden’s wohl verkaufen müssen“, sagte Petrus bedächtig. „Fuchsa reicht uns ja wirklich für die Arbeit auf dem Hof und im Wald; ein zweites Pferd brauchen wir nicht.“
Petra sah ihn verwundert an, doch im nächsten Augenblick wurde ihr klar, daß er recht hatte. Fuchsa war erst neun Jahre alt. Nach menschlichem Ermessen konnte sie noch viele Jahre im Wald arbeiten, und das war mehr, als man von Petrus behaupten konnte. Er war nun schon über siebzig, und den größten Teil seines Landes hatte er bereits vor Jahren an Petras Eltern verpachtet. Er fällte zwar noch immer Bäume und verkaufte sie, doch im letzten Winter hatte er auch das nicht mehr so häufig getan. Seine Kräfte ließen einfach nach.
Plötzlich fand Petra, daß er alt und müde aussah. Er hatte sein Leben lang schwer gearbeitet. Und in ihr Glück über die Heimkehr mit Riegel mischte sich ein leises Gefühl der Wehmut.
„Da kommen sie ja!“ stieß Lena aufgeregt hervor. „Mit dem Anhänger!“
Die Schwestern waren in die Reitschule zurückgekehrt und hatten eben abgesattelt. Nun beeilten sie sich, auf den Stallhügel zu kommen.
„Hallo, Astrid! Hallo, Lena!“ rief Petra, als sie aus dem Auto stieg.
„Hallo!“ schrien beide, und Lena fragte: „Hast du dein Pferd dabei?“
„Nein, wir wollten gleich Karins Anhänger zurückbringen“, erklärte Petra. „Riegel ist schon bei Fuchsa auf der Weide.“
„Wie ist es denn?“ fragte Astrid. „Dein neues Pferd, meine ich!“
„Ach, wunderbar!“ erwiderte Petra aus tiefstem Herzen.
„Du hast kaum mehr geschrieben, als daß es Riegel heißt und vier Jahre alt ist“, sagte Astrid.
In ihrer Stimme schwang eine Mahnung: Erzähle genau, schildere dein Pferd so, daß ich es mir richtig vorstellen kann!
„Riegel ist ein hellbrauner Wallach mit dunklen Beinen und gestutzter Mähne“, erklärte Petra. „Zwischen den Nüstern hat er ein winziges weißes Fleckchen und am rechten Hinterbein eine weiße Fessel. Er ist sehr groß und macht wunderbar lange Schritte. Wenn er wiehert, klingt es wie bei einem Fohlen. Er ist gerade erst eingeritten worden, aber ich glaube, daß er eine Menge leisten kann.“
„Und ist er auch lieb?“
„O ja, im tiefsten Innern ist er sehr lieb, ganz sicher!“
„Nur im tiefsten Innern?“ fragte Astrid zweifelnd. Sie bevorzugte Pferde, die durch und durch lieb waren.
Nun kam Karin, die Reitlehrerin, aus dem Stall, und Petra mußte ihr Pferd noch einmal beschreiben, während sie Karins Anhänger vom Auto ihres Vaters losmachten.
„Ja, da kann er jetzt bis zum Dressurwettkampf stehen bleiben“, sagte Karin, als sie den Anhänger zur Seite gerollt hatten und sich vergewisserten, daß er fest stand.
„Zum Dressurwettkampf? Wollen Sie daran teilnehmen?“ fragte Petra.
„Ja, und die Zwillinge Verelius und Rose-Marie auch. Sie sind für die Juniorklasse angemeldet. Rose-Marie hat den ganzen Sommer über mit Ballade trainiert.“
„Auch, als die Reitschule geschlossen war?“
Die Reitlehrerin nickte. „Ja, da hatte sie Ballade auf einer Koppel bei ihrem Onkel stehen.“
Petra bekam richtig Lust, sich selbst zum Wettbewerb in der Distriktsmeisterschaft zu stellen. Und als sie mit ihrem Vater wieder auf dem Heimweg war, spürte sie etwas wie Neid in sich aufsteigen. Natürlich war Riegel noch zu jung und ungeschult, um für die Reitschule antreten zu können. Petra hatte zwar mit ihm im Gestüt von Strandängen an einem Dressurwettkampf teilgenommen, doch das war nicht allzu gut gegangen. Außerdem würde in keinem der Anhänger Platz für Riegel sein. Die beiden Vollblüter der Zwillinge würden natürlich in Herrn Verelius’ Anhänger zum Turnierplatz gefahren werden, und Ballade und Rex in dem von Karin. Allerdings hätte Rex, der mit Karin für die Seniorklasse angemeldet war, ja auch noch mit Petra in der Juniorklasse antreten können. Petra hoffte, daß die Reitlehrerin ihr diesen Vorschlag machen würde. Es blieb ja noch immer genug Zeit für das Training, und Petra war schon sehr oft auf Rex geritten.
Ihre Überlegungen wurden unterbrochen, als sie auf den heimatlichen Zufahrtsweg einbogen. Der Granberghof lag auf einer kleinen Anhöhe. Sie fuhren am Obstgarten vorbei, in dem sich die Apfelbäume unter der Last der unreifen Früchte bogen, und erreichten den Hofplatz. Das rote Wohnhaus leuchtete im Sonnenschein, und Ringelblumen und Dahlien blühten in den Rabatten rechts und links von der Eingangstür.
Endlich wieder daheim! dachte Petra glücklich. Den ganzen Sommer lang hatte sie als Stallhelferin im Gestüt von Strandängen gearbeitet. Es war eine schöne Zeit gewesen, und Petra hatte eine Menge gelernt. Trotzdem wußte sie, daß sie zum Granberghof gehörte. Hierher würde sie stets zurückkehren, wohin sie auch immer reisen mochte.
Ihre Mutter hatte schon das Abendessen vorbereitet, und bald saßen alle drei am Tisch. Die Küche auf dem Granberghof war ein großer, gemütlicher Raum mit langen Flickenteppichen, grünkarierten Vorhängen und blühenden Pelargonien an den Fenstern.
„So, jetzt mußt du uns aber erzählen, wie es dir in Strandängen ergangen ist!“ sagte Frau Granberg.
Wie war es ihr in diesem Sommer ergangen? Petra dachte an das Gestüt, das sie am Morgen verlassen hatte. Die Augustsonne hatte von einem wolkenlosen Himmel gebrannt, und die Pferde hatten sich in den Schatten der Bäume zurückgezogen. Petra hatte sich von Rolf und Gerda, den Besitzern des Gestüts, verabschiedet – und auch von Mick, dem Pferdepfleger, der nur ein Jahr älter als sie selbst war. In diesem Augenblick wäre sie am liebsten geblieben. Sie hatte weder die drei Freunde noch die Pferde verlassen wollen. Doch das schönste Pferd durfte sie ja mitnehmen, und Mick hatte versprochen, ihr zu schreiben und zu berichten, wie es auf Strandängen stand.
Petra wußte kaum, wie sie alles erzählen sollte, doch mit der Zeit kam sie so richtig in Fahrt.
Nach dem Essen half sie beim Geschirrtrocknen und sah dabei immer wieder aus dem Fenster. Dort unten auf der Weide des Nachbarhofs stand Fuchsa mit hoch erhobenem Kopf und lauschte zum Wald hinüber. Ihre lange, blonde Mähne leuchtete in der Abendsonne wie gesponnenes Gold. Riegel gesellte sich mit langen Schritten zu ihr und zupfte an einem Grasbüschel.
Petra ließ den Blick über seinen anmutigen Hals gleiten, die langen Beine, den tiefen Brustkorb und die straffe Rückenlinie. Sie konnte es kaum erwarten, das Pferd ihrer Freundin Karin und allen anderen Freunden im Reitclub zu zeigen.
Es war schön, am nächsten Morgen wieder im eigenen Bett aufzuwachen. Petra fand es nur schade, daß die Sommerferien schon in ein paar Tagen zu Ende waren. Sie hatte sich doch noch so vieles vorgenommen.
Rasch stieg sie aus dem Bett und merkte, daß ihr Fuß nicht mehr ganz so weh tat. Gleich nach dem Frühstück sattelte sie Riegel und machte sich auf den Weg zur Reitschule. Auf den Feldern stand das Getreide hoch, und die Lämmer und Kälber des Hofes waren so gewachsen, daß Petra sie kaum wiedererkannte. Da wurde ihr erst richtig klar, wie lange sie fort gewesen war.
Den Wald kannte sie genau, doch ihr Pferd wußte ja nicht, was sich hinter der nächsten Wegbiegung verbarg. Petra spürte, daß Riegel sich ganz auf sie verließ und dem geringsten Wink gehorchte.
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